BSG, Beschluss vom 18.11.2020, AZ B 1 KR 1/20 B, ECLI:DE:BSG:2020:181120BB1KR120B0
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Erstattung von Kosten für die Behandlung eines Tumors im Nasenrachenraum in Höhe von 80 236,10 Euro.
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Der Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. 2006 wurde bei ihm ein Tumor im Nasenrachenraum diagnostiziert. Er lehnte die durch das Universitätsklinikum F empfohlene Embolisation (Gefäßverschluss) und anschließende operative Entfernung des Tumors ab. Anstelle dessen nahm er eine alternativ-medizinische Therapie durch verschiedene Behandler wahr. Die am 4.1.2013 beantragte Kostenübernahme oder „adäquate Kostenbeteiligung“ an den zwischenzeitlich angefallenen Kosten in Höhe von insgesamt 80 236,10 Euro lehnte die Beklagte ab
(Bescheid vom 8.12.2014; Widerspruchsbescheid vom 30.9.2015). Die dagegen erhobene Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben
(SG-Urteil vom 12.3.2019; LSG-Beschluss vom 28.11.2019).
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Mit anwaltlichem Schriftsatz der Kanzlei M1 und M2 Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB von Freitag, dem 3.1.2020, auf dem Server des BSG am selben Tag um 15.55 Uhr eingegangen, hat der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss Beschwerde eingelegt. Er hat mitgeteilt, der LSG-Beschluss sei ihm am 4.12.2019 zugestellt worden, und die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde werde in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Der Schriftsatz ist (mit eingescannter Unterschrift) gezeichnet von Rechtsanwalt M2. Er ist ausweislich des Transfervermerks über einen sicheren Übermittlungsweg aus dem besonderen Anwaltspostfach (beA) des M1 am 3.1.2020 übersandt worden. Nach dem Prüfvermerk sind die übersandten Dokumente (Nichtzulassungsbeschwerde und LSG-Beschluss) nicht qualifiziert elektronisch signiert.
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Mit Schreiben vom 20.1.2020 hat die Berichterstatterin den Kläger darauf hingewiesen, dass wegen der fehlenden Namensidentität zwischen der Unterschrift unter der Nichtzulassungsbeschwerde (Rechtsanwalt M2) und des Inhabers des beA (Rechtsanwalt M1) Zweifel an einer wirksamen Einreichung einer Nichtzulassungsbeschwerdeschrift bestehen. Mit Schriftsatz vom 23.1.2020, am selben Tag auf dem Server des BSG eingegangen, hat erneut Rechtsanwalt M1 über sein beA einen von M2 signierten Schriftsatz versandt, in welchem er Verlängerung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bis zum 4.3.2020 beantragt hat. In Antwort auf den gerichtlichen Hinweis zur möglichen Formunwirksamkeit hat Rechtsanwalt M1 über sein beA am 24.1.2020 einen (von ihm selbst gezeichneten) Schriftsatz vom selben Tag übersandt. Er hat darin vorgetragen, er habe als beA-Postfachinhaber die Nichtzulassungsbeschwerde selbst übermittelt und zudem seine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) hinzugesetzt. Damit habe er die persönliche Verantwortung für den Inhalt des Nichtzulassungsbeschwerdeschreibens übernommen.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Sie ist innerhalb der Beschwerdefrist nicht in der vorgeschriebenen Form eingelegt worden. Wiedereinsetzungsgründe liegen nicht vor.
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1. Nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung der LSG-Entscheidung einzulegen. Vorliegend lief die Beschwerdefrist möglicherweise schon am Montag, den 6.1.2020 ab (so unter Zugrundelegung der Angaben des Prozessbevollmächtigten, dass der Beschluss des LSG ihm am 4.12.2019 zugestellt worden sei); spätestens aber lief die Frist am 20.1.2020 ab
(unter Zugrundelegung des bei den LSG-Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses; vgl dazu noch später). Innerhalb dieser Frist ist eine formgerechte Beschwerdeschrift nicht eingegangen.
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2. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bedarf – wie sich auch aus § 160a Abs 1 Satz 3 SGG ergibt – der Schriftform
(BSG vom 4.7.2018 – B 8 SO 44/18 B – juris RdNr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 4). Nach § 65a Abs 1 SGG kann anstelle des schriftlich einzureichenden Antrags ein elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Dieses muss von der verantwortenden Person entweder mit einer qeS versehen werden
(§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGG) oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden
(§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG). Im Falle der Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg bedarf es grundsätzlich keiner qeS
(BVerwG vom 4.5.2020 – 1 B 16/20, 1 PKH 7/20 – juris RdNr 5). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
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a) Der Schriftsatz vom 3.1.2020 erfüllt mangels qeS nicht die Formanforderung des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGG.
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Die als elektronisches Dokument übersandte Beschwerdeschrift ist am 3.1.2020 per beA übersandt und von Rechtsanwalt M2 einfach signiert (Namensangabe und eingescannte Unterschrift), aber nicht mit einer qeS versehen worden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Prüfvermerk vom 6.1.2020 („Qualifiziert signiert nach ERVB?: nein“). Soweit die Klägerbevollmächtigten in ihrem Schriftsatz vom 24.1.2020 das Gegenteil behaupten, haben sie dafür auch auf Nachfrage keinen Nachweis vorgelegt und ist auch sonst nicht erkennbar, worauf sich diese Behauptung stützt.
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b) Ebenso wenig erfüllt der Schriftsatz vom 3.1.2020 die Formanforderungen des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG. Für einen sicheren Übermittlungsweg iS von § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG ist erforderlich, dass die verantwortende Person das elektronische Dokument selbst versendet. Hieran fehlt es, denn beA-Inhaber und einfach signierende Person fallen auseinander.
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Die Beschwerdeschrift vom 3.1.2020 wurde zwar auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem beA übersandt. Dies ergibt sich aus dem vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) im Transfervermerk („Informationen zum Übermittlungsweg: Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“) und auch aus dem Prüfvermerk („Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“). Allerdings ist ein elektronisches Dokument, das aus einem beA versandt wird und nicht mit einer qeS versehen ist, nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt
(vgl BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 14; BAG vom 14.9.2020 – 5 AZB 23/20 – juris RdNr 20; noch offengelassen in BAG vom 24.10.2019 – 8 AZN 589/19 – juris RdNr 7; der Rechtsauffassung zustimmend zB Müller, FA 2019, 170, 172; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 65a RdNr 9a).
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Hieran fehlt es. Dies hat das BAG zu einer Konstellation entschieden, in welcher der versendenden Person der VHN fehlte und daher nicht sicher nachweisbar war, dass der Versand aus einem beA-Postfach auch tatsächlich durch dessen Inhaber erfolgte. Entsprechendes gilt aber, wovon das BAG ausgeht, auch dann, wenn einfache Signatur und beA-Inhaber von vornherein auseinanderfallen
(vgl Müller, FA 2019, 170, 172; vgl entsprechend verallgemeinernd BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 14). Ob sich dies schon aus dem Wortlaut der Norm ergibt oder die Norm insoweit offen formuliert ist, lässt der Senat dahingestellt
(für eine entsprechende Wortlautauslegung OLG Braunschweig vom 8.4.2019 – 11 U 146/18; vgl entsprechend auch Müller, FA 2019, 170, 172; dagegen BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 16). Denn jedenfalls folgt das aus der Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung.
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In systematischer Hinsicht steht der sichere Übermittlungsweg bei einer Signatur durch die verantwortende Person gleichrangig neben der qeS
(Müller, NZA 2019, 1682, 1683). Die qeS tritt ihrerseits an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift. Neben den sonstigen Funktionen der Unterschrift soll sie auch gewährleisten, dass das elektronische Dokument nicht spurenlos manipuliert werden kann
(Perpetuierungs- oder Integritätsfunktion, vgl BT-Drucks 14/4987 S 24 zu § 130a Abs 3 ZPO, auf den die Gesetzesbegründung zu § 65a SGG <BT-Drucks 15/4067 S 41, 37> Bezug nimmt; BGH vom 14.5.2013 – VI ZB 7/13 – BGHZ 197, 209). Diese Funktionen sollen auch bei einer einfachen Signatur und einem sicheren Übermittlungsweg garantiert werden. Zum Ausdruck kommt dieser Aspekt in den sonstigen bundeseinheitlichen Übermittlungswegen nach § 65a Abs 4 Nr 4 SGG. Sie sind nur dann als sichere Übermittlungswege anzusehen, wenn die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet sind. Der Gleichrang von qeS und sicherem Übermittlungsweg bei einfacher Signatur ergibt sich auch aus der Entwurfsbegründung zu § 130a ZPO. Dort heißt es, dass die das Dokument verantwortende Person das elektronische Dokument mit einer qeS nach dem Signaturgesetz versehen oder einen sicheren Übermittlungsweg nutzen muss
(BT-Drucks 17/12634 S 25). Beide Pflichten richten sich an die verantwortende Person
(BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20, juris RdNr 18).
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Sinn und Zweck des sicheren Übermittlungswegs stützen das Erfordernis der Personenidentität: Die Nutzung des konkret auf eine natürliche Person zurückführbaren beA-Postfachs soll gerade die fehlende technische Absicherung der einfachen Signatur ergänzen und damit die verantwortende Person hinreichend sicher identifizieren
(vgl Müller, FA 2019, 170, 172). Nur deshalb ist bei der Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs eine qeS als Identitätsnachweis entbehrlich, weil deren technische Sicherung durch das persönliche Postfach ersetzt wird
(vgl BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 20; bestätigend BAG vom 14.9.2020 – 5 AZB 23/20 – juris RdNr 14).
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Der erste den Formerfordernissen nach § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG genügende Schriftsatz war derjenige vom 24.1.2020 in Antwort auf das Hinweisschreiben des Senats. Zu diesem Zeitpunkt konnte die einmonatige Beschwerdefrist des § 160a Abs 1 Satz 2 SGG jedoch nicht mehr gewahrt werden, unabhängig davon, ob für die Zustellung des Beschlusses des LSG auf den 4.12.2019 oder auf das Datum des Empfangsbekenntnisses vom 20.12.2019 abzustellen ist.
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3. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 67 Abs 1 SGG voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.
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a) Gründe, welche den Kläger daran gehindert haben könnten, die Beschwerde rechtzeitig formgerecht einzulegen, haben die Prozessbevollmächtigten nicht vorgetragen. Ein etwaiger Rechtsirrtum des Rechtsanwalts, für den bislang nichts ersichtlich ist, ist regelmäßig nicht unverschuldet
(BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 37 mwN). Nach der bereits vor der Entscheidung des BAG vom 5.6.2020 herrschenden Meinung
(vgl die Nachweise in BAG aaO RdNr 13) musste den Bevollmächtigten das Erfordernis der Identität zwischen einfach signierender Person und beA-Inhaber bekannt sein
(vgl auch – die Problematik aufzeigend und noch offenlassend – BAG vom 24.10.2019 – 8 AZN 589/19 – juris RdNr 7). Sie hätten den sicheren Weg wählen und die Beschwerdeschrift mit einer qeS versehen müssen. Davon gehen im Übrigen auch die Prozessbevollmächtigten selbst in ihrem Schriftsatz vom 24.1.2020 aus. Sie geben darin die Rechtslage zutreffend wieder. Ihr Vorbringen lautet dementsprechend nicht dahingehend, dass (versehentlich) die Anforderungen des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG nicht erfüllt seien. Sie tragen vielmehr vor, dass sie die Beschwerdeschrift vom 3.1.2020 mit einer qeS versehen und daher formwirksam eingelegt hätten. Diese Behauptung wird durch den Transfervermerk jedoch widerlegt und ist nach dem Hinweis des Gerichts auf den Transfervermerk auch durch den Kläger nicht mehr wiederholt worden.
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b) Wiedereinsetzung kommt aber auch nicht wegen der Verletzung einer gerichtlichen Mitteilungspflicht in Betracht. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor.
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aa) Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten
(vgl zB BVerfG vom 14.4.1987 – 1 BvR 162/84 – BVerfGE 75, 183) und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet
(vgl BVerfG vom 19.10.1977 – 2 BvR 462/77 – BVerfGE 46, 202, 210; BVerfG vom 26.4.1988 – 1 BvR 669/87, 1 BvR 686/87, 1 BvR 687/87 – BVerfGE 78, 123, 126). Dementsprechend ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen
(vgl BVerfG vom 20.6.1995 – 1 BvR 166/93 – BVerfGE 93, 99, 114 f, dort zur Weiterleitung einer beim LG eingegangenen Berufung an das OLG; BSG vom 30.1.2002 – B 5 RJ 10/01 R – SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61 mwN).
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Welche Prüfungs- und Fürsorgepflichten das angegangene Gericht hat, hängt weitgehend von den Verhältnissen des Einzelfalls ab. Einerseits ist der Richter zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten verpflichtet. Andererseits muss auch die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden. Die Gerichte sind daher nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang des fristwahrenden Schriftsatzes bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten
(so schon BSG vom 10.12.1974 – GS 2/73 – BSGE 38, 248 = SozR 1500 § 67 Nr 1; BSG vom 14.12.2010 – B 10 EG 4/10 R – juris).
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Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken
(BAG vom 14.9.2020 – 5 AZB 23/20 – juris RdNr 27; BGH vom 21.3.2017 – X ZB 7/15 – RdNr 13). Dies nähme den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens
(BVerfG vom 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05 – BVerfGK 7, 198 ff, RdNr 10; BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – juris RdNr 39; BGH vom 18.10.2017 – LwZB 1/17 – juris RdNr 11). Ein Prozessbeteiligter kann aber erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt werden und dass die notwendigen Maßnahmen innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden
(vgl BSG vom 17.11.2015 – B 1 KR 130/14 B – juris RdNr 5 mwN; BSG vom 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B – SozR 4-1500 § 65a Nr 4 RdNr 11).
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Danach ist ein Verschulden des Senats für die verspätete formgerechte Beschwerdeeinlegung nicht gegeben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Frist zur formwirksamen Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am Montag, den 6.1.2020
(so Fristberechnung ausgehend von den eigenen Angaben des Klägervertreters, dazu bb) oder erst am 21.2.2020 ablief
(so Fristberechnung ausgehend vom Empfangsbekenntnis in den Akten des LSG, dazu cc).
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bb) Es entspricht grundsätzlich dem üblichen Geschäftsgang, wenn die richterliche Erstbearbeitung eines Dokuments wegen der regelmäßig erforderlichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten (Zuordnung des Dokuments zu einer Akte oder Anlegen der Akte; Zuständigkeitsbestimmung; Zutrag) nicht sofort oder unmittelbar am ersten Tag erfolgt
(BSG vom 12.10.2016 – B 4 AS 1/16 R – BSGE 122, 71 = SozR 4-1500 § 65a Nr 3). Dem Gericht ist kein Vorwurf zu machen, dass ein richterlicher Hinweis auf die formunwirksame Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht schon am 6.1.2020 erfolgte.
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Der Kläger hat seine Beschwerdeschrift am 3.1.2020, einem Freitagnachmittag, elektronisch formunwirksam eingereicht
(dazu siehe oben 2.) und in diesem Schriftsatz mitgeteilt, der angegriffene Beschluss des LSG sei ihm am 4.12.2020 zugestellt worden. Anlässlich der im ordnungsgemäßen Geschäftsgang am Montag, den 6.1.2020 erfolgten Erfassung der Nichtzulassungsbeschwerde wurde daher als (Ablauf der) Beschwerdefrist der 6.1.2020 eingetragen. Es hätte nicht mehr dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprochen, die Akte dann sofort der Berichterstatterin vorzulegen und umgehend noch an diesem Tag per elektronischem Rechtsverkehr oder Fax einen Hinweis zu erteilen. Denn zuvor bedurfte es noch verwaltungstechnischer Vorarbeiten.
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Auch tatsächlich ist der Schriftsatz der Berichterstatterin erst nach dem 6.1.2020 vorgelegt worden, sodass sich auch nicht aufgrund frühzeitig zutage tretender, offenkundiger Formfehler eine ausnahmsweise beschleunigte Handlungspflicht ergab
(vgl zu einer solchen Sonderkonstellation BAG vom 14.9.2020 – 5 AZB 23/20 – RdNr 29).
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An der Richtigkeit des durch den Klägerbevollmächtigten mitgeteilten Zustellungsdatums zu zweifeln, bestand keinerlei Anlass und daher für die Bearbeitung des richterlichen Hinweises keine Eile.
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cc) Auch im Folgenden hat der Senat nicht gegen eine Fürsorgepflicht infolge der Formunwirksamkeit verstoßen. Das Gericht verstieß nicht gegen den ordnungsgemäßen Geschäftsgang, indem es die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht vor Ablauf des 20.1.2020 über den Mangel der Authentifizierung unterrichtete.
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Das Empfangsbekenntnis wies als Zustelldatum den 20.12.2019 aus, sodass – die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses unterstellt – möglicherweise ein rechtzeitiger Hinweis des Gerichts auf die Formunwirksamkeit noch hätte erfolgen können. Allerdings spricht hier viel gegen die Richtigkeit des auf den 20.12.2019 lautenden Empfangsbekenntnisses, sodass die Vermutung der Richtigkeit anhand gegenteiliger Hinweise als widerlegt angesehen werden könnte: Der Kläger selbst hat als Zustellungsdatum den 4.12.2019 angegeben, er hat mit Schreiben vom 23.1.2020 Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 4.3.2020 beantragt, das Empfangsbekenntnis der Beklagten lautet auf den 4.12.2020, und bei Gericht wurde die Entscheidung am 2.12.2020 abgesandt
(vgl zum Nachweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses und des nach § 418 ZPO erbrachten Beweises BSG vom 8.7.2002 – B 3 P 3/02 R – SozR 3-1500 § 164 Nr 13 S 25 f mwN; BGH vom 13.6.1996 – VII ZB 12/96 – NJW 1996, 2514, jeweils mwN; BGH vom 14.10.2008 – VI ZB 23/08 – juris RdNr 8 mwN). Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an. Denn bis zum Absenden des Hinweisschreibens des Senats am 20.1.2020 ergaben sich keinerlei offenkundig zutage tretende Hinweise darauf, dass die Zustellung der LSG-Entscheidung zu einem späteren als dem vom Klägervertreter selbst angegebenen Zeitpunkt erfolgt wäre. Das Gericht war im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs nicht zu einer anlasslosen fortlaufenden Kontrolle der vom Kläger selbst mitgeteilten Daten verpflichtet.
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Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die das Empfangsbekenntnis enthaltenden vorinstanzlichen Akten am 15.1.2020 bei Gericht eingegangen sind, also am vierten Werktag vor Ablauf der nach dem Empfangsbekenntnis berechneten Beschwerdefrist. Teilt ein Rechtsanwalt bei Einlegung der Beschwerde ein Datum über die Zustellung mit – hier den 4.12.2019 – und legt er am vorletzten Werktag vor Ablauf der danach berechneten Frist – hier am 3.1.2020 – Beschwerde ein, muss ein Gericht auch nach Eingang der vorinstanzlichen Akten nicht umgehend abgleichen, ob das in der Beschwerdeschrift mitgeteilte Datum mit dem grundsätzlich maßgeblichen Datum im Empfangsbekenntnis übereinstimmt. Es stellte sich hier aufgrund der Beschwerdeakte der plausible Anschein ein, dass das LSG-Urteil am 4.12.2019 zugestellt worden war. Eine Hinweispflicht des Gerichts vor Ablauf des 20.1.2020 hätte nur bestanden, wenn die widersprüchlichen Angaben zum Datum der Zustellung zuvor tatsächlich aufgefallen wären. Dem war aber nicht so.
30
c) Ein fehlerhaftes Handeln des Gerichts ergibt sich auch nicht aus § 65a Abs 6 SGG. Diese Vorschrift betrifft lediglich Fehler, aufgrund derer das Dokument zur Bearbeitung bei Gericht nicht geeignet ist. Bei Fehlern hinsichtlich der Art und Weise der Übermittlung, insbesondere bei fehlerhaft signierten Dokumenten oder dem Fehlen einer erforderlichen qeS, ist § 65a Abs 6 SGG nicht anwendbar
(stRspr; vgl BSG vom 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B – juris RdNr 7 mit Anm von Plum, NJW 2018, 2224; BSG vom 20.3.2019 – B 1 KR 7/18 B – juris mit Anm von Müller, NZS 2019, 440 und 600).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.