Pflichtstundenzahl für Lehrer (Beschluss des BVerwG 2. Senat)

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 11.12.2020, AZ 2 B 10/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:111220B2B10.20.0

Art 3 Abs 1 GG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 25. November 2019, Az: 3 BV 17.1857, Urteil
vorgehend VG München, 5. Juli 2017, Az: M 5 K 15.4747, Urteil

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 2019 werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Viertel.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

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Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

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1. Die Kläger sind Beamte auf Lebenszeit und stehen als Gymnasiallehrer im Dienst des Beklagten. Sie besitzen die Lehrbefähigung für das Fach Musik, daneben die Klägerin zu 1 für das Fach Latein, die Klägerin zu 4 für das Fach Ethik.

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Die Kläger beantragten im Juli 2014 beim Beklagten, den Klassenunterricht im Fach Musik an einem nicht-musischen Gymnasium in der Unter- und Mittelstufe ab dem Schuljahr 2015/2016 als wissenschaftlich zu behandeln mit der Folge, dass sich die Unterrichtspflichtzeit in diesem Fach von 27 auf 23 Wochenstunden verringert. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheiden vom September 2015 ab.

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Die dagegen erhobenen, zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Feststellungsklagen blieben erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die für die Zukunft zulässigen Feststellungsklagen seien unbegründet. Mit der Verordnung über die Unterrichtspflichtzeit in Bayern vom 11. September 2018 (Unterrichtspflichtzeitverordnung – BayUPZV), in Kraft getreten am 1. August 2018, habe der Beklagte an die geforderte Arbeitsleistung angeknüpft und seine Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass im Fach Musik 27 Pflichtstunden in der Grund- und Mittelstufe an nicht-musischen Gymnasien einschließlich Vor- und Nachbereitung, Korrekturen sowie sonstiger außerunterrichtlicher Tätigkeit einem Arbeitsaufwand entspreche, den jeder andere Beamte auch im Jahresdurchschnitt wöchentlich zu bewältigen habe. Der Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass die Unterschiede in der Arbeitsbelastung, die sich aus der schwerpunktmäßig praktischen Ausrichtung des Musikunterrichts in den Klassenstufen 5 – 9 ergäben, es rechtfertigten, eine höhere Pflichtstundenzahl für Musiklehrer als für Lehrer in sog. wissenschaftlichen Fächern festzusetzen. Die Zuordnung des Fachs Musik in den Klassenstufen 5 – 9 zu den sog. nicht wissenschaftlichen Fächern mit einem typischerweise geringeren Vor- und Nachbereitungsaufwand sei nicht willkürlich, zumal sie dem landläufigen Bild der Vorstellung von Haupt- und Nebenfächern entspreche und letztere eher praktischer Natur seien. Der Beklagte habe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachvollziehbar erläutert, dass das Unterrichtsfach Musik in den Klassenstufen 5 – 9 an Gymnasien keinen fachtheoretischen Schwerpunkt habe, vielmehr komme dem praktischen Musizieren mindestens gleiches Gewicht zu. Zur Begründung habe er plausibel auf die Unterrichtsinhalte der genehmigten und allgemein veröffentlichten Lehrpläne für die Klassenstufen 5 – 9 an Gymnasien verwiesen. Diese praktische Ausrichtung des Lehrplans im Fach Musik sei erst in den Klassenstufen 10 – 12 nicht mehr vorgesehen. Die um vier Unterrichtsstunden erhöhte Unterrichtspflichtzeit (4 x 45 Minuten, 3 Stunden wöchentlich) gehe nicht über das hinaus, was noch seine sachliche Rechtfertigung in den Merkmalen finde, mit denen sich die Unterrichtserteilung in sog. nicht wissenschaftlichen Fächern typischerweise von der Unterrichtserteilung in sog. wissenschaftlichen Fächern unterscheide. Die Feststellungsklagen für die Vergangenheit seien hinsichtlich der Kläger zu 1 bis 3 mangels Feststellungsinteresse unzulässig; hinsichtlich der teilzeitbeschäftigten Klägerin zu 4 sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Die in dieser Zeit geltenden Verwaltungsvorschriften über die Unterrichtspflichtzeit an Gymnasien seien für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der inhaltsgleichen Verordnung vom 18. September 2018 als maßgeblich anzusehen, um einen noch verfassungsferneren Zustand zu vermeiden.

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2. Die Revision ist nicht wegen der von den Klägern geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

6

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 – 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 16. April 2020 – 2 B 5.19 – NVwZ-RR 2020, 933 Rn. 6).

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Die von der Beschwerde bezeichneten Fragen,

„ob der Beklagte vor dem Hintergrund des Willkürverbots des Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative bei der Festsetzung der Unterrichtspflichtzeit für Musiklehrer in der Verordnung über die Unterrichtspflichtzeit in Bayern aufgrund der schwerpunktmäßig praktischen Ausrichtung des Musikunterrichts davon ausgehen durfte, dass die Musiklehrer im Klassenunterricht durch die Vor- und Nachbereitung weniger stark beansprucht sind, als die Lehrer in den sogenannten wissenschaftlichen Fächern, ohne die tatsächliche Arbeitsbelastung der Musiklehrer in nicht-musischen Gymnasien vor Erlass der Unterrichtspflichtzeitverordnung zu evaluieren,“

und

„ob die schwerpunktmäßige Ausrichtung des Musikunterrichts ‚praktisch‘ ein ausreichender Grund ist, die Unterrichtspflichtzeit unterschiedlich festzulegen, ohne Feststellungen getroffen zu haben, ob diese Annahme tatsächlich richtig ist,“

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führen nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

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a) Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmt sich die Arbeitszeit der beamteten Lehrer maßgeblich nach der Pflichtstundenzahl, die normativ festzulegen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 – 2 C 23.10 – BVerwGE 144, 93 Rn. 14 f.). Dabei darf der Normgeber die Pflichtstundenzahlen für Gruppen von Lehrern unterschiedlich hoch festsetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 2 C 88.81 – Buchholz 11 Art. 3 GG Nr. 279 S. 10 f.). Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nur verletzt, wenn der Normgeber einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonst wie einleuchtenden Grund für diese Differenzierung nicht angeben kann. Hiernach kann eine Festsetzung verschieden hoher Pflichtstundenzahlen für Gruppen von Lehrern, für die sämtlich die gleiche Gesamtarbeitszeit gilt, nur an solche Umstände anknüpfen, die einen sachlichen Bezug zur jeweils geforderten Arbeitsleistung aufweisen, insbesondere zu deren zeitlichem Maß. Folglich ist etwa die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsziele der einzelnen Schularten grundsätzlich ein sachgerechtes Differenzierungsmerkmal für die Festsetzung unterschiedlicher Pflichtstundenzahlen, sofern die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsziele noch wirklichkeitskonform die Annahme einer nach Zeit und/oder Art unterschiedlichen Arbeitsbelastung stützen kann. Weiter ist die Verschiedenartigkeit der tatsächlich überwiegend unterrichteten Fächer ein sachliches Differenzierungsmerkmal, wenn sich daraus typischerweise eine unterschiedliche Arbeitsbelastung für Gruppen von Lehrern ergibt, weil die eingesetzten Lehrer durch die Vor- und Nachbereitung des jeweiligen Unterrichtsfachs weniger stark beansprucht werden.

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Bei dieser Beurteilung ist dem Normgeber eine generalisierende und pauschalierende Betrachtungsweise einzuräumen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 2 C 88.81 – Buchholz 11 Art. 3 GG Nr. 279 S. 11). Denn die Arbeitszeit von Lehrern ist nur hinsichtlich der eigentlichen Unterrichtsstunden exakt messbar, während sie im Übrigen entsprechend der pädagogischen Aufgabe wegen der erforderlichen Unterrichtsvorbereitung, der Korrekturen, Elternbesprechungen, Konferenzen und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer und überprüfbarer Form bestimmt, sondern nur – grob pauschalierend – geschätzt werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 1982 – 2 C 88.81 – Buchholz 11 Art. 3 GG Nr. 279 S. 9 f., vom 23. September 2004 – 2 C 61.03 – BVerwGE 122, 65 <66 f.> und vom 23. Juni 2005 – 2 C 21.04 – BVerwGE 124, 11 <13>). Dabei ist es Sache des Dienstherrn, Vorgaben dazu zu machen, welchen Zeitaufwand er für die jeweilige Arbeitsleistung als angemessen erachtet. Damit bestimmt er zugleich, welche Zeit ein pflichtbewusster Lehrer grundsätzlich im Durchschnitt für die jeweilige Aufgabe aufwenden muss. Nicht maßgeblich für die Beurteilung des für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Zeitaufwands ist die subjektive Einschätzung des Lehrers (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 C 16.14 – BVerwGE 152, 301 Rn. 21). Dementsprechend muss die von der individuellen Befähigung und Erfahrung, von selbst gestellten Anforderungen und anderen einzelfallbedingten Faktoren abhängige tatsächliche Arbeitsbelastung des einzelnen Lehrers bei der generalisierenden Regelung über die Pflichtunterrichtszeit außer Betracht bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 2 C 88.81 – Buchholz 11 Art. 3 GG Nr. 279 S. 12).

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b) Es besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nochmals zur Erörterung zu stellen. Die Beschwerde zeigt mit dem Einwand, seit der Entscheidung des Senats vom 28. Oktober 1982 – 2 C 88.81 – (Buchholz 11 Art. 3 GG Nr. 279) seien mehr als 30 Jahre vergangen und in dieser Zeit hätte sich die Gestaltung des Musikunterrichts an Gymnasien und damit einhergehend die Anforderungen an die Musiklehrer erheblich gewandelt, keine erneute Klärungsbedürftigkeit auf. Der Umstand, dass sich Unterrichtsfächer im Lauf der Zeit ihrer Art nach ändern können, betrifft nicht die Zulässigkeit des Differenzierungsmerkmals, sondern die Frage, ob die jeweilige konkrete normative Entscheidung in dem Merkmal (noch) seine sachliche Rechtfertigung findet. Dies hängt von einer nicht nur rechtlichen, sondern insbesondere auch einer tatsächlichen Würdigung und Abwägung der für die Entscheidung des Normgebers maßgebenden Umstände ab. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass sich im Laufe der Zeit Veränderungen ergeben haben können, die sich zu Lasten oder zu Gunsten der Lehrer auf deren Arbeitsbelastung auswirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 C 16.14 – BVerwGE 152, 301 Rn. 14).

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Auch mit der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteile vom 14. Februar 2012 – 2 BvL 4/10 – BVerfGE 130, 263, Leitsatz 4 und vom 5. Mai 2015 – 2 BvL 17/09 u.a. – BVerfGE 139, 64 Rn. 129 f.) zu prozeduralen Anforderungen an den Gesetzgeber in Form von Begründungs-, Überprüfungs- und Beobachtungspflichten zeigt die Beschwerde keine erneute Klärungsbedürftigkeit der als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen auf, die auf eine Evaluierung der tatsächlichen Arbeitsbelastung der Lehrer und deren Dokumentierung in der Gesetzesbegründung abzielen. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten prozeduralen Anforderungen (vgl. zuletzt etwa BVerfG, Beschlüsse vom 16. Oktober 2018 – 2 BvL 2/17 – ZBR 2019, 89 <92> und vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – NVwZ-Beil. <Nr. 3> 2020, 90 Rn. 96 f.) sind auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Die prozeduralen Anforderungen gelten für die Besoldungsgesetzgebung. Ihr Sinn und Zweck besteht in der Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimentation (Art. 33 Abs. 5 GG). Dieser Sinn und Zweck rechtfertigt die prozeduralen Anforderungen als Beschränkung gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit einerseits, begrenzt diese Rechtfertigung andererseits aber auch zugleich (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 – 2 C 18.18 – Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 153 Rn. 23).

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c) Gemessen an den dargestellten Grundsätzen (vgl. 2 a.) ist die vom bayerischen Normgeber vorgenommene Differenzierung bei der Festsetzung der Pflichtstundenzahl für Gruppen von Lehrern an nicht-musischen Gymnasien, die in sog. wissenschaftlichen und sog. nicht wissenschaftlichen Fächern unterrichten, nicht zu beanstanden. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Ausgestaltung des Unterrichtsfachs Musik in den Klassenstufen 5 – 9 unter Berücksichtigung der geltenden Lehrplaninhalte ist die Annahme des Beklagten nicht willkürlich, dass sich für Musiklehrer in diesen Klassenstufen durch die Vor- und Nachbereitung des schwerpunktmäßig praktisch ausgerichteten Unterrichts typischerweise eine geringe Arbeitsbelastung ergibt als für Lehrer in den sog. wissenschaftlichen Unterrichtsfächern. Das Ausmaß der Verschiedenbehandlung von vier Unterrichtsstunden und damit drei Zeitstunden innerhalb einer für alle Lehrer gleichen Gesamtarbeitszeit lässt ebenso wenig Willkür erkennen.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2, § 39, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.