Gehörsverstoß durch vorzeitige Entscheidung vor Ablauf der Äußerungsfrist; Beurteilung für abgeordneten Richter (Beschluss des BVerwG 2. Senat)

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 21.12.2020, AZ 2 B 63/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:211220B2B63.20.0

§ 19 BG BB, § 127 Nr 2 BRRG, § 127 Nr 1 BRRG, § 63 Abs 3 S 2 BeamtStG, § 71 DRiG

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 9. Juni 2020, Az: OVG 4 B 8.19, Beschluss
vorgehend VG Potsdam, 18. Januar 2018, Az: 11 K 1304/16, Urteil

Tenor

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2020 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen der Verfahrensrüge des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor. Die Entscheidung über die Berufung der Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss nach § 130a VwGO vor dem Ablauf der den Beteiligten vom Berufungsgericht gesetzten Äußerungsfrist verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.

2

Insoweit ist zunächst im Hinblick auf Ausführungen der Beklagten klarzustellen, dass das Recht eines Landes zur Regelung der dienstlichen Beurteilung seiner Richter revisibel ist (§ 71 DRiG, § 191 Abs. 2 VwGO, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG und § 127 Nr. 2 BRRG in entsprechender Anwendung; vgl. BVerwG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 C 29.15 – Buchholz 245 LandesBesR Nr. 10 Rn. 9 zur Richterbesoldung).

3

1. Der Kläger steht als Richter am Sozialgericht im Dienst des Landes Brandenburg. In den Jahren 2014 und 2015 war der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Bundessozialgericht abgeordnet. Unter dem 6. Januar 2016 erteilte der Präsident des Bundessozialgerichts dem Kläger eine dienstliche Beurteilung nach Maßgabe der Beurteilungsrichtlinie des Bundessozialgerichts vom 18. Dezember 2008. Der Kläger beanstandete die ihm eröffnete dienstliche Beurteilung und legte gegen diese Widerspruch ein, den der Präsident des Bundessozialgerichts zurückwies. In dem vor dem Verwaltungsgericht geführten Klageverfahren hob der Präsident des Bundessozialgerichts aufgrund eines Hinweises des Verwaltungsgerichts die dienstliche Beurteilung vom 6. Januar 2016 samt den ergangenen Bescheiden auf und eröffnete dem Kläger nach Anhörung die dienstliche Beurteilung vom 2. August 2017. Der Kläger bezog diese Beurteilung in das Klageverfahren ein. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, die dienstliche Beurteilung vom 2. August 2017 aufzuheben und den Kläger für den Beurteilungszeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass die Beurteilungsbeiträge der drei Senatsvorsitzenden des Bundessozialgerichts nicht der dortigen Beurteilungsrichtlinie entsprächen, weil sie Aspekte offenließen. Dieser teilweise Beurteilungsausfall erstrecke sich auf die Gesamtbeurteilung durch den Präsidenten des Bundessozialgerichts.

4

Nach Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Verfügung vom 23. April 2020 die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 130a VwGO angehört. Dabei hat das Berufungsgericht auf seine Rechtsauffassung hingewiesen, bei der angegriffenen dienstlichen Beurteilung handele es sich um einen bloßen schriftlichen Beurteilungsbeitrag zu einer vom Land Brandenburg zu erteilenden dienstlichen Beurteilung, sodass die Klage nach § 44a VwGO unzulässig sein könnte. Mit Beschluss vom 9. Juni 2020 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit die Berufung zugelassen worden ist, geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage des Klägers sei nach § 44a Satz 1 VwGO unzulässig. Ein Beurteilungsbeitrag im Vorfeld einer dienstlichen Beurteilung sei eine vorbereitende Maßnahme. Die Beurteilung durch den Präsidenten des Bundessozialgerichts sei keine dienstliche Beurteilung, sondern lediglich ein solcher Beurteilungsbeitrag. Nicht der Präsident des Bundessozialgerichts, sondern das Land Brandenburg als Dienstherr des Klägers regele die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen des Klägers. Die Verwaltungsvorschriften für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen für Richter sähen keine dienstlichen Beurteilungen durch die Leiter von Behörden oder Gerichten vor, wenn der Richter des Landes an eine Dienststelle außerhalb des Geltungsbereichs der Beurteilungsrichtlinie abgeordnet werde. Dementsprechend handele es sich bei der Beurteilung durch den Präsidenten des Bundessozialgerichts lediglich um einen Beurteilungsbeitrag für eine durch einen Bediensteten des Landes Brandenburg zu erstellende dienstliche Beurteilung des Klägers.

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2. Die erhobene Rüge der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist unzulässig.

6

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, ebensolchen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverfassungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 – 6 B 39.94 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

7

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers weder in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a) noch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (b).

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a) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2014 – 2 A 10.13 – (BVerwGE 150, 359) befasst sich nicht mit der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Beurteilung eines Beamten, der zu einem anderen Dienstherrn abgeordnet worden ist. Gegenstand dieses Urteils ist vielmehr die Rechtmäßigkeit einer Regelbeurteilung einer Bundesbeamtin, die während des maßgeblichen Beurteilungszeitraums durchgängig beim Bundesnachrichtendienst beschäftigt war.

9

Im vorstehenden Sinne unzureichend ist die Beschwerdebegründung auch im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 1972 – 2 C 13.71 – (BVerwGE 40, 104). Zum einen geht das Bundesverwaltungsgericht in der von der Beschwerde herangezogenen Passage lediglich davon aus, dass der Beamte oder Richter durch die Abordnung in der Regel einen neuen weiteren unmittelbaren Dienstvorgesetzten erhält. Zum anderen befasst sich der angegriffene Beschluss nicht mit der Frage, ob der Präsident des Bundessozialgerichts infolge der Abordnung des Klägers an das Bundessozialgericht weiterer unmittelbarer Dienstvorgesetzter des Klägers geworden ist. Sachlich unrichtig sind die Erwägungen der Beschwerdebegründung hinsichtlich der Annahme, der Präsident des Bundessozialgerichts sei weiterer Dienstherr des Klägers gewesen. Alleiniger Dienstherr des Klägers war auch während der Zeit der Abordnung das Land Brandenburg.

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Im Übrigen beschränkt sich die Argumentation zur – angeblichen – Abweichung des angegriffenen Beschlusses von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungsrecht des Dienstherrn in der Art eines zulassungsfreien oder bereits zugelassenen Rechtsmittels darauf geltend zu machen, das Oberverwaltungsgericht hätte die dienstliche Beurteilung durch den Präsidenten des Bundessozialgerichts nicht zu einem bloßen Beurteilungsbeitrag herabstufen dürfen. Die Rüge der inhaltlichen Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung erfüllt nicht die Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz.

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Auch im Hinblick auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein vom 21. Oktober 2019 – 2 MB 3/19 – (NVwZ-RR 2020, 496) wird keine Divergenz (§ 127 Nr. 1 BRRG) dargelegt. Denn die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts in diesem Beschluss zum Erfordernis einer Anlassbeurteilung beziehen sich auf die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Beurteilungsrichtlinien für Richter des Landes Schleswig-Holstein.

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b) Auch in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG wird keine rechtssatzmäßige Abweichung dargelegt, sondern lediglich geltend gemacht, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts genüge nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu dem für die Fachgerichte geltenden Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes.

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3. a) Begründet ist die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), der Beschluss vom 9. Juni 2020 verletze das rechtliche Gehör des Klägers.

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Auch für das Berufungsverfahren ist die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung der gesetzliche Regelfall (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO). Diesem Regel-Ausnahmeverhältnis liegt die Vorstellung zugrunde, dass die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich das Ergebnis eines diskursiven Prozesses zwischen Gericht und den Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung sein soll. Davon geht auch § 104 Abs. 1 VwGO aus, der dem Vorsitzenden des Gerichts die Pflicht auferlegt, in der mündlichen Verhandlung die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erörtern. Das Rechtsgespräch erfüllt zudem den Zweck, die Ergebnisrichtigkeit der gerichtlichen Entscheidung zu fördern (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 – 10 C 13.09 – BVerwGE 138, 289 Rn. 23). Dies gilt umso mehr, je größer die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Streitsache sind. Mit dem Grad der Schwierigkeiten wächst das Gewicht der Gründe, die gegen eine Anwendung des § 130a VwGO sprechen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 – 6 C 28.03 – BVerwGE 121, 211 <214>; Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 – 2 B 63.11 – IÖD 2012, 20 <21>, vom 3. Dezember 2012 – 2 B 32.12 – Rn. 5 und vom 20. Mai 2015 – 2 B 4.15 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 86 Rn. 5).

15

Aufgrund dieses Ausnahme-Regelverhältnisses sind an die Anhörung nach § 130a Satz 2 und § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO strenge Anforderungen zu stellen. Denn das damit eingeleitete Verfahren ermöglicht es dem Berufungsgericht, ohne die auch für das Berufungsverfahren regelmäßig vorgesehene mündliche Verhandlung zu entscheiden. Wird die Anhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt, so stellt dies einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) mit der Folge dar, dass die Entscheidung gemäß § 138 Nr. 3 VwGO stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 17. November 1994 – 1 B 42.94 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 11 S. 1, vom 4. Dezember 1998 – 2 B 152.97 – juris Rn. 3 und vom 22. April 1999 – 9 B 1037.98 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 38 Rn. 5 m.w.N.).

16

Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht durch den angegriffenen Beschluss vom 9. Juni 2020 das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil die Anhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

17

Das Anhörungsschreiben des Oberverwaltungsgerichts nach § 130a VwGO stammt vom 23. April 2020. Den Beteiligten ist in diesem Schreiben Gelegenheit zur Äußerung innerhalb von drei Wochen eingeräumt worden. Dieses Anhörungsschreiben ist dem Kläger – gegen Postzustellungsurkunde – erst am 29. Mai 2020 zugestellt worden; das Empfangsbekenntnis des Vertreters der Beklagten trägt das Datum 25. Mai 2020. Dieses Datum des Zugangs beim Vertreter der Beklagten ergibt sich auch aus dessen Schriftsatz vom 25. Mai 2020 (Gerichtsakte S. 339). Ausgehend von der Zustellung beim Kläger hätte das Berufungsgericht nicht vor dem 19. Juni 2020 entscheiden dürfen. Der angegriffene Beschluss nach § 130a VwGO ist aber bereits am 9. Juni 2020 gefasst worden.

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Die im Vermerk des Vorsitzenden des Berufungssenats vom 26. Juni 2020 (Gerichtsakte S. 359) – und auch im angegriffenen Beschluss (BA S. 4 unten) – zum Ausdruck kommende Überlegung, der Kläger habe mit Schreiben vom 4. Juni 2020 auf das Anhörungsschreiben vom 23. April 2020 reagiert und weiterhin nicht angekündigt, einen Rechtsanwalt heranziehen zu wollen, der erhebliche Erklärungen hätte abgeben dürfen, führt insoweit nicht weiter. Zwar trifft es zu, dass sich der vor dem Oberverwaltungsgericht nach § 67 VwGO nicht postulationsfähige Kläger im Schriftsatz vom 4. Juni 2020 wiederum persönlich an das Berufungsgericht gewandt hat. Auch hat er nicht ausdrücklich angekündigt, sich im Berufungsverfahren entsprechend den Hinweisen des Oberverwaltungsgerichts doch noch von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Das persönliche Schreiben des Klägers durfte das Oberverwaltungsgericht aber nicht dahingehend werten, dieser wolle und werde sich im Berufungsverfahren nicht weiter äußern. Denn der Kläger hat ausdrücklich um Verlängerung der im Anhörungsschreiben vom 23. April 2020 gesetzten Frist gebeten. Danach war das Berufungsgericht nicht von der Verpflichtung entbunden, den Ablauf der von ihm selbst nach § 130a Satz 2 und § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gesetzten Äußerungsfrist abzuwarten. § 130a VwGO, der es dem Berufungsgericht ausnahmsweise ermöglicht, auch ohne Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über das Rechtsmittel zu entscheiden, setzt unabdingbar voraus, dass das Gericht die von ihm ordnungsgemäß gesetzte Äußerungsfrist auch beachtet. Die Daten, an denen den Beteiligten das Anhörungsschreiben vom 23. April 2020 jeweils zugestellt worden ist, waren dem Oberverwaltungsgericht ausweislich der Gerichtsakte bei der Abfassung des angegriffenen Beschlusses vom 9. Juni 2020 bekannt.

19

b) Hinsichtlich der weiteren geltend gemachten Verfahrensrügen sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

20

4. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf das Folgende hin:

21

a) Bei Auswahlentscheidungen nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG kommt Regelbeurteilungen entscheidende Bedeutung zu. Denn der Vergleich der Bewerber im Rahmen der Auswahl hat vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. April 2004 – 1 BvR 838/01 u.a. – BVerfGE 110, 304 <332> und vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – BVerfGE 141, 56 Rn. 58). Dabei sind vor allem zeitnahe, d.h. aktuelle dienstliche Beurteilungen heranzuziehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. August 2016 – 2 BvR 1287/16 – NVwZ 2017, 46 Rn. 78 f). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Vergleichsgrundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Sie müssen eine tragfähige Grundlage für die Auswahlentscheidung vermitteln (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 311/03 – BVerfGK 1, 292 <296 f.> und vom 7. März 2013 – 2 BvR 2582/12 – NVwZ 2013, 1603 Rn. 21).

22

Die für die Verwirklichung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG wesentlichen Regelungen muss der Gesetzgeber selbst treffen und darf sie nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322, 1989/12 – BVerfGE 139, 19 Rn. 52). Hat der Vergleich der Bewerber im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG regelmäßig vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen, müssen die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung dieser Beurteilungen vom Gesetzgeber bestimmt werden (BVerwG, Urteil vom 17. September 2020 – 2 C 2.20 – Rn. 15 f.).

23

In Art. 54 ff. des Leistungslaufbahngesetzes vom 5. August 2010 (GVBl. S. 410, 571) hat der bayerische Gesetzgeber die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen bestimmt. Demgegenüber hat der Gesetzgeber des Landes Brandenburg für den Bereich der Beamten auf jegliche eigene Regelung verzichtet und die Gestaltung von dienstlichen Beurteilungen – unzureichend – allein der Exekutive in Gestalt von Verwaltungsvorschriften überlassen. Denn § 19 BrbBG vom 3. April 2009, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 5. Juni 2019 (GVBl. I/19), benennt als Gegenstand der dienstlichen Beurteilung Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten und bestimmt lediglich noch, dass das Nähere Verwaltungsvorschriften regeln.

24

Auch die im Land Brandenburg für die dienstlichen Beurteilungen von Richtern maßgebliche Vorschrift erscheint defizitär. § 9 Abs. 3 BbgRiG, auf den auch das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat (UA S. 6), überlässt die Regelung der dienstlichen Beurteilung von Richtern in Gestalt einer Blankettermächtigung der obersten Dienstbehörde in Form von Beurteilungsrichtlinien, d.h. bloßen, dem Wesentlichkeitsgebot nicht genügenden Verwaltungsvorschriften. Das Richtergesetz des Landes Brandenburg vom 12. Juli 2011 (GVBl. I/11 Nr. 18) selbst bestimmt in § 9 Abs. 1 und 2 unmittelbar nur wenige inhaltliche Vorgaben. Es regelt lediglich die Arten der Beurteilungen, den Vorrang der Regelbeurteilung und den Anspruch des betroffenen Richters auf Beteiligung des Richterrats und der Schwerbehindertenvertretung an der Besprechung der dienstlichen Beurteilung.

25

b) Entsprechend ihrer rechtlichen Herleitung sind Verwaltungsvorschriften nicht wie Rechtsvorschriften aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der anordnenden Stelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung auszulegen (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1995 – 2 C 19.94 – Buchholz 237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3 S. 2 f., vom 2. März 1995 – 2 C 17.94 – Buchholz 240 § 17 Nr. 7 S. 8, vom 17. Januar 1996 – 11 C 5.95 – Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 101 S. 14 und vom 10. April 1997 – 2 C 38.95 – Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34). Da Verwaltungsvorschriften zur Disposition des Vorschriftengebers stehen, ist bei der Auslegung die tatsächliche Verwaltungspraxis jedenfalls insoweit heranzuziehen, wie sie vom Urheber der Verwaltungsvorschriften gebilligt oder doch geduldet wurde oder wird (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1981 – 2 C 5.79 – Buchholz 232 § 25 BBG Nr. 1 S. 3 f.). Dementsprechend ist jeweils zu erforschen, in welchem Sinne die betreffende Behörde die von ihr herausgegebenen Richtlinien in einem maßgebenden Punkt verstanden wissen wollte und tatsächlich verstanden und angewandt hat (BVerwG, Urteile vom 10. April 1997 – 2 C 38.95 – Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34, vom 21. September 2006 – 2 C 5.06 – Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 38 Rn. 19 und vom 17. September 2020 – 2 C 2.20 – Rn. 19).

26

Das Berufungsgericht hat zur Bewertung der vom Präsidenten des Bundessozialgerichts erstellten streitgegenständlichen Beurteilung des Klägers vom 2. August 2017 maßgeblich auf § 5 der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung der Ministerin der Justiz und der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familien des Landes Brandenburg „Dienstliche Beurteilung der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ vom 20. Juni 2005 (JMBl. Sondernummer I S. 4), zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz vom 29. August 2011 (JMBl. S. 107) abgehoben. Selbst wenn diese Verwaltungsvorschrift nach den Ausführungen unter a) beachtlich sein sollte, dürften die Gerichte diese nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus auslegen. Vielmehr müsste bei den zuständigen Stellen des Landes Brandenburg ermittelt werden, in welchem Sinne die Verwaltungsvorschrift im Hinblick auf Bewertungen der Leistungen im Rahmen einer – nicht seltenen – Abordnung von Richtern des Landes an das Bundesverfassungsgericht oder an einen obersten Gerichtshof des Bundes i.S.v. Art. 95 Abs. 1 GG durch die Präsidenten dieser Gerichte tatsächlich verstanden worden ist.

27

c) Das Berufungsgericht wird sich auch mit der Frage befassen müssen, welchem Richter im Anschluss an die Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht die Berichterstattung im Berufungsverfahren obliegt. Maßgeblich sind hierfür die Bestimmungen des zum Zeitpunkt des Eingangs des Verfahrens beim Oberverwaltungsgericht maßgeblichen Geschäftsverteilungsplans des 4. Senats über die Zuständigkeit im Falle einer Zurückverweisung.

28

Jedenfalls verstieß der Wechsel des Berichterstatters aufgrund des Beschlusses des Geschäftsverteilungsplans des 4. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Geschäftsjahr 2020 vom 19. Dezember 2019 gegen das Gebot des gesetzlichen Richters.

29

Unter II. dieses Geschäftsverteilungsplans ist mit Wirkung vom 1. Januar 2020 – schlicht – bestimmt, dass die „Verfahren OVG 4 B 1. 19, OVG 4 B 6.19, OVG 4 B 8.19 und OVG 4 B 10.19 in das Dezernat des BE I“ – BE I ist der Senatsvorsitzende – übergehen. Bis zu dieser Umverteilung war Berichterstatterin des Berufungsverfahrens OVG 4 B 8.19 die im Geschäftsverteilungsplan als „BE II“ bezeichnete Richterin Frau R. Ausweislich der beim 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts eingeholten Stellungnahme sind die nach II. des Beschlusses vom 19. Dezember 2019 auf den BE I übergegangenen Verfahren nicht nach einem vorab festgelegten und abstrakten Kriterium bestimmt worden. Diese Vorgehensweise des Berufungsgerichts genügt nicht den Anforderungen des Gebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 – 2 C 2.19 – NJW 2020, 3333 Rn. 8 ff.).