Sozialgerichtliches Verfahren – Nichtzulassungsbeschwerde – Verfahrensmangel – Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid – keine Fortwirkung des Verfahrensmangels in die nächste Instanz (Beschluss des BSG 4. Senat)

BSG 4. Senat, Beschluss vom 30.10.2020, AZ B 4 AS 267/20 B, ECLI:DE:BSG:2020:301020BB4AS26720B0

§ 160 Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 105 Abs 1 S 1 SGG

Verfahrensgang

vorgehend SG Duisburg, 17. November 2016, Az: S 5 AS 4985/14, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Januar 2020, Az: L 6 AS 2394/16, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-sozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungs-grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch ein Verfahrensmangel
(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist
(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen
(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

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1. Grundsätzliche Bedeutung
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden
(stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 – B 7 AL 142/02 B – SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

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Der Kläger hält zum einen die Frage, ob bei einer Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II aufgrund von Vermögen von einem fiktiven Vermögensverbrauch auszugehen ist, für klärungsbedürftig. Der Kläger vermag es aber schon deshalb nicht, die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage darzulegen, weil er selbst auf die Rechtsprechung des BSG hinweist, wonach von einem fiktiven Vermögensverbrauch nicht auszugehen ist
(zuletzt BSG vom 20.2.2020 – B 14 AS 52/18 R – SozR 4-4200 § 12 Nr 32 RdNr 32 mwN; ferner etwa BSG vom 25.4.2018 – B 4 AS 29/17 R – juris RdNr 20 mwN). Hierbei handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um ein „Strukturprinzip“, sondern um die Folge der normativen Vorgaben der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1, § 12 SGB II, wonach Hilfebedürftigkeit nicht besteht, solange zu berücksichtigendes Vermögen vorhanden ist, und Hilfebedürftigkeit nicht fingiert werden kann.

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Aus den gleichen Gründen ist auch die Frage, für welchen Zeitraum einzusetzendes Vermögen zu berücksichtigen ist, nicht klärungsbedürftig. Aus den zitierten Normen und der zitierten Rechtsprechung des BSG ergibt sich, dass Vermögen solange zu berücksichtigen ist, solange es vorhanden ist
(BSG vom 25.4.2018 – B 4 AS 29/17 R – juris RdNr 20 mwN; BSG vom 20.2.2020 – B 14 AS 52/18 R – SozR 4-4200 § 12 Nr 32 RdNr 32 mwN). Insofern legt der Kläger aber auch die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht dar; er behauptet nicht einmal, dass sein Vermögen während des streitgegenständlichen Zeitraums den einschlägigen Vermögensfreibetrag unterschritten hätte, sondern erachtet dies nur für „denkbar“.

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Weiter ist der Kläger der Ansicht, dass die Frage, ob bei der Rücknahme wegen verwertbaren Vermögens geprüft werden muss, ob eine Härte vorliegt, weil der Rückforderungsbetrag die erhaltenen Leistungen erheblich übersteigt, grundsätzliche Bedeutung habe. Auch insofern hat er aber die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt, sondern selbst auf die Rechtsprechung des BSG verwiesen, wonach es auf das Verhältnis zwischen dem zu erstattenden Betrag und dem ursprünglich einzusetzenden Vermögenswert gerade nicht ankommt
(BSG vom 25.4.2018 – B 4 AS 29/17 R – juris RdNr 22 ff; BSG vom 25.4.2018 – B 14 AS 15/17 R – BSGE 125, 301 = SozR 4-4200 § 40 Nr 14, RdNr 23).

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Schließlich hält der Kläger für klärungsbedürftig, ob ein Anspruch auf Unterkunftskosten auch dann besteht, wenn die Unterkunft nur zeitlich zur Hälfte genutzt wird. Insofern hat der Kläger eine Klärungsbedürftigkeit aber nicht dargelegt, weil er nicht aufzeigt hat, warum sich diese Frage nicht schon anhand der bisherigen umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu § 22 SGB II beantworten lässt.

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2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung
(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen
(stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 – 8 BU 64/75 – SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN).

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Auch einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet. Er rügt zum einen, dass das SG zu Unrecht durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann aber nur auf einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG oder auf einen Mangel des Verfahrens vor dem SG, der in die nächste Instanz fortwirkt, gestützt werden
(BSG vom 13.7.2020 – B 4 AS 200/20 B ua – juris RdNr 7), also einen Mangel, der damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet
(Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 154 mwN; vgl auch BSG vom 8.4.2020 – B 12 R 24/19 B – juris RdNr 13). Der etwaige Mangel im erstinstanzlichen Verfahren, dass durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist, stellt aber regelmäßig keinen Mangel des Verfahrens vor dem LSG dar, durch dessen Entscheidung der Gerichtsbescheid vielmehr prozessual überholt ist
(vgl Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 105 RdNr 38), zumal wenn dieses selbst eine Sachentscheidung getroffen hat. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, warum es sich hier anders verhalten sollte.

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Der Kläger rügt zum anderen, dass das LSG gegen § 159 Abs 1 Nr 2 SGG verstoßen habe, weil es in der Sache entschieden und den Rechtsstreit nicht an das SG zurückverwiesen habe, obwohl dieses durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Damit kann ein Verfahrensmangel aber schon deswegen nicht bezeichnet werden, weil § 159 Abs 1 Nr 2 SGG die Zurückverweisung an das SG unter die Bedingung stellt, dass das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Zu der damit erforderlichen Kausalität zwischen Verfahrensmangel und Beweisaufnahme trägt der Kläger indes nichts vor.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.