BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 06.10.2020, AZ 4 B 10/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:061020B4B10.20.0
§ 34 Abs 2 BauGB, § 65 Abs 2 VwGO
Verfahrensgang
vorgehend OVG Lüneburg, 9. Oktober 2019, Az: 1 LB 147/17, Urteil
vorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 21. September 2016, Az: 4 A 2243/14
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 7 500 € festgesetzt.
Gründe
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Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die von der Beschwerde behauptete Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht dargetan.
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Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht.
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a) Soweit die Beschwerde die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Gebietseinordnung nach § 34 Abs. 2 BauGB betrifft, zeigt sie abstrakte Rechtssätze, mit denen das Oberverwaltungsgericht von der in der Beschwerdebegründung zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein soll, nicht ansatzweise auf. Vielmehr erschöpft sich das Vorbringen in der Feststellung, das Oberverwaltungsgericht habe die höchstrichterlichen Vorgaben nicht beachtet oder jedenfalls unzutreffend umgesetzt. Damit wird eine Divergenz aber nicht dargetan (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 16. Juni 2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 3).
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b) In Bezug auf das vom Oberverwaltungsgericht bejahte Rechtsschutzinteresse verweist die Beklagte zunächst auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juli 1993 – 4 B 110.93 – (NVwZ 1994, 482), in dem u.a. ausgeführt wird, dass eine Rechtsverfolgung nutzlos ist, wenn sie auf die Erteilung einer Genehmigung abzielt, die sich mit Rücksicht auf die rechtlichen Verhältnisse nicht verwirklichen lässt, wobei es nicht darauf ankommt, ob sich die Hinderungsgründe aus dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht herleiten lassen. Dem entnimmt die Beklagte – im Weg einer weiteren Konkretisierung – den Rechtssatz, dass die Genehmigungslage auf dem Baugrundstück zu berücksichtigen und eine dem Bauvorhaben entgegenstehende bestandskräftige und ausgenutzte Baugenehmigung als zwingender Hinderungsgrund anzusehen sei. Im Widerspruch hierzu habe das Oberverwaltungsgericht die Rechtsansicht vertreten, dass es allein dem Grundstückseigentümer obliege, die mögliche Nutzung auf dem Grundstück festzulegen.
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Eine Divergenz folgt daraus nicht. Der vermeintlich divergenzfähige Rechtssatz findet sich in der von der Beschwerde genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so nicht; es ist auch nicht dargetan, dass er darin der Sache nach enthalten oder jedenfalls schon eindeutig angelegt ist. Denn der durch eine Baugenehmigung gedeckte Bestand auf dem Baugrundstück hat nicht zur Folge, dass ein damit nicht zu vereinbarendes Bauvorhaben sich von vornherein nicht verwirklichen lässt und eine gleichwohl erteilte neue Baugenehmigung nutzlos ist. Die Baugenehmigung geht nicht mit der Verpflichtung einher, sie auch auszunutzen (siehe auch BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1995 – 4 C 23.94 – Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 213 = juris Rn. 12). Die bisherige Nutzung auf dem Baugrundstück kann vielmehr aufgegeben werden. Welche der baurechtlich möglichen Nutzungen auf dem Baugrundstück tatsächlich umgesetzt wird mit der Folge, dass die Verwirklichung der anderen gesperrt ist, wird vom Baurecht nicht vorgegeben.
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Auch mit dem Verweis auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1968 – 4 C 13.68 – (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 75 S. 246 f.) und vom 16. April 1971 – 4 C 66.67 – (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 90 S. 30) wird eine Divergenz nicht dargetan. Dies folgt zum einen daraus, dass damit der – wie oben bereits ausgeführt – zu Unrecht als divergenzfähig behauptete Rechtssatz gestützt werden soll. Zum anderen beziehen sich die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Prioritätsprinzip auf den Nachbarschutz im Rahmen des § 35 BBauG/BauGB.
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2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler rechtfertigen ebenso wenig die Zulassung der Revision.
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a) Soweit die Divergenzrüge sich auf die Zulässigkeit der Klage bezieht und der Sache nach eine fehlerhafte Anwendung der in der Rechtsprechung aufgestellten Rechtssätze geltend gemacht wird, nimmt die Beschwerde zugleich den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Anspruch (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. April 2001 – 8 B 2.01 – Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 13 = juris Rn. 3). Ein Verfahrensfehler wird in dieser Hinsicht aber nicht aufgezeigt.
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Verneint das Tatsachengericht fehlerhaft das Vorliegen von Sachurteilsvoraussetzungen und weist es die Klage folglich zu Unrecht durch Prozessurteil ab, kann dies grundsätzlich einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Entsprechendes gilt, wenn eine Sachurteilsvoraussetzung unzutreffend bejaht wird und zu Unrecht ein Sachurteil ergeht. Ein rügefähiger Verfahrensfehler liegt aber nur dann vor, wenn die inkorrekte Entscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruht, etwa einer Verkennung ihrer Begriffsinhalte und der zugrunde liegenden Maßstäbe; demgegenüber liegt ein materiell-rechtlicher Mangel vor, wenn die Vorinstanz deswegen zu einer unzutreffenden Bewertung der Zulässigkeit gelangt ist, weil sie eine materiell-rechtliche Vorfrage fehlerhaft beantwortet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Januar 2016 – 7 B 3.15 – juris Rn. 18 und vom 20. Dezember 2017 – 6 B 14.17 – Buchholz 402.41 Allg. Polizeirecht Nr. 111 Rn. 11, jeweils m.w.N.).
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Ein Verfahrensmangel steht hiernach nicht in Rede. Die Beschwerde macht nicht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht den prozessrechtlichen Maßstab für die Verneinung des Rechtsschutzinteresses – die eindeutige und offensichtliche Nutzlosigkeit der Rechtsverfolgung (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 2004 – 3 C 25.03 – BVerwGE 121, 1 <3>, vom 18. Dezember 2014 – 7 C 22.12 – Buchholz 406.27 § 71 BBergG Nr. 1 Rn. 22 und vom 10. Oktober 2019 – 10 C 3.19 – BVerwGE 166, 368 Rn. 14; Beschluss vom 12. August 1993 – 7 B 123.93 – Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 16 = juris Rn. 3) – verfehlt habe. Sie wendet sich vielmehr gegen die Einschätzung, dass der Verwirklichung des Bauvorhabens derzeit unüberwindbare rechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen. Damit wird eine materiell-rechtliche Bewertung infrage gestellt.
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b) Ebenfalls erfolglos bleibt der Einwand, das Urteil leide wegen einer zu Unrecht unterbliebenen Beiladung der Grundstückseigentümer nach § 65 Abs. 2 VwGO an einem Verfahrensmangel. Diese Rüge führt jedenfalls deswegen nicht zur Zulassung der Revision, weil die Beklagte nicht aufzeigt, dass sie durch den gerügten Mangel in eigenen Rechten betroffen ist. Eine materielle Beschwer ist Zulässigkeitsvoraussetzung auch für die Nichtzulassungsbeschwerde (BVerwG, Beschlüsse vom 16. September 2009 – 8 B 75.09 – NVwZ-RR 2010, 37 und vom 14. April 2010 – 4 B 78.09 – NVwZ 2010; 1026 Rn. 5). Die notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO bezweckt aber nicht, die Verfahrensposition des einen oder anderen Prozessbeteiligten zu stärken oder in dessen Interesse die Möglichkeit der Sachaufklärung zu erweitern. Sie soll vielmehr die Rechte des notwendig Beizuladenden schützen und dient darüber hinaus der Prozessökonomie, indem sie die Rechtskraft des Urteils auf alle am streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten erstreckt. Ein subjektives Recht der Prozessbeteiligten auf fehlerfreie Anwendung des § 65 Abs. 2 VwGO ist damit nicht verbunden.
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c) Schließlich geht die Rüge fehl, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO). Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstandes fehlen oder rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Der in § 138 Nr. 6 VwGO vorausgesetzte grobe Verfahrensfehler liegt indessen nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 21. April 2015 – 7 B 9.14 – Buchholz 451.222 § 3 BBodSchG Nr. 3 Rn. 25 und 6. November 2019 – 4 B 52.18 – juris Rn. 9). Bei Anwendung dieses Maßstabs ist für einen Begründungsmangel im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nichts ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat dargelegt, nach welchen rechtlichen Maßstäben und aufgrund welcher tatsächlicher Feststellungen es zu der von ihm angenommenen bauplanungsrechtlichen Einordnung der näheren Umgebung des Baugrundstücks gelangt ist und auf dieser Grundlage die Klage für begründet erachtet. Die Beklagte rügt angesichts dieser Ausführungen der Sache nach eine in ihren Augen unzureichende und letztlich unrichtige Begründung, was allerdings den groben Verfahrensmangel des § 138 Nr. 6 VwGO nicht darzutun geeignet ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.