BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 28.10.2020, AZ 7 VR 2/20, 7 VR 2/20 (7 A 14/20), ECLI:DE:BVerwG:2020:281020B7VR2.20.0
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerinnen gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. August 2020 im Hinblick auf die zugelassene Fällung der vom planfestgestellten Vorhaben beanspruchten Bäume wird abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragstellerinnen zu 1 und 2 jeweils die Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. August 2020 für das Vorhaben zum „Neubau S-Bahnlinie S4 (Ost) Hamburg – Bad Oldesloe, Planungsabschnitt 1 Hasselbrook – Luetkensallee in der Freien und Hansestadt Hamburg im Bezirk Wandsbek“, soweit die Fällung der vom planfestgestellten Vorhaben beanspruchten Bäume zugelassen worden ist. Sie beantragen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage, hilfsweise, der Beigeladenen im Wege einer Zwischenentscheidung das Fällen der Bäume zu untersagen, bis der Senat über den Aussetzungsantrag entschieden hat.
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Die Antragstellerin zu 1 ist Eigentümerin eines Grundstücks, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wandsbeker Gehölz liegt. Im Wandsbeker Gehölz will die Beigeladene ca. 120 Bäume fällen. Das Grundstück der Antragstellerin zu 1 soll in einem Umfang von 13 qm für den Bau einer Haltestelle und zusätzlich während der Bauzeit in einem Umfang von 69 qm für die Anlage einer Baustraße in Anspruch genommen werden. Das Grundstück der Antragstellerin zu 2 soll (u.a.) im Umfang von 333 qm während der Bauzeit für die Anlegung einer Baustraße und im Umfang von 251 qm dauerhaft durch eine dingliche Sicherung für das Setzen und Verbleiben von Erdankern in Anspruch genommen werden.
II
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1. Der Antrag ist zulässig.
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1.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. lfd. Nr. 41 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig. Der Neubau der S-Bahnlinie S4 (Ost) Hamburg – Bad Oldesloe ist im Bundesverkehrswegeplan als Teilmaßnahme des Knotens Hamburg aufgeführt und näher beschrieben. Der Knoten Hamburg ist seinerseits in der Anlage zu § 1 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz – BSWAG) vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3221) – Bedarfsplan für die Bundesschienenwege – unter Nr. 39 als „Vorhaben des Potenziellen Bedarfs, die in den VB aufsteigen können“ ausgewiesen. Durch die am 5. November 2018 bekanntgegebene Entscheidung des Bundesverkehrsministers über die Bewertung der Schienenausbauvorhaben des Potenziellen Bedarfs ist er in den vordringlichen Bedarf aufgestiegen und Teil des in der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG unter Nr. 41 und gleichzeitig im Bedarfsplan für Bundesschienenwege in Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 unter Nr. 25 als vordringlicher Bedarf Großknoten Hamburg ausgewiesen geworden. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss ist daher nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG kraft gesetzlicher Anordnung sofort vollziehbar.
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1.2. Die Antragstellerinnen sind als Eigentumsbetroffene antragsbefugt. Teile von deren Grundstücken sollen für das planfestgestellte Vorhaben dauerhaft bzw. zumindest vorübergehend in Anspruch genommen werden. Als Grundstückseigentümer können sie geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss unmittelbar in ihren Rechten aus Art. 14 GG verletzt zu sein (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 – 4 A 5.14 – BVerwGE 154, 73 Rn. 19 sowie Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 6.19 – juris Rn. 6).
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2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
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2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss anordnen.
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In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es – wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen – nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2015 – 7 VR 6.14 – NVwZ-RR 2015, 250 Rn. 8 m.w.N. sowie vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 6.19 – juris Rn. 9).
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Bei der Gewichtung der einander gegenüberstehenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist von maßgeblicher Bedeutung, dass der Gesetzgeber ausweislich des § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG dem Vollzugsinteresse – und damit der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen – erhebliches Gewicht beimisst (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 2005 – 4 VR 1005.04 – BVerwGE 123, 241 <244>, vom 6. März 2014 – 9 VR 1.14 – juris Rn. 7 und vom 5. Juli 2018 – 9 VR 1.18 – NVwZ 2018, 1653 Rn. 10). Eine längere Dauer des vorangegangenen Planfeststellungsverfahrens schmälert das Gewicht dieses Vollzugsinteresses nicht.
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Vorliegend sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten. Zum einen verträgt die Entscheidung über den Antrag keinen Aufschub. Zum anderen werden von den Antragstellerinnen Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
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Die Entscheidung über den Antrag ist dringlich. Dies folgt aus dem Beschleunigungsgebot, das sich aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit – und damit zugunsten der unverzüglichen Umsetzung – von Planfeststellungsbeschlüssen für den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, für die – wie hier – nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, ergibt. Zudem ergibt sich eine besondere Eilbedürftigkeit daraus, dass zur Baufeldfreimachung die Beigeladene Rodungsarbeiten durchführen muss, die aus naturschutzrechtlichen Gründen nur bis Ende Februar durchgeführt werden dürfen. Falls die vorgesehenen Rodungsarbeiten nicht bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sind, hätte dies eine deutliche Verzögerung der Umsetzung des Vorhabens von einem Jahr zur Folge.
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Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses stellen sich zudem Sach- und Rechtsfragen, die erst im Zuge der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden können. Dies gilt namentlich im Hinblick auf die von den Antragstellerinnen gerügte fehlende Planrechtfertigung und die geltend gemachten Defizite der durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Verstöße gegen naturschutzrechtliche Vorschriften und gegen das Abwägungsgebot, weil das Vorhaben ohne Prüfung sich aufdrängender Alternativen planfestgestellt worden sei. Die Antragstellerinnen haben hierbei als unmittelbar Eigentumsbetroffene grundsätzlich einen Anspruch auf vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses.
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2.2. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen überwiegen das Suspensivinteresse der Antragstellerinnen. Ausgehend von der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit ist hierfür maßgeblich, dass mit einer Fortsetzung der von der Beigeladenen begonnenen Arbeiten keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen zulasten Drittbetroffener eintreten. Vollendete Tatsachen werden nicht geschaffen. Sollten sich die bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache durchgeführten bauvorbereitenden Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen.
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Dem steht nicht entgegen, dass nach einer Wiederbepflanzung gerodeter Flächen vor dem Erreichen des ursprünglichen Zustands Neuanpflanzungen zunächst noch eine Anwachsphase durchlaufen müssen (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 6.19 – juris Rn. 15). Der Gesetzgeber setzt Ausgleich und Ersatz für Eingriffe in Natur und Landschaft (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG) nicht mit einer Naturalrestitution im naturwissenschaftlichen Sinne gleich. Vielmehr nimmt er im Rahmen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft eine vorübergehende Verschlechterung des ökologischen Zustands hin, weil es auf der Hand liegt, dass etwa ein ausgewachsener Baum erst Jahre später gleichwertig substituiert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 – 9 A 17.11 – juris Rn. 149 m.w.N. [insoweit in BVerwGE 145, 40 nicht abgedruckt]). Für eine Rückgängigmachung von Eingriffen in Natur und Landschaft kann nichts anderes gelten. Entsprechendes gilt auch für die Rückgängigmachung von etwaigen Eingriffen in Hausgärten. Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, bei einigen der zu fällenden Bäume handele es sich um naturschutzfachlich wertvolle große Stieleichen, die sich unter heutigen klimatischen Bedingungen nicht mehr zu gleicher Größe entwickeln würden, haben die Antragstellerinnen keine Unumkehrbarkeit von Beeinträchtigungen substantiiert dargelegt. Zwar hat die Behörde für Umwelt und Energie in ihrer Stellungnahme im Erörterungstermin vom 13. Juni 2018 geäußert, alte Bäume könnten heute nicht mehr in Hamburg entstehen, weil es sich um Relikte handele. Allerdings ist die gleiche Behörde in ihren Stellungnahmen vom 25. August 2017 und vom 13. Dezember 2019 ohne Weiteres von einer Kompensationsmöglichkeit ausgegangen. So verhält es sich auch mit den Einzelbaumbewertungen des planfestgestellten landschaftspflegerischen Begleitplans. Die Vorhabenträgerin hat darüber hinaus bei einem öffentlich bestellten und vereidigten Baumsachverständigen zwei Gutachten zur Inanspruchnahme des wertvollen Bewuchses im Wandsbeker Gehölz in Auftrag gegeben, die insbesondere zum Zustand und zur Erhaltungsmöglichkeit der von der Baustraßenerstellung betroffenen Bäume Stellung nehmen. Im Ergebnis der Begutachtung wird die Vorhabenträgerin bestimmte Schutzmaßnahmen treffen und bei ihrer Ausführungsplanung prüfen, inwieweit durch eine Anpassung der Baustraßen eine weitere Verminderung der Inanspruchnahmen möglich ist (PFB, S. 343).
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Vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung des Senats in der Hauptsache voraussichtlich im Jahr 2021 und mithin während der laufenden Ausbaumaßnahmen erfolgen soll, ist vor der Entscheidung über die erhobene Klage auch mit keinen dem planfestgestellten Ausbau zuzurechnenden betriebsbedingten Beeinträchtigungen der Antragstellerinnen zu rechnen.
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Mit der Ablehnung des Aussetzungsantrags erledigt sich der weitere Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.