BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 25.11.2020, AZ XII ZB 256/20, ECLI:DE:BGH:2020:251120BXIIZB256.20.0
Leitsatz
1. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. Das gilt auch bei einer von einem Familiensenat eines Oberlandesgerichts erteilten Rechtsbehelfsbelehrung, wenn der Fehler in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 24. Januar 2018 – XII ZB 534/17, FamRZ 2018, 699).
2. Zur Ausgangskontrolle bei Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax.
Verfahrensgang
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 17. Dezember 2019, Az: 2 UF 156/19
vorgehend AG Hamburg-St. Georg, 26. September 2019, Az: 983 F 238/18
Tenor
Die Anträge des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 17. Dezember 2019 werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluss wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.
Der Wert der Rechtsmittelverfahren wird – hinsichtlich des Werts des Beschwerdeverfahrens in Abänderung des vorgenannten Beschlusses – auf 25.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner, seinen früheren Schwiegersohn, auf Darlehensrückzahlung in Anspruch.
2
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Antragsgegner nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Zahlung von 25.500 € verpflichtet. Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 1. Oktober 2019 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, die am 4. November 2019 beim Amtsgericht eingegangen ist. Zugleich hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.
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Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung abgelehnt und die Beschwerde verworfen. Der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 2. Januar 2020 zugestellte Beschluss enthält die folgende Rechtsbehelfsbelehrung: „Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar“. Der Antragsgegner hat gegen den Beschluss zunächst Anhörungsrüge erhoben, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden ist. Unter dem 5. Mai 2020, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zugestellt am 25. Mai 2020, hat der Senatsvorsitzende in Bezug auf eine nochmalige Anhörungsrüge des Antragsgegners auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen.
4
Der Antragsgegner hat am 8. Juni 2020 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese am 24. Juni 2020 begründet. Er beantragt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist.
II.
5
Die Rechtsbeschwerde ist wegen Versäumung der mit dem 3. Februar 2020 (Montag) abgelaufenen Einlegungsfrist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht zu gewähren.
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1. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 233 ZPO liegen nicht vor. Denn die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist nicht unverschuldet versäumt worden. Der Antragsgegner muss sich insoweit das Verschulden seines zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
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a) Nach § 233 Satz 2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens zwar vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Dabei darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Die Fristversäumung ist mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2018 – XII ZB 534/17 – FamRZ 2018, 699 Rn. 7 mwN; vgl. BVerfG Beschluss vom 4. September 2020 – 1 BvR 2427/19 – juris Rn. 33 ff.).
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b) Nach diesen Maßstäben war die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unverschuldet, weil die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung für den zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners offenkundig war. Die Einordnung des vorliegenden Verfahrens als Familienstreitsache gehört zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts. Diese konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zweifelhaft sein, weil nur dadurch die Zuständigkeit des Familiengerichts begründet worden und zudem § 266 FamFG im Rubrum des angefochtenen Beschlusses als einschlägige Norm aufgeführt ist. Dass für Familienstreitsachen ihrer Rechtsnatur entsprechend weitgehend auf die Vorschriften des Zivilprozessrechts verwiesen wird, muss dem Rechtsanwalt ebenso bekannt sein wie die dort geltende zulassungsfreie Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen, durch die die Berufung als unzulässig verworfen worden ist (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Dementsprechend muss es zu seinem Grundwissen gehören, dass Entsprechendes nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auch für Familienstreitsachen gilt, wenn die Beschwerde (als unzulässig) verworfen worden ist.
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde handelt es sich hierbei nicht um eine „versteckte“ Regelung. Vielmehr handelt es sich bei § 117 FamFG um eine zentrale Vorschrift für Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen, die dem Rechtsanwalt bekannt sein muss. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Verfahrensbevollmächtigten um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch. Daran ändert der Umstand nichts, dass diese einfachen Anforderungen genügende Kenntnis des Verfahrensrechts selbstverständlich auch vom Familiengericht (hier: vom Familiensenat eines Oberlandesgerichts) zu verlangen ist, zumal der Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 2018 – XII ZB 534/17 – FamRZ 2018, 699 Rn. 9 mwN). Auch der Umstand, dass der Fehler dem Oberlandesgericht in der Folgezeit zunächst nicht aufgefallen ist, stellt die Offenkundigkeit des Fehlers noch nicht in Frage.
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Dementsprechend besteht auch für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung keine Grundlage.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist demnach unzulässig, weil der Antragsgegner die Einlegungsfrist versäumt hat.
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Überdies ist die Rechtsbeschwerde auch wegen Nichtvorliegens eines Zulassungsgrundes nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung macht zutreffend geltend, dass sich die vom Oberlandesgericht ausgesprochene Ablehnung der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hält. Das Oberlandesgericht hat insoweit entscheidend darauf abgestellt, dass die Einhaltung der notwendigen organisatorischen Vorkehrungen hinsichtlich der vor Streichung der Frist erforderlichen Kontrolle, ob die fristwahrende Handlung tatsächlich ausgeführt wurde oder ob diese noch aussteht (vgl. Senatsbeschluss vom 27. August 2014 – XII ZB 255/14 – FamRZ 2014, 1915 Rn. 7; BGH Beschluss vom 10. August 2016 – VII ZB 17/16 – NJW-RR 2016, 1403 Rn. 13 f. mwN), nicht dargelegt worden ist, was zur Glaubhaftmachung des fehlenden (nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden) Verschuldens erforderlich gewesen wäre.
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