BGH 12. Zivilsenat, EuGH-Vorlage vom 28.10.2020, AZ XII ZB 187/20, ECLI:DE:BGH:2020:281020BXIIZB187.20.0
Art 1 Abs 1 Buchst a EGV 2201/2003, Art 2 Nr 4 EGV 2201/2003, Art 21 Abs 1 EGV 2201/2003, Art 46 EGV 2201/2003
Leitsatz
Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
a. Handelt es sich bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne der Brüssel IIa-Verordnung?
b. Für den Fall der Verneinung von Frage a): Ist eine Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) entsprechend der Regelung des Art. 46 der Brüssel IIa-Verordnung zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen zu behandeln?
Verfahrensgang
vorgehend KG Berlin, 30. März 2020, Az: 1 W 236/19, Beschluss
vorgehend AG Schöneberg, 1. Juli 2019, Az: 71a III 15/19
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 lit. a, Art. 2 Nr. 4, Art. 21 Abs. 1, Art. 46 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Handelt es sich bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne der Brüssel IIa-Verordnung?
2. Für den Fall der Verneinung von Frage 1: Ist eine Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) entsprechend der Regelung des Art. 46 der Brüssel IIa-Verordnung zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen zu behandeln?
Gründe
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I. Sachverhalt
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Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die in Italien durch übereinstimmende Erklärungen der Ehegatten vor dem Zivilstandsbeamten erfolgte Beendigung der Ehe der Beteiligten zu 3 und 4 ohne weiteres Anerkennungsverfahren im deutschen Eheregister zu beurkunden ist.
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Die Beteiligte zu 3 hat die deutsche und die italienische Staatsbürgerschaft, der Beteiligte zu 4 ist italienischer Staatsbürger. Die beiden schlossen am 20. September 2013 vor dem Standesamt Mitte von Berlin die Ehe, was im Eheregister beurkundet wurde.
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Am 30. März 2017 erschienen die Ehegatten vor dem Standesamt (Ufficio di Stato Civile) in Parma und erklärten, keine minderjährigen, pflegebedürftigen volljährigen, schwerbehinderten volljährigen oder wirtschaftlich unselbständigen volljährigen Kinder zu haben, untereinander keine Vereinbarungen zur Übertragung von Vermögen zu treffen und die einvernehmliche Trennung zu wollen. Diese Erklärung bestätigten sie am 11. Mai 2017 persönlich vor dem Standesamt. Am 15. Februar 2018 erschienen sie dort erneut, nahmen auf ihre Erklärungen vom 30. März 2017 Bezug und erklärten, sie wünschten die Auflösung ihrer Ehe, worüber kein Verfahren anhängig sei. Nachdem sie diese Erklärungen gegenüber dem Standesamt Parma am 26. April 2018 bestätigt hatten, stellte dieses der Beteiligten zu 3 am 2. Juli 2018 eine Bescheinigung gemäß Art. 39 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 aus, in der die Scheidung der Ehe mit Wirkung vom 15. Februar 2018 bestätigt wird.
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Die Beteiligte zu 3 hat das Standesamt Mitte von Berlin (Beteiligter zu 1) ersucht, diese Scheidung im deutschen Eheregister zu beurkunden. Das Standesamt hat jedoch Zweifel, ob die Beurkundung zunächst eine Anerkennung nach § 107 FamFG voraussetzt, und hat die Sache über die Standesamtsaufsicht (Beteiligte zu 2) dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Amtsgericht hat das Standesamt mit Beschluss vom 1. Juli 2019 angewiesen, „die am 15.02.2018 erfolgte außergerichtliche Privatscheidung (…) erst nach erfolgter Anerkennung durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG dem Eheregistereintrag (…) beizuschreiben.“ Den daraufhin gestellten Anerkennungsantrag der Beteiligten zu 3 wies die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zurück, weil es sich nicht um eine anerkennungsbedürftige Entscheidung handele. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 3 ist noch beim Kammergericht anhängig.
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Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Juli 2019 eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 3 ist erfolgreich gewesen: Das Kammergericht hat den amtsgerichtlichen Beschluss abgeändert und das Standesamt angewiesen, „die Fortführung des Eheregistereintrags (…) nicht von der vorherigen Anerkennung der in Italien erfolgten Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 3 und 4 durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung abhängig zu machen.“
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Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 (Standesamtsaufsicht), mit der diese die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erstrebt.
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II. Zur deutschen Rechtslage
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Gemäß § 5 Abs. 1 PStG sind Registereinträge fortzuführen, indem sie nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes durch Folgebeurkundungen und Hinweise ergänzt und berichtigt werden. Die Fortführung des Eheregisters als einem der vom Standesamt geführten Personenstandsregister (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PStG) regelt § 16 PStG. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PStG werden zum Eheeintrag Folgebeurkundungen über die Aufhebung oder die Scheidung der Ehe aufgenommen. Lehnt das Standesamt die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann es gemäß § 49 Abs. 1 PStG auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde durch das Gericht dazu angewiesen werden; als Ablehnung gilt auch, wenn das Standesamt in Zweifelsfällen von sich aus die Entscheidung des Gerichts darüber herbeiführt, ob eine Amtshandlung vorzunehmen ist (§ 49 Abs. 2 PStG).
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Grundlage für eine Folgebeurkundung im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PStG kann auch eine im Ausland ergangene rechtskräftige Entscheidung sein. Eine Entscheidung, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt wird, wird nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Deutschland grundsätzlich allerdings nur anerkannt, wenn die zuständige Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen (zu den Anerkennungshindernissen vgl. § 109 FamFG). Dieses Anerkennungsverfahren ist jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – eine ausländische Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in irgendeiner Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat, auch für sog. Privatscheidungen eröffnet (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2020 – XII ZB 158/18 – juris Rn. 17 mwN). Zwar sind die im Heimatstaat beider Ehegatten durchgeführten Auslandsscheidungen – auch Privatscheidungen – gemäß § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG vom obligatorischen Anerkennungsverfahren ausgenommen. Die Anwendung dieser Norm ist aber von vornherein ausgeschlossen, wenn – wie hier – wenigstens einer der beiden Ehegatten neben der gemeinsamen Staatsangehörigkeit des ausländischen Entscheidungsstaats auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2020 – XII ZB 158/18 – juris Rn. 19 f. mwN).
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Des Anerkennungsverfahrens bedarf es hingegen nicht, wenn die betreffende Auslandsentscheidung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer Dänemark) ergangen ist. Denn gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG bleiben Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union von den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) unberührt. Liegt daher eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: Brüssel IIa-Verordnung) vor, wird sie in Deutschland anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Zur Fortführung des Eheregisters genügt dann die Vorlage der Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO.
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III. Zur italienischen Rechtslage
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Auf der Grundlage des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (im Folgenden: DL Nr. 132/2014), umgewandelt in das Gesetz Nr. 162 vom 10. November 2014 (vgl. Scalzini StAZ 2016, 129), müssen sich Ehegatten nicht mehr an das Gericht wenden, wenn sie die Scheidung der Ehe wollen, sondern können auch den Weg der Scheidung durch bloße Vereinbarung wählen (vgl. zum Ganzen Henrich in Bergmann/Ferid Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Italien S. 41 f., 135 f. sowie Cubeddu Wiedemann/Henrich FamRZ 2015, 1253 ff.). Für die Auflösung der Ehe ist insoweit ein Urteil als konstitutiver Akt nicht mehr notwendig (vgl. Patti in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 105, 107).
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Nach dem rückwirkend zum 13. September 2014 in Kraft gesetzten Art. 6 DL Nr. 132/2014 können die Ehegatten dabei zum einen die Scheidung in Gegenwart ihrer Anwälte vereinbaren. Sind keine betreuungsbedürftigen Kinder vorhanden, ist die Vereinbarung an den Staatsanwalt bei dem zuständigen Gericht weiterzuleiten. Dieser prüft, ob betreuungsbedürftige Kinder vorhanden sind und die Trennungsfrist des Art. 3 Nr. 2b Abs. 2 des Eheauflösungsgesetzes vom 1. Dezember 1970 (sechs Monate bei einvernehmlicher Scheidung, vgl. Gesetz Nr. 55 vom 6. Mai 2015) eingehalten ist (vgl. dazu etwa Patti in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 105, 111 f.). Liegen keine Unregelmäßigkeiten vor, erklärt er gegenüber den Anwälten sein „bedenkenfrei“ („nulla osta“). Die Vereinbarung hat dann die Wirkung und tritt an die Stelle der gerichtlichen Entscheidung. Bei Vorhandensein von betreuungsbedürftigen Kindern ist die Vereinbarung innerhalb von zehn Tagen an den Staatsanwalt bei dem zuständigen Gericht weiterzuleiten. Erachtet dieser die Vereinbarung den Kindesinteressen entsprechend, genehmigt er sie mit der bereits dargestellten Folge der Entscheidungsersetzung. Anderenfalls leitet er sie innerhalb von fünf Tagen an den Gerichtspräsidenten zur Entscheidung weiter (vgl. Cubeddu Wiedemann/Henrich FamRZ 2015, 1253, 1255).
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Zum anderen können die Ehegatten gemäß dem am 12. Dezember 2014 in Kraft getretenen Art. 12 Abs. 1 DL Nr. 132/2014 vor dem örtlich zuständigen Bürgermeister als dem obersten Zivilstandsbeamten – auch ohne anwaltliche Unterstützung – eine Vereinbarung über die Scheidung treffen, sofern nicht (wie Art. 12 Abs. 2 DL Nr. 132/2014 regelt) minderjährige Kinder oder volljährige Kinder, die geschäftsunfähig, schwer behindert oder wirtschaftlich unselbständig sind, vorhanden sind. Der Zivilstandsbeamte nimmt die persönlichen Erklärungen der Ehegatten, in die keine Vermögensübertragungen einbezogen werden können, entgegen und lädt die Ehegatten ein, nicht früher als 30 Tage nach Eingang der Erklärungen vor ihm zu erscheinen, um die Vereinbarung zu bestätigen (Art. 12 Abs. 3 DL Nr. 132/2014). Während des Zeitraums zwischen Abgabe der Erklärungen und Bestätigung kann der Zivilstandsbeamte den Wahrheitsgehalt der Erklärungen der Ehegatten (Nichtvorhandensein von betreuungsbedürftigen Kindern) überprüfen und die Ehegatten haben die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu überdenken und es sich eventuell anders zu überlegen (vgl. Cubeddu Wiedemann/Henrich FamRZ 2015, 1253, 1257; Cubeddu Wiedemann/Wiedemann in Süß/Ring Eherecht in Europa 3. Aufl. Teil C Rn. 194; Henrich Internationales Scheidungsrecht 4. Aufl. Rn. 45; Patti in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 105, 114; Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 362; Mayer StAZ 2018, 106, 108). Die bestätigte Vereinbarung tritt wiederum an die Stelle der gerichtlichen Entscheidung.
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IV. Zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
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Die Frage, ob die Scheidung durch übereinstimmende Erklärungen der Ehegatten vor dem Personenstandsbeamten nach italienischem Recht vom Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung erfasst wird, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Wenn die Frage zu verneinen ist, wäre die Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht begründet und würde zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses führen. Anderenfalls wäre die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
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1. In der deutschsprachigen Literatur ist streitig, ob die Brüssel IIa-Verordnung auf Scheidungen wie diejenige auf der Grundlage von Art. 12 DL Nr. 132/2014 anzuwenden ist, bei denen nicht ein konstitutiver staatlicher Akt die Scheidung bewirkt, sondern die übereinstimmenden Erklärungen der Ehegatten zur Eheauflösung führen (vgl. etwa die Darstellung bei Antomo StAZ 2020, 33, 41 f. mwN).
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a) Teilweise wird – wie vom Beschwerdegericht in der angefochtenen Entscheidung – die Anwendbarkeit der Brüssel IIa-Verordnung auf die in Italien gemäß Art. 12 DL Nr. 132/2014 erfolgte Scheidung bejaht (Dutta FamRZ 2020, 1217 f.; Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 368; Scalzini StAZ 2016, 129, 131; wohl auch Mankowski NZFam 2020, 453) oder zumindest für möglich gehalten (Helms in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 337, 347; Kohler/Pintens FamRZ 2016, 1509, 1515 f.; Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1040, allerdings nur für die Scheidung gemäß Art. 6 DL Nr. 132/2014).
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Zur Begründung wird angeführt, der Wortlaut der Brüssel IIa-Verordnung und insbesondere deren Entscheidungsbegriff seien weit genug, um neue Formen von behördlich begleiteten Scheidungen in den Mitgliedstaaten zu erfassen (Helms in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 337, 347; Kohler/Pintens FamRZ 2016, 1509, 1515 f.; vgl. auch Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 368), zumal die Standesbeamten als „Gericht“ bzw. „Richter“ im Sinne der weiten Definition von Art. 2 Nr. 1 und 2 Brüssel IIa-VO zu betrachten seien (Scalzini StAZ 2016, 129, 131). In der Sache bedeute es zum einen keinen Unterschied, ob eine Ehe – wie etwa in Portugal – durch einen Standesbeamten bzw. ohne große materiell-rechtliche Prüfung durch ein Gericht oder – wie nach Art. 12 DL Nr. 132/2014 – durch die Erklärung der Ehegatten vor dem Standesbeamten geschieden werde (vgl. Dutta FF 2018, 60, 63; Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 368; Henrich Internationales Scheidungsrecht 4. Aufl. Rn. 46; Kohler/Pintens FamRZ 2016, 1509, 1515 f.). Für die Einbeziehung auch solcher Ehescheidungen in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung spreche zudem deren Sinn und Zweck, für eine reibungslose Anerkennung von Ehesachen in der Europäischen Union zu sorgen (Dutta FamRZ 2020, 1217 f.), zumal auf diese Weise hinkende Statusverhältnisse vermieden werden könnten (Helms in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 337, 347). Dies gelte umso mehr, als sich der Trend zur „Dejuriditionalisierung“ des Scheidungsrechts in den Mitgliedstaaten fortsetze (Dutta FamRZ 2020, 1217 f.).
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Vereinzelt wird zudem vertreten, Art. 46 Brüssel IIa-VO sei auf Scheidungen wie diejenige nach Art. 12 DL Nr. 132/2014 (entsprechend) anwendbar (Mayer StAZ 2018, 106, 112; vgl. auch Coester-Waltjen IPrax 2018, 238, 239). Nach dieser Bestimmung werden öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, sowie Vereinbarungen zwischen den Parteien, die in dem Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, unter denselben Bedingungen wie Entscheidungen anerkannt und für vollstreckbar erklärt, woraus sich letztlich die Anerkennung der Ehescheidung ohne besonderes Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 Brüssel-IIa-VO ergebe.
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b) Demgegenüber verneint eine andere Auffassung die Anwendbarkeit der Brüssel IIa-Verordnung auf die italienische Standesamtsscheidung (Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 2 Rn. 20; Cubeddu Wiedemann/Henrich FamRZ 2015, 1253, 1258 f.; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. K Rn. 18; Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7; Krömer StAZ 2017, 59; NK-BGB/Andrae 3. Aufl. Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 9a; vgl. auch Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 362; Keidel/Dimmler FamFG 20. Aufl. § 107 Rn. 7; Zöller/Geimer ZPO 33. Aufl. Art. 21 EuEheVO Rn. 16).
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Die Vertreter dieser Meinung sehen die konstitutive Mitwirkung eines Gerichts oder einer Behörde an der Ehescheidung als unabdingbare Voraussetzung für das Vorliegen einer Entscheidung im Sinne der Brüssel IIa-Verordnung an; nicht ausreichend sei dagegen eine bloß formelle Kontrollbefugnis oder eine reine Registrierungsfunktion der ausländischen Behörde (vgl. etwa Cubeddu Wiedemann/Henrich FamRZ 2015, 1253, 1258 f.; Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7; Krömer StAZ 2017, 59; NK-BGB/Andrae 3. Aufl. Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 9a; vgl. auch Gärtner Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht S. 337). Bei dem mit Art. 21 Brüssel IIa-Verordnung geregelten Verzicht auf ein besonderes Anerkennungsverfahren habe der Unionsgesetzgeber auf die Kompetenz der mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden und ihrer Entscheidungen vertraut, so dass es bei bloßen Rechtsgeschäften der Ehegatten an einem tauglichen Anerkennungsobjekt fehle (Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7). Für die Scheidung gemäß Art. 12 DL Nr. 132/2014 seien allein die privatautonomen Erklärungen der Ehegatten konstitutiv, so dass es sich um eine Privatscheidung handele (Mayer StAZ 2018, 106, 109), auf die die Brüssel IIa-Verordnung nicht anwendbar sei (vgl. etwa Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 2 Rn. 20; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. K Rn. 18; Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7). Denn es fehle an einer materiellen Kontrollbefugnis der Behörde, worin einige (Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 2 Rn. 20; NK-BGB/Andrae 3. Aufl. Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 9a; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. K Rn. 19) den wesentlichen Unterschied zur Scheidung nach Art. 6 DL Nr. 132/2014 – die die konstitutive Unbedenklichkeitserklärung bzw. Genehmigung des Staatsanwalts erfordere – sehen. Die von Art. 12 DL Nr. 132/2014 vorgesehene Mitwirkung des italienischen Zivilstandsbeamten sei demgegenüber als allein zur Form gehörend einzustufen (Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7; NK-BGB/Andrae 3. Aufl. Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 9a; vgl. auch Henrich in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 361, 362).
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2. Der Senat neigt der letztgenannten Ansicht zu.
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Die Beantwortung der Frage, ob die italienische Standesamtsscheidung in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung fällt, hängt davon ab, wie der von der Verordnung verwendete Begriff der „Entscheidung“ zu verstehen ist. Hierfür maßgeblich ist eine verordnungsautonome Auslegung, die unter Berücksichtigung von Wortlaut und Kontext der Vorschrift sowie des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. etwa EuGH Urteile vom 17. Oktober 2018 – Rs. C-393/18 PPU – FamRZ 2019, 132 Rn. 46 mwN und vom 31. Mai 2018 – Rs. C-335/17 Valcheva./.Babanarakis – FamRZ 2018, 1083 Rn. 19). Hierzu hat der Senat Folgendes erwogen:
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a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich dem Verordnungstext kein zwingendes Kriterium zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage entnehmen lässt. Gemäß Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO ist „Entscheidung“ im Sinne der Verordnung jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates erlassene Entscheidung über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sowie jede Entscheidung über die elterliche Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung wie etwa Urteil oder Beschluss. Als „Gericht“ sind nach Art. 2 Nr. 1 Brüssel IIa-VO alle Behörden der Mitgliedstaaten anzusehen, die für in den Anwendungsbereich der Verordnung fallende Rechtssachen zuständig sind. Daraus lässt sich zwar ableiten, dass es des Tätigwerdens einer staatlichen Behörde bedarf, um von einer Entscheidung ausgehen zu können. Es sind aber keine zwingenden Schlüsse darauf möglich, welcher Art dieses Tätigwerden sein muss. Allerdings weist die Formulierung „erlassene Entscheidung“ in die Richtung einer konstitutiven, nicht lediglich registrierenden Mitwirkung der staatlichen Behörde im Zusammenhang mit der Ehescheidung.
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Der weitere Verordnungstext, etwa Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO, umschreibt den Entscheidungsbegriff nicht näher, sondern setzt ihn voraus.
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b) Der Senat hat berücksichtigt, dass sich der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. Dezember 2017 (Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169) bereits mittelbar mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob Privatscheidungen dem Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung unterfallen.
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aa) Gegenstand des dortigen Verfahrens war die Frage, ob die durch die einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht in Syrien bewirkte Ehescheidung in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1259/2010 (Rom III-Verordnung) fällt. Der Europäische Gerichtshof hat verneint, dass es sich bei einer solchen Privatscheidung um eine „Ehescheidung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO handelt. Zwar seien Privatscheidungen nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgenommen. Doch Bezugnahmen der Rom III-Verordnung auf das Tätigwerden eines „Gerichts“ und das Vorhandensein eines „Verfahrens“ machten deutlich, dass ausschließlich solche Ehescheidungen erfasst sein sollten, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169 Rn. 39). Die sachlichen Anwendungsbereiche von Rom III-Verordnung und Brüssel IIa-Verordnung sollten miteinander im Einklang stehen, so dass die Definition des Begriffs der Ehescheidung in beiden Verordnungen übereinstimmen müsse (EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169 Rn. 40 ff.).
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Ziel der Rom III-Verordnung sei es, unter den teilnehmenden Mitgliedstaaten eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts zu begründen. Zur Zeit des Erlasses seien es nur öffentliche Organe gewesen, die in den Rechtsordnungen der an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten in diesem Bereich Entscheidungen mit rechtlicher Bedeutung erlassen konnten. Daher sei davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber nur Situationen vor Auge hatte, in denen die Ehescheidung entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen wird (EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169 Rn. 44 f.). Auch wenn seit Erlass der Rom III-Verordnung mehrere Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeführt hätten, Ehescheidungen ohne Tätigwerden einer staatlichen Behörde auszusprechen, wären für die Einbeziehung von Privatscheidungen in den Anwendungsbereich der Rom III-Verordnung Änderungen erforderlich, für die allein der Unionsgesetzgeber zuständig sei. Unter Berücksichtigung der Definition des Begriffs „Ehescheidung“ in der Brüssel IIa-Verordnung ergebe sich daher aus den mit der Rom III-Verordnung verfolgten Zielen, dass diese nur Ehescheidungen erfasse, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169 Rn. 47 f.).
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bb) Auch wenn der Europäische Gerichtshof damit eine Auslegung des Begriffs der „Ehescheidung“ in der Rom III-Verordnung vorgenommen hat, kann nach diesen Ausführungen eine „Entscheidung über die Ehescheidung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO nur dann angenommen werden, wenn die Ehescheidung von einem staatlichen Gericht oder einer öffentliche Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen worden ist. Jedenfalls darüber, welche Intensität und rechtliche Qualität diese Kontrolle haben muss, ist damit allerdings keine Aussage getroffen (vgl. Antomo StAZ 2020, 33, 42; Dutta FamRZ 2020, 1217, 1218; Prütting/Helms/Hau FamFG 5. Aufl. § 98 Rn. 7). Eine solche war angesichts des vom Europäischen Gerichtshof zu beurteilenden Falls, bei dem es bereits an der Mitwirkung einer staatlichen Stelle fehlte, auch nicht veranlasst.
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c) Nach der Rechtsprechung des Senats zum deutschen internationalen Privatrecht liegt eine Privatscheidung vor, wenn die Scheidung nicht durch die konstitutive Entscheidung einer staatlichen Stelle bewirkt, sondern im Wege eines – einseitigen oder beiderseitigen – Rechtsgeschäfts unter den Ehegatten herbeigeführt wird. Der rechtlichen Einordnung als Privatscheidung steht es dabei nicht entgegen, dass die Ordnungsmäßigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsakts in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht wird, welches seinerseits formalisierten Verfahrensvorschriften unterliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2020 – XII ZB 158/18 – juris Rn. 16; Senatsurteile BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409 Rn. 34 und vom 2. Februar 1994 – XII ZR 148/92 – FamRZ 1994, 434, 435). Maßgeblich ist danach, ob ein gerichtlicher oder behördlicher Hoheitsakt vorliegt, durch den die rechtliche Gestaltung bewirkt wird, also ob Rechtsgrund für die Eheauflösung der autoritative Ausspruch des Gerichts oder einer Behörde oder aber der privatautonome rechtsgeschäftliche Wille der Ehegatten ist (vgl. Geimer in Geimer/Schütze EuZivilVerfR Art. 21 EuEheVO Rn. 14; vgl. auch Henrich Internationales Scheidungsrecht 4. Aufl. Rn. 40; Rauscher/Rauscher EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 2 Brüssel IIa-VO Rn. 9; Staudinger/Spellenberg [2015] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 20; Staudinger/Spellenberg [2016] § 109 FamFG Rn. 333; Wall StAZ 2020, 33 f. mwN; Zöller/Geimer ZPO 33. Aufl. Art. 21 EuEheVO Rn. 16). Letzteres ist nicht der Fall bei Scheidungen, bei denen sich die staatliche Mitwirkung auf Tätigkeiten beschränkt, die mit Warn-, Klarstellungs-, Beweis- oder Beratungsfunktionen umschrieben werden können (Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 2 Rn. 20).
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Nur eine solche konstitutive Mitwirkung einer staatlichen Stelle kann die Gewähr für einen Schutz des „schwächeren“ Ehegatten vor Nachteilen im Zusammenhang mit der Ehescheidung bieten, weil nur dann Gericht oder Behörde durch Ablehnung des staatlichen Mitwirkungsakts die Ehescheidung verhindern können (vgl. Staudinger/Spellenberg [2015] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 20). Für den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung kann aus Sicht des Senats insoweit nichts anderes gelten (vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Saumandsgaard vom 14. September 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./. Mamisch – NZFam 2017, 997 Rn. 55 ff.), weil Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO die Überlegung zugrunde liegt, dass von der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über die Ehescheidung eben diese Gewähr zu erwarten ist (vgl. auch Erwägungsgrund 21 zur Brüssel IIa-Verordnung). Inwieweit Gerichte und Behörden ihre solcherart begründete Kontrollfunktion in der Praxis dann regelmäßig ausüben, ist eine rechtstatsächliche Frage, die über die rechtliche Einordnung als Privatscheidung nichts besagt.
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Diese Erwägungen sprechen dafür, jedenfalls die italienische Standesamtsscheidung gemäß Art. 12 DL Nr. 132/2014 als von der Brüssel IIa-Verordnung nicht erfasste Privatscheidung einzuordnen. Denn nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen zum italienischen Recht besteht keine Prüfungskompetenz des italienischen Personenstandsbeamten, die diesen Anforderungen gerecht wird (vgl. auch Johanson jurisPR-FamR 16/2020 Anm. 7, Majer NZFam 2017, 1010; Staudinger/Spellenberg [2015] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 20). Anders könnte es sich hingegen aufgrund der mit dem Genehmigungs- bzw. Unbedenklichkeitserfordernis verknüpften Kontrollbefugnis des Staatsanwalts bei der – hier nicht gegebenen – Scheidung gemäß Art. 6 DL Nr. 132/2014 verhalten.
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d) Für diese Beurteilung spricht auch der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber bei Erlass der Brüssel IIa-Verordnung keine Veranlassung hatte, Vertragsscheidungsformen wie die nun in Italien vorgesehenen in seine Überlegungen und in seinen gesetzgeberischen Willen einzubeziehen, weil sie im Recht der Mitgliedstaaten zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehen waren (Antomo StAZ 2020, 33, 42; vgl. auch EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./.Mamisch – FamRZ 2018, 169 Rn. 45 ff.; Schlussanträge des Generalanwalts Saumandsgaard vom 14. September 2017 – Rs. C-372/16 Sahyouni./. Mamisch – NZFam 2017, 997 Rn. 65 f.). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass diese erst weit nach Erlass der Brüssel IIa-Verordnung geschaffene Möglichkeit einer Scheidung ohne konstitutiven staatlichen Mitwirkungsakt – mithin einer Privatscheidung – von der mit Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO verfolgten gesetzgeberischen Zielsetzung einer Entscheidungsanerkennung ohne gesondertes Verfahren gedeckt ist. Die teilweise geforderte weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Entscheidung würde daher die durch die europäische Kompetenzordnung vorgegebene gesetzgeberische Zuständigkeit missachten.
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e) Damit korrespondiert es, dass der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (ABl. EU Nr. L 178 S. 1; im Folgenden: Brüssel IIb-VO) inzwischen tätig geworden und eine ausdrückliche Regelung derartiger Fallgestaltungen für die Zeit ab dem 1. August 2022 (vgl. zu Einzelheiten insoweit die Übergangsbestimmungen in Art. 100 Brüssel IIb-VO) getroffen hat. Gemäß Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO (vgl. dazu Dutta FamRZ 2020, 1428 ff.) werden danach öffentliche Urkunden und Vereinbarungen unter anderem über eine Ehescheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung haben, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.
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Wie aus Erwägungsgrund 14 (ABl. EU Nr. L 178 S. 3) hervorgeht, sieht der Unionsgesetzgeber es als Voraussetzung einer Entscheidung an, dass die Billigung durch ein Gericht oder eine Behörde nach einer Prüfung in der Sache erfolgt ist; mit der Neufassung der Verordnung will er nun auch Vorgänge erfassen, an denen Behörden in anderer Weise – etwa nur registrierend – beteiligt sind. Dies lässt den Rückschluss zu, dass sich die Brüssel IIa-Verordnung auch nach Auffassung des Unionsgesetzgebers auf solche nicht erstreckt und daher nicht auf die italienische Standesamtsscheidung anwendbar ist.
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3. Der Senat ist der Auffassung, dass eine Anerkennung der auf der Grundlage des Art. 12 DL Nr. 132/2014 erfolgten Scheidung auch nicht nach Maßgabe von Art. 46 Brüssel IIa-VO möglich ist (vgl. NK-BGB/Gruber 3. Aufl. Art. 1 Rom III Rn. 90 f. mwN; Buschbaum in Dutta/Schwab/Henrich/Gottwald/Löhnig Scheidung ohne Gericht? S. 353, 357; Dutta FF 2018, 60, 63; Gärtner Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht S. 348; Rauscher EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 46 Brüssel IIa-VO Rn. 10). In dieser Bestimmung wird – anders als in Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO – die Ehescheidung nicht genannt, sondern ist allein von vollstreckbaren öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen die Rede. Das kann jedoch Ehescheidungen mangels insoweit vollstreckbarer Urkunden und Vereinbarungen nicht betreffen. Vielmehr geht es im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung um derartige Urkunden und Vereinbarungen allein im Zusammenhang mit Sachen der elterlichen Verantwortung, mit denen sich nun Art. 65 Abs. 2 Brüssel IIb-VO befasst. Im Übrigen ist auch insoweit davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber bei Erlass der Brüssel IIa-Verordnung keine Regelung zu Scheidungen treffen wollte, die nicht zumindest unter inhaltlicher staatlicher Kontrolle erfolgen.
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4. In der Gesamtschau lässt sich die richtige Auslegung indessen weder aus der Brüssel IIa-Verordnung selbst als „acte clair“ entnehmen noch – wie das Beschwerdegericht und die Rechtsbeschwerdeerwiderung meinen – als „acte éclairé“ aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eindeutig ableiten. Vielmehr bleiben bei der Auslegung der Vorschriften vernünftige Zweifel, so dass es eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf.
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