BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 16.12.2020, AZ 2 WDB 7/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:161220B2WDB7.20.0
Leitsatz
Der erforderliche Nachweis für die Ernennung zum Soldaten auf Zeit kann sich bei Unklarheit des Empfangsbekenntnisses auch aus den Begleitumständen ergeben.
Verfahrensgang
vorgehend Truppendienstgericht Süd, 16. Juli 2020, Az: S 1 VL 3/19, Beschluss
Tenor
Auf die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 14. August 2020 wird der Beschluss des Vorsitzenden der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 16. Juli 2020 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt der Bund.
Tatbestand
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Die Beschwerde richtet sich gegen die Einstellung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens.
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1. Der … geborene frühere Soldat leistete nach dem Erwerb der Hochschulreife freiwilligen Wehrdienst und verpflichtete sich als Soldat auf Zeit für 14 Jahre. Dabei sollte er mit Wirkung vom 1. Juli 2015 als Anwärter in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes übernommen und in eine Planfeststelle der Besoldungsgruppe A 4 eingewiesen werden. Die dazu am 5. Juni 2015 vorbereiteten Dokumente, unter denen sich insbesondere auch die Ernennungsurkunde über die Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit befindet, sind in Abschrift in der Personalgrundakte enthalten. Der Termin zur Übergabe der Urkunden fand erst am 7. Juli 2015 statt. Bei diesem Termin unterschrieb der frühere Soldat ein „Empfangsbekenntnis, gleichzeitig Änderungsmeldung“ und gab dabei an, eine „Ernennungsurkunde … mit gleichzeitiger Zuerkennung des Dienstgradzusatzes Offizieranwärter“, die Mitteilung über die Dauer des Dienstverhältnisses und die Verfügung über die Einweisung in die Planstelle der Besoldungsgruppe A 4 Z erhalten zu haben. Das weitere Kästchen zur Aushändigung einer Urkunde über die „Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit“ ist nicht angekreuzt. Auf der Rückseite bestätigte er mit seiner Unterschrift, es bestehe eine Kranken- und Pflegeversicherung für Soldaten auf Zeit.
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Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt zum 1. April 2017 zum Fähnrich. Nachdem er sein Studium an der Universität der Bundeswehr mit der Fachrichtung Maschinenbau endgültig nicht bestanden hatte, wurde er im Juli 2018 in der Laufbahn Offiziere des Truppendienstes im Ausbildungsgang ohne Studium zugelassen. Schließlich wurde er mit Ablauf des 8. September 20… gemäß § 55 Abs. 4 SG wegen mangelnder Eignung aus der Bundeswehr entlassen und in die Laufbahngruppe der Feldwebel der Reserve überführt.
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2. Mit Verfügung vom 15. Februar 2019 leitete der Kommandierende General … ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen den früheren Soldaten ein. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft schuldigte ihn unter dem 21. November 2019 an, zwischen Oktober 2018 und Mai 2019 eine nicht genehmigte Nebentätigkeit für ein Finanzdienstleistungsunternehmen ausgeübt und bei Vertragsabschlüssen mit ihm bekannten Soldaten Provisionen in Höhe von insgesamt 8 237,26 € erhalten zu haben, obwohl er zuvor über die Rechtslage hinsichtlich der Ausübung von Nebentätigkeiten insbesondere für Finanzdienstleister und Versicherungsvermittler belehrt worden sei.
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Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 stellte das Truppendienstgericht Süd das gerichtliche Disziplinarverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses ein. Eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme sei gegen den früheren Soldaten nicht möglich, weil er sich im Status eines freiwillig Wehrdienst Leistenden befinde. Die Aushändigung der Ernennungsurkunde zum Soldaten auf Zeit lasse sich nicht nachweisen. Auf dem in den Akten enthaltenen Empfangsbekenntnis sei das Kästchen zur Aushändigung einer Urkunde über die Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit nicht angekreuzt. Der frühere Soldat habe die Nachfragen der Kammer, ob ihm die Urkunde ausgehändigt worden sei, unbeantwortet gelassen. Weitere Ermittlungen des Gerichts seien erfolglos geblieben. Damit fehle es an einer für die Einleitung notwendigen Verfahrensvoraussetzung. Dieses Verfahrenshindernis sei auch nicht bei Ausscheiden des früheren Soldaten aus der Bundeswehr geheilt worden. Der Kommandierende General … sei außerdem für Reservisten nicht die zuständige Einleitungsbehörde.
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3. Mit ihrer am 14. August 2020 eingelegten Beschwerde bestreitet die Wehrdisziplinaranwaltschaft das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses. Der frühere Soldat habe die Ernennungsurkunde zum Soldaten auf Zeit erhalten. Das in den Akten enthaltene Empfangsbekenntnis sei dahin zu verstehen, dass dem früheren Soldaten die Ernennungsurkunde ausgehändigt worden sei. Darin sei nämlich das Kästchen angekreuzt, wonach er eine „Ernennungsurkunde … mit gleichzeitiger Zuerkennung des Dienstgradzusatzes Offizieranwärter“ erhalten habe. Hierbei handele es sich um die Ernennungsurkunde zum Soldaten auf Zeit. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt weist ergänzend darauf hin, dass der frühere Soldat auf der Rückseite des Empfangsbekenntnisses die Erklärungen zur Pflegeversicherung und zur sozialen Absicherung und Versorgung der Soldaten auf Zeit unterschrieben habe, die nur bei Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit abzugeben seien.
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Das Truppendienstgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig und begründet.
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1. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die von der Truppendienstkammer vorgenommene Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 WDO liegen nicht vor, weil ein Verfahrenshindernis nicht besteht. Es liegen keine Umstände vor, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 2017 – 2 WDB 4.17 – Buchholz 450.2 § 108 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 9).
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a) Zwar würde eine notwendige Verfahrensvoraussetzung fehlen, wenn der frühere Soldat nicht in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden wäre. Ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen einen freiwilligen Wehrdienst Leistenden ist nicht statthaft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2007 – 2 WD 17.06 – BVerwGE 129, 52 Rn. 23; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 1 Rn. 15). Wie sich aus § 58 WDO ergibt, ist die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme nur zulässig gegen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (§ 58 Abs. 1 WDO), gegen Soldaten im Ruhestand und gegen frühere Soldaten, die gemäß § 1 Abs. 3 WDO als Soldaten im Ruhestand gelten (§ 58 Abs. 2 WDO) sowie gegen Angehörige der Reserve und gegen nicht wehrpflichtige frühere Soldaten, die noch zu Dienstleistungen herangezogen werden können (§ 58 Abs. 3 WDO). Der frühere Soldat ist nach Überzeugung des Senats aber wirksam in das Wehrdienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden.
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Das Wehrdienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit wird gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 SG durch Ernennung begründet. Die Form der Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit bestimmt sich nach § 41 SG. Sie erfolgt durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SG). Die vorgeschriebene Aushändigung ist die willentliche Verschaffung des körperlichen Besitzes der Originalurkunde durch die zur Ernennung zuständige Dienststelle an den zu Ernennenden (vgl. Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 41 Rn. 8). Das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit beginnt frühestens mit dem Tag der Aushändigung der Ernennungsurkunde (§ 41 Abs. 2 SG).
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b) Der Senat ist davon überzeugt, dass dem früheren Soldaten am 7. Juli 2015 eine den Anforderungen des § 41 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SG entsprechende Ernennungsurkunde ausgehändigt wurde.
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Dem Truppendienstgericht ist zwar darin beizupflichten, dass ein sicherer Nachweis für diese Aushändigung nicht allein durch das in den Akten enthaltene Empfangsbekenntnis erbracht wird. Denn diese Empfangsbestätigung weist nur aus, dass dem früheren Soldaten am 7. Juli 2015 drei Dokumente übergeben wurden, und zwar neben einer Mitteilung über die Dauer seines Dienstverhältnisses und einer Einweisung in eine Planstelle eine „Ernennungsurkunde (…) mit gleichzeitiger Zuerkennung des Dienstgradzusatzes Offizieranwärter“. Hierbei handelt es sich aber – entgegen der Ansicht der Beschwerde – nicht mit Sicherheit um die als Zweitschrift vorliegende Ernennungsurkunde über die Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Möglicherweise ist damit nur die Personalverfügung Nr. 19 gemeint, mit der der frühere Soldat mit Wirkung vom 1. Juli 2015 als Anwärter in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes übernommen worden ist.
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Neben dem fehlerhaft ausgefüllten Empfangsbekenntnis sprechen aber zahlreiche Indizien dafür, dass die Urkunde gleichwohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehändigt worden ist. Den drei nachweislich übergebenen Dokumenten ist in der Personalakte eine Zweitschrift der streitigen Ernennungsurkunde unmittelbar vorgeheftet. Sie trägt dasselbe Datum – nämlich „5. Juni 2015“ – wie die übrigen am 7. Juli 2015 ausgehändigten Dokumente. Das am selben Tag erstellte Original der Urkunde ist nicht mehr bei den Akten. Es erscheint extrem unwahrscheinlich, dass der frühere Soldat die drei Begleitdokumente erhalten hat, nicht aber die wesentliche und schon durch die äußere Gestaltung hervorgehobene Originalurkunde der Ernennung zum Soldaten auf Zeit.
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Außerdem legte Stabsfeldwebel …, der das Empfangsbekenntnis mit „sachlich richtig“ kennzeichnete, der damaligen Kompaniechefin, Frau Hauptmann …, für den 7. Juli 2015 einen „Sprechzettel“ vor, auf dem die Namen und Dienstgrade aller Soldaten verzeichnet sind, die an diesem Tag durch die Kompaniechefin befördert oder ernannt wurden. Dieser Sprechzettel enthält auch den Namen des früheren Soldaten. Die Kompaniechefin hat in ihrer dienstlichen Erklärung bestätigt, dass ihr Personalfeldwebel ihr bei Ernennungen zum Soldaten auf Zeit Sprechzettel vorbereitet habe, auf denen alle zu ernennenden Soldaten aufgelistet gewesen seien, die sie (oder bei ihrer Abwesenheit ihr Vertreter) dann im Rahmen eines Antretens verlesen habe. Wenn der frühere Soldat am 7. Juli 2015 im Dienst und nicht abwesend gewesen sei, sei er zum Soldaten auf Zeit ernannt worden. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht entscheidend darauf an, dass Hauptmann … sich nach den Ermittlungen des Truppendienstgerichts weder an das konkrete Ereignis noch an den früheren Soldaten oder an dessen Namen erinnern konnte. Denn dies ist leicht damit erklärbar, dass sie nach eigenen Angaben damals mindestens alle drei Monate zahlreiche Ernennungen durchgeführt habe.
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Zudem befindet sich unter den Dokumenten, deren Erhalt der frühere Soldat bestätigte, die Verfügung vom 5. Juni 2015, mit der seine Dienstzeit auf vier Jahre festgesetzt wurde. Diese Verfügung setzt aber voraus, dass er gleichzeitig auch in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen wurde. Denn die Festsetzung einer Dienstzeit auf vier Jahre ist nicht ohne Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 SG möglich. Der freiwillige Wehrdienst ist gemäß § 58b Abs. 1 Satz 2 SG längstens für eine Zeitdauer von 23 Monaten möglich.
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Hinzu kommt, dass die von dem früheren Soldaten auf der Rückseite des Empfangsbekenntnisses abgegebene Erklärung zur Kranken- und Pflegeversicherung – worauf der Bundeswehrdisziplinaranwalt zutreffend hingewiesen hat – nur bei Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit abzugeben ist. Überdies gingen sowohl der Dienstherr als auch der frühere Soldat in der darauffolgenden Zeit, also von Juli 2015 bis zu seiner Entlassung im September 20…, davon aus, dass dieser wirksam in das Soldatenverhältnis auf Zeit berufen wurde.
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Die angeführten Umstände sprechen dafür, dass der frühere Soldat die Ernennungsurkunde tatsächlich erhielt und lediglich deren Erhalt unzureichend bestätigte. Etwas Anderes ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil er entsprechende Anfragen des Truppendienstgerichts unbeantwortet ließ. Mit diesem Schweigen hat er den Empfang zwar nicht bestätigt, aber auch nicht bestritten.
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c) Der Wirksamkeit des begründeten Dienstverhältnisses zum 7. Juli 2015 steht auch nicht entgegen, dass die Ernennungsurkunde als Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses den 1. Juli 2015 angibt. Da Ernennungen nicht rückwirkend erfolgen dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 1980 – 2 C 9.78 – Buchholz 448.0 § 40 WPflG Nr. 3), kann in einer Ernennungsurkunde zulässigerweise nur ein Zeitpunkt angegeben werden, der nach der Aushändigung der Urkunde liegt. Liegt das Wirksamkeitsdatum vor dem Tag der Aushändigung, ist die Begründung des Dienstverhältnisses deswegen nicht nichtig. Sie wird aber erst mit dem Tag der tatsächlichen Aushändigung – hier dem 7. Juli 2015 – wirksam (vgl. Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Auf. 2021, § 41 Rn. 16 m.w.N.). Das für die Wirksamkeit der Ernennung erforderliche Einverständnis des Betroffenen (vgl. Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 41 Rn. 11) hat der frühere Soldat hier konkludent durch die Annahme der Urkunde und die Zeichnung des Empfangsbekenntnisses erklärt.
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d) Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass der frühere Soldat durch die Aushändigung der Urkunde am 7. Juli 2015 rechtswirksam in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen wurde und dass bei Einleitung des Disziplinarverfahrens der Kommandierende General … die gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 WDO i.V.m. Ziffer 1.1 Buchst. c) (3) (a) der Zentralen Dienstvorschrift A-2160/6 zuständige Einleitungsbehörde war.
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3. Der angefochtene Einstellungsbeschluss vom 16. Juli 2020 kann deshalb keinen Bestand haben. Nach dessen Aufhebung ist das Verfahren erneut bei der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd anhängig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. September 2013 – 2 WDB 4.12 – juris Rn. 21).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO. Es wäre nach den Gesamtumständen unbillig, den früheren Soldaten mit den Kosten des Rechtsmittels und den ihm im Rechtsmittelverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu belasten.