Anpassungsgebot § 1 Abs. 4 BauGB; Anforderungen an die Geltendmachung einer Verletzung rechtlichen Gehörs (Beschluss des BVerwG 4. Senat)

BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 15.10.2020, AZ 4 BN 8/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:151020B4BN8.20.0

§ 86 Abs 3 VwGO, § 104 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 1 Abs 4 BauGB

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 28. November 2019, Az: 2 N 17.2338, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Antragsgegnerin ihr beimisst.

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Grundsätzlich bedeutsam i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

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Die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die im Bebauungsplanverfahren als Trägerin öffentlicher Belange beteiligte Höhere Landesplanungsbehörde eine verbindliche Aussage dazu trifft, dass die Planung gemäß § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung angepasst ist, ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 – 4 B 72.99 – BVerwGE 109, 268 <270>, vom 16. November 2004 – 4 B 71.04 – NVwZ 2005, 449 <450> und vom 9. Mai 2018 – 4 B 40.17 – ZfBR 2018, 589 Rn. 9).

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Gemäß § 1 Abs. 4 BauGB sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. Die Gemeinden dürfen die Ziele der Raumordnung daher je nach deren Aussageschärfe konkretisieren und ausgestalten, sich aber nicht im Wege der Abwägung über sie hinwegsetzen (BVerwG, Beschlüsse vom 20. August 1992 – 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329 <334 f.> und vom 7. Februar 2005 – 4 BN 1.05 – ZfBR 2005, 377 <juris Rn. 7>; Urteil vom 20. November 2003 – 4 CN 6.03 – BVerwGE 119, 217 <223>). An die Ziele der Raumordnung sind die örtlichen Planungsträger vielmehr strikt gebunden. Planungen, die einem geltenden Ziel der Regionalplanung widersprechen, haben sie zu unterlassen (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2003 – 4 CN 9.01 – BVerwGE 118, 181 <184>). Die Frage, ob ein Bebauungsplan dem Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB genügt, ist folglich von der Gemeinde in eigener Verantwortung und von den Gerichten als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung im Normenkontrollverfahren in vollem Umfang und unabhängig von etwaigen behördlichen Stellungnahmen zu prüfen.

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2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel i.S.d. § 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO sind zum Teil nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

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Die Antragsgegnerin rügt, das Gericht habe durch die Übersendung eines Privatgutachtens der Gegenseite „mit der Bitte um Kenntnisnahme“ und die zu ihren Gunsten ergangene Eilentscheidung den Eindruck erweckt, dem Gutachten komme keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Darin liege ein Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO, die Erörterungspflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO und das Gebot rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO. Das Gericht hätte das Gutachten auch nicht ohne weitere Prüfung und Würdigung dem Urteil zugrunde legen dürfen. Es hätte vielmehr von Amts wegen nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein weiteres Gutachten einholen müssen. Dem ist nicht zu folgen.

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a) Der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof an einer im Eilbeschluss geäußerten Rechtsauffassung nicht festgehalten hat, begründet keine Gehörsverletzung. Das Gericht entscheidet in der Hauptsache ohne Bindung an seine vorangegangene Beurteilung im Eilverfahren anhand anderer Prüfungsmaßstäbe und gegebenenfalls auch in anderer Besetzung als im Eilverfahren (BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2014 – 4 BN 37.13 – juris Rn. 12). Da sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung überdies regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung des Spruchkörpers ergibt, war der Verwaltungsgerichtshof nicht gehalten, die Beteiligten vorab auf seine nunmehrige Rechtsauffassung hinzuweisen (BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1976 – 2 C 26.74 – Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1 S. 16 und Beschluss vom 26. Juni 1998 – 4 B 19.98 – juris Rn. 5).

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b) Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist nicht schlüssig dargetan. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2019 – 4 BN 44.18 – juris Rn. 12). Diese Voraussetzungen legt die Beschwerde nicht dar.

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Die Antragsgegnerin stellt nicht in Abrede, dass ihr das Gutachten der Antragstellerin vorab zur Kenntnis gegeben wurde und unter Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist. Vor diesem Hintergrund musste sie damit rechnen, dass das Gericht diese Erkenntnisse seiner Entscheidung zugrunde legen würde. Es wäre an der Antragsgegnerin gewesen, sich mit dem Gutachten auseinanderzusetzen und die nunmehr geltend gemachten Einwände in der mündlichen Verhandlung vorzutragen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann von einem Verfahrensbeteiligten nicht mehr gerügt werden, der die Möglichkeit hatte, sich in der Tatsacheninstanz rechtliches Gehör zu verschaffen, hiervon aber keinen Gebrauch gemacht hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 22. August 1985 – 3 C 17.85 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 175 <juris Rn. 19>; Beschlüsse vom 15. April 1987 – 4 B 71.87 – juris Rn. 3 und vom 7. August 2019 – 4 B 29.19 – ZLW 2019, 670 Rn. 11).

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c) Die Aufklärungsrüge führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Eine Aufklärungsrüge setzt voraus, dass substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Hat der Beschwerdeführer – wie hier – nicht bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, muss dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.).

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Das leistet die Beschwerde nicht. Dem Verwaltungsgerichtshof lag bereits ein Fachgutachten vor, das in der mündlichen Verhandlung erläutert worden ist. Unterlässt es ein Tatsachengericht in einer solchen Situation, ein weiteres Gutachten einzuholen, liegt darin nur dann ein Verfahrensmangel, wenn das vorliegende Gutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend ist, weil es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder weil Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – NVwZ 2020, 322 Rn. 19 ff.). Hierzu trägt die Beschwerde nicht substantiiert vor.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat entsprechend § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.