Im selbständigen Beweisverfahren ist für eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kein Raum. (Beschluss des BGH 6. Zivilsenat)

BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 20.10.2020, AZ VI ZB 28/20, ECLI:DE:BGH:2020:201020BVIZB28.20.0

§ 269 Abs 3 S 3 ZPO, § 485 ZPO, §§ 485ff ZPO

Leitsatz

Im selbständigen Beweisverfahren ist für eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kein Raum.

Verfahrensgang

vorgehend LG Hannover, 27. März 2020, Az: 6 T 10/20
vorgehend AG Hannover, 14. Februar 2020, Az: 570 H 70/19

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 27. März 2020 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: bis 2.000 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um die Frage, wer die Kosten eines von der Antragstellerin betriebenen und durch Rücknahme des Antrags erledigten selbständigen Beweisverfahrens zu tragen hat.

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Nach einer in einem Schwimmbad der Antragsgegnerin am 1. September 2019 erlittenen Verletzung betrieb die Antragstellerin ein selbständiges Beweisverfahren mit dem Ziel, Beweis über das Vorliegen einer hervorstehenden Fliesenkante im Nichtschwimmerbecken sowie deren Ursächlichkeit für die erlittene Verletzung zu erheben. Der Antrag vom 15. November 2019 wurde der Antragsgegnerin am 27. November 2019 zugestellt. Mit Schriftsätzen vom 10. Dezember 2019 und 14. Januar 2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Beantwortung der Beweisfragen nicht mehr möglich sei. Sie habe die Verletzung noch vor dem Antrag zum Anlass genommen, routinemäßig anstehende Fliesenarbeiten vorzuziehen. Daraufhin nahm die Antragstellerin den Antrag zurück.

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Das Amtsgericht hat der Antragsgegnerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens der Antragstellerin auferlegt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, zutreffend sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Kostenentscheidung zu treffen sei, weil die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen habe. Analog § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO seien die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Einer der anerkannten Ausnahmetatbestände des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO liege nicht vor. Es bestehe insbesondere keine Möglichkeit, bei der Kostenentscheidung eine etwaige materiell-rechtliche Kostenerstattungspflicht zu berücksichtigen. Die analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO komme im selbständigen Beweisverfahren nicht in Betracht. Es könne offenbleiben, ob – was indes bereits zweifelhaft sei – eine Regelungslücke vorliege. Jedenfalls sei eine vergleichbare Interessenlage nicht gegeben.

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2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, § 575 ZPO) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die amtsgerichtliche Entscheidung geändert und der Antragstellerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO analog.

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a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass im vorliegenden Fall eine Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu treffen war. Zwar ergeht im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich keine Kostenentscheidung. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden einen Teil der Kosten des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens, über die in der Regel in diesem Verfahren entschieden wird (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VIII ZB 14/10, NJW 2011, 1292 Rn. 7 mwN; Senatsbeschluss vom 28. April 2015 – VI ZB 36/14, NJW 2015, 2590 Rn. 8; Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 13). Soweit eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren von der Prozessordnung überhaupt vorgesehen ist, erfolgt sie gegen den Antragsteller, § 494a Abs. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2004 – V ZB 57/03, NJW-RR 2004, 1005, juris Rn. 8). Kommt es nicht zu einem Hauptsacheverfahren, weil der Antragsteller nach Durchführung der Beweisaufnahme von der Einleitung des Hauptsacheverfahrens absieht, soll der Antragsgegner durch § 494a ZPO so gestellt werden, als habe er obsiegt (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 13 mwN). Eine Kostenentscheidung kann im selbständigen Beweisverfahren aber ausnahmsweise ergehen, wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurücknimmt und kein Hauptsacheverfahren anhängig ist, dessen Parteien und Streitgegenstand mit denjenigen des selbständigen Beweisverfahrens identisch sind. In diesem Fall hat der Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO grundsätzlich die Kosten zu tragen (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – VII ZB 23/03, MDR 2005, 227, juris Rn. 12 f.; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VIII ZB 14/10, NJW 2011, 1292 Rn. 11 f.; Senatsbeschluss vom 28. April 2015 – VI ZB 36/14, NJW 2015, 2590 Rn. 8; Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 14 mwN).

8

b) Die Rechtsbeschwerde, die selbst vorträgt, dass es zu einem Hauptsacheverfahren in der Folge nicht gekommen ist, wendet sich denn auch nicht dagegen, dass im selbständigen Beweisverfahren eine Kostenentscheidung (überhaupt) ergangen ist. Sie meint vielmehr, die Kostenentscheidung hätte nicht in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu Lasten der Antragstellerin, sondern in entsprechender Anwendung der Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu Lasten der Antragsgegnerin erfolgen müssen. Der Anlass für das selbständige Beweisverfahren sei noch vor Zustellung des Antrags weggefallen. Die Antragsgegnerin habe die Beweiserhebung durch die Fliesenarbeiten noch vor Einreichung des Antrags vereitelt und der Antragstellerin dies zudem im Rahmen der Korrespondenz der Parteien nicht mitgeteilt. Das greift nicht durch.

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aa) Nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Klageeinreichung vor Rechtshängigkeit wegfällt und die Klage daraufhin zurückgenommen wird. Zwar wird verschiedentlich vertreten, dass bei der Rücknahme eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens eine Entscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO möglich sei (Althammer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 91a Rn. 58.42; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 269 Rn. 23). Nach anderer Ansicht – der auch das Beschwerdegericht folgt – ist für eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO im selbständigen Beweisverfahren dagegen kein Raum (LG Lübeck, NJW 2016, 963 Rn. 21 ff.; Becker-Eberhard in MünchKommZPO, 6. Aufl., § 269 Rn. 52; Saenger, ZPO, 8. Aufl., § 269 Rn. 3; vgl. auch Fellner MDR 2014, 1301, 1302; Looff, NJOZ 2007, 5595, 5605).

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bb) Die letztere Ansicht trifft zu. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. Dezember 2014 – III ZR 61/14, NJW 2015, 1176 Rn. 9 mwN; vom 13. März 2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rn. 31 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

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(1) Entgegen der Ansicht der Revision fehlt es bereits an einer Regelungslücke. Wie oben ausgeführt, ergeht im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich keine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners. Es steht dem Antragsteller frei, entweder einen Hauptsacheprozess – und sei es auch nur in Gestalt einer Feststellungsklage – zu führen oder die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Wege der Leistungsklage und gestützt auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 19 mwN). Das gilt auch, wenn die Rücknahme des Antrags auf einem Ereignis beruht, das das Interesse des Antragstellers an der Beweissicherung entfallen lässt (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VIII ZB 14/10, NJW 2011, 1292 Rn. 12). Bei der entsprechenden Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zugunsten des Antragsgegners beruht die Annahme einer Regelungslücke demgegenüber auf der Erwägung, dass der Antragsgegner ein Hauptsacheverfahren nicht erzwingen kann, und der vor diesem Hintergrund lückenhaften Regelung des § 494a Abs. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – VII ZB 23/03, MDR 2005, 227, 228, juris Rn. 13).

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(2) Auch eine vergleichbare Interessenlage ist nicht gegeben. Wie das Beschwerdegericht zutreffend dargestellt hat, wurde die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) eingefügt, um aus Gründen der Prozessökonomie eine Kostenverteilung nach billigem Ermessen zu ermöglichen, wenn der Anlass für die Klageerhebung vor Rechtshängigkeit wegfällt und der Beklagte sich einer Erledigungserklärung des Klägers nicht anschließt (BT-Drucks. 14/4722 S. 81; vgl. zur früheren Rechtslage BGH, Urteil vom 15. Januar 1982 – V ZR 50/81, BGHZ 83, 12, 14 f., juris Rn. 8 f.). Wegen der Sachnähe zur Interessenlage nach beidseitiger Erledigungserklärung ist die Vorschrift der Rechtsfolge des § 91a ZPO angeglichen (BT-Drucks. 14/4722 S. 81).

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Dagegen ist im selbständigen Beweisverfahren für eine beidseitige Erledigungserklärung mit der Folge der entsprechenden Anwendung von § 91a ZPO wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Erledigung der Hauptsache im Klageverfahren mit der „Erledigung“ eines selbständigen Beweisverfahrens kein Raum. In der Anordnung einer Beweiserhebung im Sinne von § 490 Abs. 2 ZPO liegt gerade keine Entscheidung über ein Recht oder einen Anspruch, noch ergeht eine solche Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners. Deshalb kann auch aus der in Übereinstimmung mit dem Antragsteller abgegebenen Erklärung des Antragsgegners selbst dann kein Schluss auf eine ihn treffende materielle Kostentragungspflicht gezogen werden, wenn er nach Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens eine Handlung vornimmt, die das Interesse des Antragstellers entfallen lässt, diesen hierauf klageweise in Anspruch zu nehmen (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – IV ZB 26/06, NJW 2007, 3721 Rn. 12). Dies gilt umso mehr, wenn die Beweiserhebung sich dadurch erledigt, dass der Antragsgegner den Zustand, über den Beweis erhoben werden soll, bereits vor Eingang des Beweissicherungsantrags verändert hat.

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cc) Vor diesem Hintergrund lässt sich eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf das selbständige Beweisverfahren entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und dem Grundsatz der Prozessökonomie rechtfertigen. Dabei kann zugunsten der Antragstellerin unterstellt werden, dass die Antragsgegnerin die Fliesen noch vor der Einreichung des Beweissicherungsantrags reparieren ließ, ohne der Antragstellerin dies sodann im Rahmen der von den Parteien geführten Korrespondenz über eine etwaige Haftung wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung mitzuteilen.

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(1) Wie ausgeführt hätte es der Antragstellerin freigestanden, entweder einen Hauptsacheprozess zu führen oder die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Wege der Leistungsklage und gestützt auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 19 mwN). Im Rahmen eines solchen – angesichts der möglichen Benennung von Zeugen entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht von vornherein aussichtslosen – Verfahrens hätte die Antragstellerin Rechtsschutz erlangen können. Sie hätte zur Klärung bringen können, ob ihr ein Anspruch aus Verkehrssicherungspflichtverletzung oder ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch – ggf. auch im Hinblick auf den Umstand, dass ihr die Veränderung des Zustands des Schwimmbeckens nicht mitgeteilt worden war – zusteht. Dabei hätte das Gericht zu würdigen gehabt, dass die Fliesenarbeiten bereits etwa eine Woche nach der Verletzung der Antragstellerin Anfang September 2019 durchgeführt worden waren, die Antragsgegnerin aber noch Ende Oktober 2019 mitgeteilt hatte, dass auch nach erneuter Inaugenscheinnahme Nachbesserungsbedarf nicht zutage getreten sei.

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(2) Auch der Grundsatz der Prozessökonomie, wonach der Streit der Parteien möglichst in einem Verfahren vollständig bereinigt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1982 – V ZR 50/81, BGHZ 83, 12, 15 f., juris Rn. 11; Senatsurteil vom 23. November 2004 – VI ZR 336/03, BGHZ 161, 145, 150, juris Rn. 19; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., Vor § 128 Rn. 13c mwN) kann eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf den vorliegenden Fall nicht rechtfertigen. Sicher mag es auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, eine Kostenentscheidung noch im selbständigen Beweisverfahren zu ermöglichen. Wie der vorliegende Fall zeigt, müsste sich das Gericht in diesem Fall aber von der bloßen Prüfung der Zulässigkeit einer Beweiserhebung gemäß §§ 485 ff. ZPO lösen und Erwägungen anstellen, für die im selbständigen Beweisverfahren kein Platz ist.

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