BPatG München 19. Senat, Beschluss vom 12.10.2020, AZ 19 W (pat) 53/19, ECLI:DE:BPatG:2020:121020B19Wpat53.19.0
Leitsatz
Klappenantrieb
Die Rücknahme der Beschwerde ist im patentrechtlichen Einspruchsbeschwerdeverfahren bis zum Eintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung möglich (abweichend von BGH, Beschluss vom 29. April 1969 – X ZB 14/67, GRUR 1969, 562 – Appreturmittel; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1987 – X ZB 28/86, GRUR 1988, 364 – Epoxidations-Verfahren).
Eine Zustimmung des Beschwerdegegners ist für die Wirksamkeit der Beschwerderücknahme nicht erforderlich.
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2007 001 068
(hier: Entscheidung über die Wirksamkeit der Beschwerderücknahme)
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 12. Oktober 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Dorn sowie der Richter Dipl.-Ing. Matter und Dipl.-Phys. Dr. Haupt
beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Rücknahme der Beschwerde durch die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 27. August 2020, per Fax eingegangen am selben Tag, wirksam und der in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2020 verkündete Beschluss des 19. Senats dadurch wirkungslos geworden ist.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Auf die am 3. Januar 2007 eingereichte Patentanmeldung ist mit Beschluss vom 2. August 2017 das Patent 10 2007 001 068 mit der Bezeichnung „Klappenantrieb für insbesondere Kraftfahrzeuge“ erteilt worden.
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Auf den Einspruch der Einsprechenden zu 1) und 2) hat die Patentabteilung 1.33 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) das Patent mit Beschluss vom 20. September 2019 widerrufen.
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Gegen diesen Beschluss hat die Patentinhaberin am 21. November 2019 Beschwerde eingelegt.
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Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 26. August 2020 hat der Senat den Beschluss verkündet, dass die Beschwerde der Patentinhaberin zurückgewiesen wird.
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Mit Schriftsatz vom 27. August 2020, per Fax eingegangen am selben Tag, hat die Patentinhaberin ihre Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des DPMA zurückgenommen. Den beiden Einsprechenden und Beschwerdegegnerinnen wurde Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben. Die Einsprechende zu 2) hat der Zurücknahme der Beschwerde mit Schriftsatz vom 21. September 2020, per Fax eingegangen am selben Tag, zugestimmt. Die Einsprechende zu 1) hat keine Stellungnahme abgegeben.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
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1. Die Rücknahme der Beschwerde durch die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 27. August 2020 ist wirksam.
8
1.1 Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 29. April 1969 – X ZB 14/67, GRUR 1969, 562 – Appreturmittel; Beschluss vom 10. Dezember 1987 – X ZB 28/86, GRUR 1988, 364, 365 – Epoxidations-Verfahren), wonach die Zurücknahme der Beschwerde nur bis zum Erlass der Entscheidung über die Beschwerde möglich sein soll, schließt sich der erkennende Senat der Auffassung des 35. Senats des Bundespatentgerichts (vgl. Beschlüsse vom 2. Juni 2010 – 35 W (pat) 454/08 und 35 W (pat) 455/08 – Beschwerderücknahme nach Verkündung, juris Rn. 8ff.) sowie der überwiegenden Literaturmeinung (Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 73 Rn. 174; Benkard, PatG, 11. Aufl., § 73 Rn. 104; vgl. auch Schulte, PatG, 10. Aufl., § 73 Rn. 197) an, wonach die Rücknahme der Beschwerde bis zum Eintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung möglich ist.
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Hierfür spricht insbesondere, dass es sich bei dem Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht dem Wesen nach nicht um ein „echtes“ Rechtsmittel handelt, sondern um einen erstinstanzlichen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des DPMA, der der verwaltungsgerichtlichen (Anfechtungs-)Klage nähersteht als der zivilprozessualen Beschwerde, so dass die Beschwerderücknahme der Sache nach eher einer Klagerücknahme gleichkommt, die bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig ist (§ 92 VwGO, § 102 SGG, § 72 FGO, § 269 ZPO; vgl. Benkard, a. a. O.; BPatG, a. a. O., Rn. 10; vgl. auch BGH, Kartellsenat, Beschluss vom 29. Juni 1982 – KVR 5/81, GRUR 1982, 691f. – Anzeigenraum, juris Rn. 10 und 11).
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Dies sollte zur Überzeugung des Senats – anders als in der Literatur vereinzelt vertreten – nicht nur für einseitige Beschwerdeverfahren (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 197) bzw. im Einspruchsbeschwerdeverfahren nur für den Einsprechenden (vgl. Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 174) gelten, sondern auch für den Patentinhaber als Beschwerdeführer im Einspruchsbeschwerdeverfahren (in Anlehnung an die o. g. Entscheidungen des 35. Senats, a. a. O.: Dort hat die Inhaberin des Gebrauchsmusters und Löschungsantragsgegnerin ihre Beschwerde gegen den die Löschung aussprechenden Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung im zweiseitigen Verfahren nach Verkündung der zurückweisenden Beschwerdeentscheidung zurückgenommen).
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1.2 Eine Zustimmung des Beschwerdegegners – hier der beiden Einsprechenden – ist für die Wirksamkeit der Beschwerderücknahme nicht erforderlich, und zwar auch dann nicht, wenn die Rücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung bzw. – wie im vorliegenden Fall – nach Erlass der Beschwerdeentscheidung erklärt wird. Der Senat schließt sich insoweit der in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung an, die eine Zustimmung des Beschwerdegegners im Falle einer Beschwerderücknahme generell für entbehrlich erachtet (vgl. BPatG, Beschluss vom 15. Oktober 1974 – 32 W (pat) 76/72, BPatGE 17, 90, 92; Schulte, a. a. O., Rn. 197; Busse/Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 175 m. w. N.; a. A. Benkard, a. a. O., Rn. 104, wonach im Falle einer Beschwerderücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung oder dem ihr gleichstehenden Zeitpunkt im schriftlichen Verfahren eine Zustimmung des Beschwerdegegners für erforderlich erachtet wird, allerdings ohne dies näher zu begründen). In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch auf die vorgenannten Entscheidungen des 35. Senats zu verweisen, die für das zweiseitige Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren ergangen sind und in denen offenbar eine Zustimmung der Löschungsantragstellerin und Beschwerdegegnerin zu der nach Verkündung der Entscheidung erklärten Beschwerderücknahme durch die Inhaberin des Gebrauchsmusters und Löschungsantragsgegnerin nicht für erforderlich erachtet wurde (BPatG, Beschlüsse vom 2. Juni 2010 – 35 W (pat) 454/08 und 35 W (pat) 455/08 – Beschwerderücknahme nach Verkündung, a. a. O.).
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2. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da es sich bei der Frage der Wirksamkeit einer Beschwerderücknahme nach Entscheidungsverkündung im Einspruchsbeschwerdeverfahren sowie der Erforderlichkeit einer Zustimmung des Beschwerdegegners um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 PatG). Bei einem Beschluss, durch den die Zurücknahme der Beschwerde festgestellt wird, handelt es sich nach der in der Literatur vertretenen Auffassung, der sich der erkennende Senat anschließt, auch um eine Entscheidung „über die Beschwerde“ i. S. v. § 100 Abs. 1 PatG, also um eine der Zulassung der Rechtsbeschwerde zugängliche Entscheidung (Benkard, a. a. O., § 100 Rn. 5; Schulte, a. a. O., § 100 Rn. 10; so im Ergebnis auch BPatG, Beschlüsse vom 2. Juni 2010 – 35 W (pat) 454/08 und 35 W (pat) 455/08 – Beschwerderücknahme nach Verkündung, juris Rn. 12).