Bedenken gegen Wieder­aufnahme eines Strafver­fahrens zulasten Betroffener (PM 35/20 des DAV)

Pressemitteilung Rechtspolitik

Licht und Schatten bei strafrechtlichen Reform-Ideen der JuMiKo

Berlin (DAV). Bei der heute startenden Herbstkonferenz der Landesjustizministerinnen und -minister (JuMiKo) lassen vor allem einige strafrechtliche und strafprozessuale Vorhaben hellhörig werden – im Guten wie im Schlechten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt vor Aufweichung des Doppelbestrafungsverbots, lobt Fristenharmonisierung bei der Revision und macht Vorschläge zur Ersatzfreiheitsstrafe.

Doppelverfolgung muss verboten bleiben

Ein freigesprochener Beschuldigter darf wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung nicht ein weiteres Mal wegen derselben Tat vor Gericht gestellt werden – die einzige Ausnahme gilt im Fall eines Geständnisses. Die Regierungsparteien hatten sich jedoch bereits im Koalitionsvertrag für eine Erweiterung der Wiederaufnahme zu Ungunsten freigesprochener Angeklagter für „nicht verjährbare Straftaten“, also Mord und Völkermord ausgesprochen. Diese Idee greift nun ein JuMiKo-Antrag von Bayern auf: Eine Wiederaufnahme soll bei diesen Vorwürfen möglich sein, „wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden nachträglich der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann“. Konkret bezieht sich der Antrag auf die DNA-Analyse.

Abgesehen davon, dass eine DNA-Spur kein DNA-Beweis ist, dürfte ein solches Vorhaben verfassungswidrig sein: „
Das Grundgesetz hat sich im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit eindeutig für die Rechtskraft entschieden“, betont
Stefan Conen, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses.
„Art. 103 Abs. 3 verbietet nach allgemeiner Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch. Für einen ‚Freispruch light‘ unter dem Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis gibt es insofern keinen Raum.“

Begrüßenswertes Update der Revisionsbegründungsfrist

Gerade in umfangreichen Strafprozessen ist die Diskrepanz zwischen der nach Dauer der Hauptverhandlung gestaffelten Urteilsabsetzungsfrist und der zwingend einmonatigen Revisionsbegründungsfrist eklatant. Das macht eine effektive Verteidigung im Revisionsverfahren nahezu unmöglich. In der Beschlussvorlage von Rheinland-Pfalz wird nun für Revisionsbegründungen eine gestaffelte Frist in Anlehnung an die Urteilsabsetzungsfrist vorgeschlagen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.

In seiner
Initiativstellungnahme 47/20 hatte der DAV bereits eine ähnliche Regelung gefordert, ging jedoch noch weiter: Gleichzeitig sollte die Urteilsabsetzungsfrist auf höchstens 27 Wochen begrenzt werden – dies ist die Frist, die aktuell bei mehr als 100 Sitzungstagen gilt. Geboten ist auch die Einführung einer Frist für die Fertigstellung des Sitzungsprotokolls: unverzüglich, spätestens nach einer Woche. Um eine effektive Verteidigung sicherzustellen, sollte eine Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund gelten oder zumindest einen Unterbrechungsanspruch gewähren.

Ersatzfreiheitsstrafen reformieren

Der Antrag von Rheinland-Pfalz sieht zwar keine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen vor; es soll lediglich ein Reformbedarf geprüft werden, insbesondere zum Umrechnungsmaßstab: 1 Tagessatz = 1 Hafttag. Dass das System der Ersatzfreiheitsstrafen kritisch hinterfragt wird, ist zu begrüßen. Dies sollte umfassend geschehen.

Solange die Ersatzfreiheitsstrafe – und vor allem deren Androhung – für die Vollstreckungsbehörden unverzichtbar ist, sind Schutzmechanismen im Verfahren zu verankern: Eine zwingende richterliche Anhörung und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers böten sich hier an. Auch könnte man die Vollstreckung sachlich davon abhängig machen, ob die Uneinbringlichkeit Ausdruck von Rechtsungehorsam ist. Häufig liegt sie in der Natur des Ausgangsfalls begründet: Ersatzfreiheitsstrafen greifen meist bei serienmäßig begangenen Bagatelltaten wie der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein. Sie treffen Menschen, denen weniger der Rechtsbefolgungswille als die finanziellen Mittel fehlen. Die Inhaftierung wirkt dann nur entsozialisierend und stigmatisierend. Eine präventive Wirkung der kurzen Freiheitsstrafe ist nicht belegt. In diesen Fällen ist der Sozialstaat gefordert, nicht das Strafrecht, so der DAV.

Pressemitteilung vom
26.11.2020 11.33

Berlin (DAV). Bei der heute startenden Herbstkonferenz der Landesjustizministerinnen und -minister (JuMiKo) lassen vor allem einige strafrechtliche und strafprozessuale Vorhaben hellhörig werden – im Guten wie im Schlechten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt vor Aufweichung des Doppelbestrafungsverbots, lobt Fristenharmonisierung bei der Revision und macht Vorschläge zur Ersatzfreiheitsstrafe.

Doppelverfolgung muss verboten bleiben

Ein freigesprochener Beschuldigter darf wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung nicht ein weiteres Mal wegen derselben Tat vor Gericht gestellt werden – die einzige Ausnahme gilt im Fall eines Geständnisses. Die Regierungsparteien hatten sich jedoch bereits im Koalitionsvertrag für eine Erweiterung der Wiederaufnahme zu Ungunsten freigesprochener Angeklagter für „nicht verjährbare Straftaten“, also Mord und Völkermord ausgesprochen. Diese Idee greift nun ein JuMiKo-Antrag von Bayern auf: Eine Wiederaufnahme soll bei diesen Vorwürfen möglich sein, „wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden nachträglich der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann“. Konkret bezieht sich der Antrag auf die DNA-Analyse.

Abgesehen davon, dass eine DNA-Spur kein DNA-Beweis ist, dürfte ein solches Vorhaben verfassungswidrig sein: „
Das Grundgesetz hat sich im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit eindeutig für die Rechtskraft entschieden“, betont
Stefan Conen, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses.
„Art. 103 Abs. 3 verbietet nach allgemeiner Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch. Für einen ‚Freispruch light‘ unter dem Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis gibt es insofern keinen Raum.“

Begrüßenswertes Update der Revisionsbegründungsfrist

Gerade in umfangreichen Strafprozessen ist die Diskrepanz zwischen der nach Dauer der Hauptverhandlung gestaffelten Urteilsabsetzungsfrist und der zwingend einmonatigen Revisionsbegründungsfrist eklatant. Das macht eine effektive Verteidigung im Revisionsverfahren nahezu unmöglich. In der Beschlussvorlage von Rheinland-Pfalz wird nun für Revisionsbegründungen eine gestaffelte Frist in Anlehnung an die Urteilsabsetzungsfrist vorgeschlagen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.

In seiner
Initiativstellungnahme 47/20 hatte der DAV bereits eine ähnliche Regelung gefordert, ging jedoch noch weiter: Gleichzeitig sollte die Urteilsabsetzungsfrist auf höchstens 27 Wochen begrenzt werden – dies ist die Frist, die aktuell bei mehr als 100 Sitzungstagen gilt. Geboten ist auch die Einführung einer Frist für die Fertigstellung des Sitzungsprotokolls: unverzüglich, spätestens nach einer Woche. Um eine effektive Verteidigung sicherzustellen, sollte eine Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund gelten oder zumindest einen Unterbrechungsanspruch gewähren.

Ersatzfreiheitsstrafen reformieren

Der Antrag von Rheinland-Pfalz sieht zwar keine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen vor; es soll lediglich ein Reformbedarf geprüft werden, insbesondere zum Umrechnungsmaßstab: 1 Tagessatz = 1 Hafttag. Dass das System der Ersatzfreiheitsstrafen kritisch hinterfragt wird, ist zu begrüßen. Dies sollte umfassend geschehen.

Solange die Ersatzfreiheitsstrafe – und vor allem deren Androhung – für die Vollstreckungsbehörden unverzichtbar ist, sind Schutzmechanismen im Verfahren zu verankern: Eine zwingende richterliche Anhörung und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers böten sich hier an. Auch könnte man die Vollstreckung sachlich davon abhängig machen, ob die Uneinbringlichkeit Ausdruck von Rechtsungehorsam ist. Häufig liegt sie in der Natur des Ausgangsfalls begründet: Ersatzfreiheitsstrafen greifen meist bei serienmäßig begangenen Bagatelltaten wie der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein. Sie treffen Menschen, denen weniger der Rechtsbefolgungswille als die finanziellen Mittel fehlen. Die Inhaftierung wirkt dann nur entsozialisierend und stigmatisierend. Eine präventive Wirkung der kurzen Freiheitsstrafe ist nicht belegt. In diesen Fällen ist der Sozialstaat gefordert, nicht das Strafrecht, so der DAV.

Berlin (DAV). Bei der heute startenden Herbstkonferenz der Landesjustizministerinnen und -minister (JuMiKo) lassen vor allem einige strafrechtliche und strafprozessuale Vorhaben hellhörig werden – im Guten wie im Schlechten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt vor Aufweichung des Doppelbestrafungsverbots, lobt Fristenharmonisierung bei der Revision und macht Vorschläge zur Ersatzfreiheitsstrafe.

Doppelverfolgung muss verboten bleiben

Ein freigesprochener Beschuldigter darf wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung nicht ein weiteres Mal wegen derselben Tat vor Gericht gestellt werden – die einzige Ausnahme gilt im Fall eines Geständnisses. Die Regierungsparteien hatten sich jedoch bereits im Koalitionsvertrag für eine Erweiterung der Wiederaufnahme zu Ungunsten freigesprochener Angeklagter für „nicht verjährbare Straftaten“, also Mord und Völkermord ausgesprochen. Diese Idee greift nun ein JuMiKo-Antrag von Bayern auf: Eine Wiederaufnahme soll bei diesen Vorwürfen möglich sein, „wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden nachträglich der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann“. Konkret bezieht sich der Antrag auf die DNA-Analyse.

Abgesehen davon, dass eine DNA-Spur kein DNA-Beweis ist, dürfte ein solches Vorhaben verfassungswidrig sein: „
Das Grundgesetz hat sich im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit eindeutig für die Rechtskraft entschieden“, betont
Stefan Conen, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses.
„Art. 103 Abs. 3 verbietet nach allgemeiner Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch. Für einen ‚Freispruch light‘ unter dem Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis gibt es insofern keinen Raum.“

Begrüßenswertes Update der Revisionsbegründungsfrist

Gerade in umfangreichen Strafprozessen ist die Diskrepanz zwischen der nach Dauer der Hauptverhandlung gestaffelten Urteilsabsetzungsfrist und der zwingend einmonatigen Revisionsbegründungsfrist eklatant. Das macht eine effektive Verteidigung im Revisionsverfahren nahezu unmöglich. In der Beschlussvorlage von Rheinland-Pfalz wird nun für Revisionsbegründungen eine gestaffelte Frist in Anlehnung an die Urteilsabsetzungsfrist vorgeschlagen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.

In seiner
Initiativstellungnahme 47/20 hatte der DAV bereits eine ähnliche Regelung gefordert, ging jedoch noch weiter: Gleichzeitig sollte die Urteilsabsetzungsfrist auf höchstens 27 Wochen begrenzt werden – dies ist die Frist, die aktuell bei mehr als 100 Sitzungstagen gilt. Geboten ist auch die Einführung einer Frist für die Fertigstellung des Sitzungsprotokolls: unverzüglich, spätestens nach einer Woche. Um eine effektive Verteidigung sicherzustellen, sollte eine Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund gelten oder zumindest einen Unterbrechungsanspruch gewähren.

Ersatzfreiheitsstrafen reformieren

Der Antrag von Rheinland-Pfalz sieht zwar keine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen vor; es soll lediglich ein Reformbedarf geprüft werden, insbesondere zum Umrechnungsmaßstab: 1 Tagessatz = 1 Hafttag. Dass das System der Ersatzfreiheitsstrafen kritisch hinterfragt wird, ist zu begrüßen. Dies sollte umfassend geschehen.

Solange die Ersatzfreiheitsstrafe – und vor allem deren Androhung – für die Vollstreckungsbehörden unverzichtbar ist, sind Schutzmechanismen im Verfahren zu verankern: Eine zwingende richterliche Anhörung und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers böten sich hier an. Auch könnte man die Vollstreckung sachlich davon abhängig machen, ob die Uneinbringlichkeit Ausdruck von Rechtsungehorsam ist. Häufig liegt sie in der Natur des Ausgangsfalls begründet: Ersatzfreiheitsstrafen greifen meist bei serienmäßig begangenen Bagatelltaten wie der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein. Sie treffen Menschen, denen weniger der Rechtsbefolgungswille als die finanziellen Mittel fehlen. Die Inhaftierung wirkt dann nur entsozialisierend und stigmatisierend. Eine präventive Wirkung der kurzen Freiheitsstrafe ist nicht belegt. In diesen Fällen ist der Sozialstaat gefordert, nicht das Strafrecht, so der DAV.

Pressemitteilung vom
26.11.2020 11.33