BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Urteil vom 01.10.2020, AZ 2 WD 20/19, ECLI:DE:BVerwG:2020:011020U2WD20.19.0
Leitsatz
1. Für die Disziplinarwürdigkeit des Besitzes, Sichverschaffens und Zugänglichmachens kinder- und jugendpornografischer Dateien ist es unerheblich, ob der Täter pädophil ist.
2. Der Milderungsgrund der Nachbewährung setzt eine deutliche Leistungssteigerung oder Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus über einen hinreichend aussagekräftigen Zeitraum voraus.
Verfahrensgang
vorgehend Truppendienstgericht Süd, 24. Juli 2019, Az: S 4 VL 2/19, Urteil
Tenor
Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgericht Süd vom 24. Juli 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihm das Ruhegehalt aberkannt wird.
Der frühere Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
1
Das disziplinargerichtliche Berufungsverfahren betrifft die Ahndung des Sichverschaffens, Besitzes und Zugänglichmachens von kinder- und jugendpornografischen Dateien.
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1. Der 50-jährige frühere Soldat ist verheiratet und hat eine 2008 geborene Tochter. Er wurde 1993 Zeit- und 2000 Berufssoldat und zuletzt 2013 zum Stabsfeldwebel befördert. 2018 wurde ihm die Dienstausübung untersagt und er wurde vorläufig des Dienstes enthoben. 2019 wurde er wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Er wird derzeit … als Triebfahrzeugführer ausgebildet.
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Im sachgleichen Strafverfahren wurde er 2018 rechtskräftig wegen des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften sowie der Besitzverschaffung kinderpornografischer Schriften in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt.
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2. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat folgenden vorsätzlichen Dienstvergehens angeschuldigt:
„1. Der Soldat war am 13. Juni 2017 in seiner Wohnung …, im Besitz von auf seinem Computer und einer externen Festplatte abgespeicherten 74 kinderpornographischen und 47 jugendpornographischen Dateien.
2. Der Soldat hat es unternommen, sich von einem nicht näher feststellbaren Ort über die Internet-Plattform Gigatribe am 4. Oktober 2015 den Besitz an 18 kinderpornographischen Bilddateien und 16 kinderpornographischen Filmdateien sowie am 5. Mai 2017 den Besitz einer kinderpornographischen Bilddatei zu verschaffen.
3. Der Soldat hat es unternommen, von einem nicht näher feststellbaren Ort über die Internet-Plattform Gigatribe am 13. Juni 2016 insgesamt sieben Bilddateien und am 22. Oktober 2016 insgesamt drei Bilddateien, welche jeweils sexuelle Handlungen an Personen unter 14 Jahren darstellen, mindestens acht anderen Nutzern von Gigatribe zur Verfügung zu stellen.“
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Das Truppendienstgericht hat den früheren Soldaten mit Urteil vom 24. Juli 2019 aus dem Dienstverhältnis entfernt. Die Vorwürfe seien in tatsächlicher Hinsicht aufgrund der rechtskräftigen strafgerichtlichen Feststellungen erwiesen. Der frühere Soldat habe vorsätzlich als Vorgesetzter seine Pflichten zum treuen Dienen und zum außerdienstlichen Wohlverhalten verletzt. Das Dienstvergehen wiege äußerst schwer und sei mit der Höchstmaßnahme zu ahnden.
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3. Mit seiner unbeschränkten Berufung macht der frühere Soldat im Wesentlichen geltend, er sei nicht pädophil, sondern habe den Fetisch „Spanking“. Er habe aus Sammelleidenschaft über die Internet-Plattform „GigaTribe“ von anderen Nutzern Ordner mit „Spanking“-Dateien heruntergeladen und sie seinerseits anderen Nutzern zugänglich gemacht, um dafür auf „Spanking“-Ordner von ihnen zugreifen zu können. Die Ordner habe er vor dem Herunterladen nur stichprobenartig durchgesehen. Es sei ihm nicht speziell auf kinder- und jugendpornografische Dateien angekommen. Diese seien bei ihm unsortiert unter zahlreichen anderen Dateien aufgefunden worden. Teilweise habe er sie gelöscht. Viele Dateien seien inhaltlich identisch und beschränkten sich auf Posing-Bilder. Sein Fehlverhalten liege schon länger zurück. Er habe sich dienstlich einwandfrei geführt, die strafgerichtlichen Auflagen einer Sexualtherapie und psychotherapeutischen Behandlung erfüllt und Reue gezeigt. Seine Freiheitsstrafe liege unter einem Jahr auf Bewährung.
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4. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem entgegen.
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5. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Da sie in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Dabei erweist sich die Höchstmaßnahme als tat- und schuldangemessen. Diese besteht wegen seiner zwischenzeitlichen Versetzung in den Ruhestand, welche die Fortsetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht berührt (§ 82 Abs. 1 WDO), gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO in der Aberkennung seines Ruhegehalts.
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1. In tatsächlicher Hinsicht sind die Vorwürfe 2 und 3 vollumfänglich und der Vorwurf 1 jedenfalls teilweise erwiesen.
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a) Für die Vorwürfe 2 und 3 folgt dies aus den gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts … im Urteil vom 29. März 2018 in Verbindung mit dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts … vom 17. September 2018. Es bestand kein Anlass, sich gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO von diesen verfahrensfehlerfrei getroffenen und nachvollziehbaren Feststellungen zu lösen.
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b) Der Vorwurf 1 ist jedenfalls teilweise erwiesen. Der Senat ist davon überzeugt, dass der frühere Soldat am 13. Juni 2017 mindestens 350 kinder- und 19 jugendpornografische Dateien vorsätzlich besaß.
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Der Senat hatte insoweit eigene Feststellungen zu treffen, weil die diesbezüglichen strafgerichtlichen Feststellungen nicht aussagekräftig sind. Denn sie beziehen sich nicht auf den hier allein angeschuldigten Besitz kinder- und jugendpornografischer Dateien am 13. Juni 2017, sondern auf den Besitz daran bis zum 13. Juni 2017.
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„Besitz“ ist das Aufrechterhalten eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses aufgrund eines Besitzwillens; bei vollständig gelöschten Dateien entfällt der Besitz (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2019 – 2 WD 26.18 – Buchholz 449 § 23 SG Nr. 3 Rn. 24; BGH, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17 – NStZ-RR 2018, 244 Rn. 34). Vorsätzlich handelt auch, wer den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14 – StraFo 2016, 37 Rn. 29 m.w.N.; vgl. auch vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2007 – 2 WD 19.06 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 23 Rn. 34 m.w.N.).
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Nach dem Sachverständigengutachten vom 6. Dezember 2017 befanden sich auf den am 13. Juni 2017 sichergestellten Datenträgern des früheren Soldaten 674 kinder- und 47 jugendpornografische Dateien. Die kinderpornografischen Dateien verteilten sich nach der „KIPO-Tabelle“ des Gutachtens auf die Ablageorte „GigaTribe“, „Papierkorb“, „Vorschaubilddatenbank“ und „Internetcache“, die jugendpornografischen Dateien nach der „JUPO“-Tabelle des Gutachtens auf die Ablageorte „Eigene Dateien“, „Papierkorb“, „Internetcache“, „GigaTribe Stuff“, „GigaTribe Downloads“ und „Backup-Files“.
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Der frühere Soldat hatte jedenfalls über die kinder- und jugendpornografischen Dateien an den Ablageorten „GigaTribe“ (215 kinderpornografische Dateien abzüglich 9 automatisch generierter Vorschaubilder), „GigaTribe Stuff“ (3 jugendpornografische Dateien), „GigaTribe Downloads“ (1 jugendpornografische Datei), „Eigene Dateien“ (9 jugendpornografische Dateien) und „Papierkorb“ (144 kinder- und 6 jugendpornografische Dateien) ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen, der darauf gerichtet war, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung darauf zu erhalten. Denn er hatte diese Dateien dort selbst abgelegt und nicht gelöscht. Zu den Dateien im „Papierkorb“ hat der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung erläutert, dass der frühere Soldat sie lediglich in den „Papierkorb“ verschoben, diesen aber nicht geleert hatte. Der Senat ist davon überzeugt, dass der frühere Soldat wusste, dass er auch auf die im „Papierkorb“ noch vorhandenen Dateien weiter ungehindert zugreifen konnte. Denn er hat sich selbst als durchschnittlichen Computernutzer, der digital recht häufig in verschiedenen Lebensbereichen unterwegs ist, bezeichnet.
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Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass der frühere Soldat es zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass unter den von ihm über „GigaTribe“ heruntergeladenen und von ihm an den vorstehend genannten Ablageorten abgelegten Dateien kinder- und jugendpornografische Dateien waren. Zwar befanden sich nach den Angaben des Sachverständigen am Ablageort „GigaTribe“ mindestens 37 000 Dateien, unter „Eigene Dateien“ 49 720 Dateien und im „Papierkorb“ 40 159 Dateien, so dass die kinder- und jugendpornografischen Dateien jeweils nur einen Bruchteil aller dortigen Dateien ausmachten. Der frühere Soldat wusste aber, dass in „GigaTribe“ kinder- und jugendpornografische Dateien kursierten. So schloss er nach eigenen Angaben mehrere Nutzer, die solche Dateien zugänglich gemacht hatten, aus seinem befreundeten „GigaTribe“-Nutzerkreis aus. Ferner erhielt er 2014 eine Warnung des „GigaTribe“-Nutzers „A.“, dass dieser von der Polizei wegen kinderpornografischer Dateien „hochgenommen“ worden sei und sich in seinen Ordnern solche Dateien befunden haben könnten. Wie sich aus den Auszügen des Chats des früheren Soldaten mit dem weiteren „GigaTribe“-Nutzer „B.“ vom 5. Juli und 27. September 2015 ergibt, forderte er teilweise über „GigaTribe“ sogar gezielt kinderpornografische Dateien an und kommentierte nach Erhalt ihren Inhalt. Zudem verschob er als inkriminiert erkannte Dateien in den Papierkorb. Schließlich ging er ungeachtet seines Wissens um die Existenz kinder- und jugendpornografischer Dateien in den Ordnern anderer „GigaTribe“-Nutzer diejenigen Ordner, die er sich von anderen Nutzern herunterlud, vorher nur stichprobenartig daraufhin durch, ob sie seinem Fetisch entsprachen. Damit fand er sich um des erstrebten Zieles willen (Austausch von „Spanking“-Dateien) damit ab, dass darunter auch kinder- und jugendpornografische Dateien waren.
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Ob der frühere Soldat darüber hinaus die laut Sachverständigem jeweils automatisch erzeugten Dateien in der „Vorschaubilddatenbank“ (sog. „Thumbnails“) und im „Internetcache“ vorsätzlich besaß, bedarf keiner Entscheidung, weil es darauf aus den nachstehenden Erwägungen nicht ankommt. Entsprechendes gilt für die jugendpornografischen Dateien in den „Backup-Files“.
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2. Der frühere Soldat hat mit den erwiesenen Vorwürfen 2 und 3 und dem jedenfalls teilweise erwiesenen Vorwurf 1 nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen.
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a) Er hat insoweit vorsätzlich seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 SG verletzt.
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Danach hat sich ein Soldat außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Eine solche ernsthafte Beeinträchtigung ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine Straftat begangen wird, die mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 19 m.w.N.).
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Dies hat der frühere Soldat getan. Nach § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) – im Folgenden: StGB 2015 – wurde mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer es – wie der frühere Soldat es am 13. Juni und 22. Oktober 2016 tat – unternimmt, einer anderen Person den Besitz an einer kinderpornografischen Darstellung, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zu verschaffen. Der Besitz solcher kinderpornografischen Darstellungen (hier: am 13. Juni 2017) und das Sichverschaffen des Besitzes daran (hier: am 4. Oktober 2015 und 5. Mai 2017) wurde nach § 184b Abs. 3 StGB 2015 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert. Der Besitz jugendpornografischer Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, wurde im Juni 2017 nach § 184c Abs. 3 StGB 2015 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe sanktioniert.
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Ein Soldat, der sich solcher Taten strafbar macht, erschüttert zutiefst die Achtung und das Vertrauen, welche seine dienstliche Stellung erfordert. Denn hinter jeder kinder- und jugendpornografischen Datei steht ein tatsächlicher sexueller Missbrauch durch Herabwürdigung des betreffenden Kindes oder Jugendlichen zum bloßen Objekt sexueller Erregung und Befriedigung. Dies ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich, greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, da das Opfer wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2020 – 2 WD 4.19 – juris Rn. 20 m.w.N.).
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Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht ist keine bloße Nebenpflicht, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Wer durch derart schwerwiegende Straftaten im außerdienstlichen Bereich Achtung und Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordern, ernsthaft beeinträchtigt, gefährdet damit auch die Voraussetzungen seiner Verwendungsfähigkeit und beeinträchtigt den Ablauf des militärischen Dienstes (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 26 m.w.N.).
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b) Nicht hingegen hat der frühere Soldat auch seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) verletzt. Denn § 17 Abs. 2 Satz 2 SG bildet eine abschließende Regelung für Verfehlungen strafrechtlichen Gehalts außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen und verbietet insoweit einen Rückgriff auf § 7 SG unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die Loyalität zur Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 WD 5.13 – BVerwGE 149, 224 Rn. 53).
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3. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:
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a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie zur Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
28
Diese besteht beim Besitz kinder- und jugendpornografischer Dateien und dem Sichverschaffen des Besitzes regelmäßig in einer Dienstgradherabsetzung. Im Fall des Verbreitens, Verschaffens und Zugänglichmachens derartiger Dateien ist im Regelfall die Höchstmaßnahme tat- und schuldangemessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2020 – 2 WD 4.19 – juris Rn. 13 m.w.N.). Denn die aktive Beteiligung am kinder- und jugendpornografischen Marktgeschehen als Anbieter stellt regelmäßig ein wesentlich höheres Unrecht dar als die eher passive Beteiligung als nachfragender Konsument. Dies kommt in den unterschiedlichen gesetzlichen Strafrahmen zum Ausdruck. Diese strafrechtliche Wertung ist auch für die disziplinarrechtliche Würdigung leitend. Denn dies gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2020 – 2 WD 4.19 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Danach ist hier Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme. Denn der frühere Soldat hat es mit dem erwiesenen Vorwurf 3 unternommen, anderen Personen den Besitz an kinderpornografischen Bilddateien zu verschaffen. Er ermöglichte acht weiteren Nutzern von „GigaTribe“ den Zugriff auf den Inhalt eines Ordners mit sieben kinderpornografischen Bilddateien und auf einen Ordner mit drei kinderpornografischen Bilddateien. Dabei ist es rechtlich ohne Bedeutung, dass ein tatsächlicher Zugriff dieser Nutzer auf die Dateien nicht festgestellt worden ist. Denn ein „Zugänglichmachen“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB 2015 ist nicht anders zu gewichten als ein „Verschaffen“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB 2015. In beiden Fällen erhält das Fehlverhalten im Vergleich zum bloßen Besitz kinderpornografischer Dateien ein höheres Gewicht dadurch, dass das Unrecht durch die Bereitschaft auch zur Weitergabe der Bilder vertieft und intensiv an der Schaffung und Aufrechterhaltung eines Marktes für derartige Dateien teilgenommen wird. Diesem höheren Unrechtsgehalt hat der Gesetzgeber durch die im Vergleich zum Besitz im Sinne des § 184b Abs. 3 StGB 2015 höhere und vom Strafrahmen her in den Fällen des Zugänglichmachens und Verschaffens übereinstimmende Strafandrohung Rechnung getragen. Dabei bedroht § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB 2015 schon denjenigen mit einer schärferen Strafe, der es „unternimmt“, einem anderen den Besitz an kinderpornografischen Schriften zu verschaffen, und erfasst damit gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB 2015 neben der vollendeten Tat auch den Versuch, bei dem die andere Person keinen tatsächlichen Besitz erlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2012 – 2 WD 14.11 – Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 36 Rn. 37).
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b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die genannten Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten. Dies ist hier nicht der Fall.
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aa) Zwar sprechen einige Umstände für den früheren Soldaten: Der frühere Soldat hat sich geständig gezeigt. Dieser Umstand ist aber angesichts der eindeutigen Beweislage nur von geringem Gewicht. Des Weiteren ist ihm zugute zu halten, dass er die ambulante psychotherapeutische Behandlung und die ambulante Sexualtherapie, die ihm strafgerichtlich auferlegt wurden, abgeschlossen und daran mitgewirkt hat. Darüber hinaus hat er durchweg sehr gute dienstliche Leistungen erbracht. Dies ergibt sich aus seinen Beurteilungen, den Aussagen des Leumundszeugen Hauptmann C., den zahlreichen erworbenen Abzeichen und Auszeichnungen, der Leistungszulage und den drei Leistungsprämien. Auch hat er sich in zwei Auslandseinsätzen bewährt. Der klassische Milderungsgrund einer Nachbewährung liegt allerdings nicht vor. Die insoweit in fachlicher Hinsicht erforderliche deutliche Leistungssteigerung oder Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 – 2 WD 18.18 – Buchholz 450.2 § 63 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 31 m.w.N.) muss über einen hinreichend aussagekräftigen Zeitraum erkennbar sein. Der frühere Soldat leistete jedoch nach Beendigung des Dienstvergehens am 13. Juni 2017 nur noch etwa sieben Monate lang Dienst und war dann krankgeschrieben, bis er wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde.
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bb) Weitere mildernde Gesichtspunkte liegen indes nicht vor.
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Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird durch sein vorsätzliches Handeln geprägt. Milderungsgründe in den Umständen der Tat oder in der Person liegen nicht vor.
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Dem Umstand, dass das Fehlverhalten teilweise schon länger zurückliegt, kommt ebenfalls kein milderndes Gewicht zu. Zwar lässt mit zunehmendem Zeitablauf in der Regel die Notwendigkeit nach, das Geschehen aus individual- oder generalpräventiven Gründen zur Aufrechterhaltung des Ansehens, der Integrität oder der Disziplin in der Bundeswehr zu ahnden. Dementsprechend geht der Senat davon aus, dass es in disziplinarrechtlicher Hinsicht regelmäßig für einen minderschweren Fall spricht, wenn eine außerdienstliche Pflichtverletzung eines Soldaten strafrechtlich verjährt ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Juni 2019 – 2 WD 21.18 – NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 29 f. und vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 57). Ein solcher Fall liegt aber nicht vor, weil die Taten jeweils vor Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfristen strafrechtlich geahndet wurden.
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Ohne Bedeutung ist auch, dass gegen den früheren Soldaten im sachgleichen Strafverfahren eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verhängt wurde, so dass das Dienstverhältnis nicht bereits mit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils zur Beendigung des Soldatenverhältnisses führte. Steht im Einzelfall – wie hier – § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht ausschlaggebend. Eine die disziplinare Maßnahmebemessung begrenzende Indizwirkung kommt ihr wegen der unterschiedlichen Zwecke des Straf- und Disziplinarrechts nicht zu. Während die konkrete Strafzumessung strafrechtlichen Kriterien folgt, wird die disziplinare Maßnahmebemessung insbesondere durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 59 m.w.N.).
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cc) Hinzu treten vielmehr erschwerende Umstände:
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Der frühere Soldat hat es nicht nur einmal, sondern an zwei Tagen im Abstand von einigen Monaten unternommen, anderen Personen den Besitz an kinderpornografischen Dateien zu verschaffen, nämlich am 13. Juni 2016 an sieben Dateien und am 22. Oktober 2016 an drei inhaltlich identischen Dateien. Damit lagen den betreffenden Dateien sexuelle Missbrauchshandlungen an acht Kindern zugrunde. Zudem hat der frühere Soldat nicht nur einer, sondern acht Personen eine Zugriffsmöglichkeit auf diese Dateien eröffnet.
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Hinzu kommt, dass sich der frühere Soldat am 4. Oktober 2015 und 5. Mai 2017 in strafbarer Weise den Besitz an 34 kinderpornografischen Dateien verschaffte.
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Darüber hinaus hat er sich des vorsätzlichen Besitzes von jedenfalls 350 kinder- und 19 jugendpornografischer Dateien am 13. Juni 2017 strafbar gemacht. Allerdings ist insoweit mildernd zu berücksichtigen, dass sich darunter viele Dubletten befanden, so dass die Anzahl der hinter den Dateien stehenden sexuellen Missbrauchshandlungen geringer ist. So waren nach den Erläuterungen des Sachverständigen zwar alle 9 jugendpornografischen Dateien am Ablageort „Eigene Dateien“ Unikate; jedoch enthielten die kinder- und jugendpornografischen Dateien am Ablageort „GigaTribe“ nur 61 und diejenigen im „Papierkorb“ nur 115 Unikate. Gleichwohl besaß der frühere Soldat damit am 13. Juni 2017 vorsätzlich jedenfalls 185 inhaltlich nicht identische kinder- und jugendpornografische Dateien. Der Senat geht weiter zu Gunsten des früheren Soldaten davon aus, dass sich darunter die von ihm beschafften 34 kinderpornografischen Dateien befanden, so dass dem Besitz an diesen Dateien neben den Beschaffungshandlungen kein eigenständiges erschwerendes Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2020 – 2 WD 4.19 – juris Rn. 23 m.w.N.). Es verbleibt aber ein eigenständig erschwerendes Gewicht des vorsätzlichen Besitzes an jedenfalls 151 inhaltlich nicht identischen kinder- und jugendpornografischen Dateien. Die Dateien beschränkten sich nach dem Sachverständigengutachten auch nicht auf sog. Posing, sondern bildeten zum Teil sehr schwere Missbrauchshandlungen ab.
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Weiter erschwerend wiegt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrads als Stabsfeldwebel eine Vorgesetztenstellung hatte. Denn ein Vorgesetzter soll nach § 10 SG in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben. Wer in dieser Stellung wiederholt durch Straftaten seine Dienstpflichten verletzt, gibt ein besonders schlechtes Vorbild ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 27 m.w.N.).
41
Zu Lasten des früheren Soldaten fallen ferner die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens ins Gewicht. Sie betreffen in erster Linie die in den Dateien abgebildeten zahlreichen Kinder und Jugendlichen. Darüber hinaus wurde das Dienstvergehen durch die Berichterstattung in den Medien öffentlich bekannt, was ein schlechtes Licht auf die Bundeswehr und ihre Angehörigen geworfen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 47 m.w.N.). Demgegenüber wiegt nicht erschwerend, dass dem früheren Soldaten wegen des Dienstvergehens die Dienstausübung untersagt und er vorläufig des Dienstes enthoben wurde. Denn er war seither bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand krankgeschrieben, so dass seine Arbeitskraft seinem Dienstherrn ohnehin nicht mehr zur Verfügung stand.
42
Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen ebenfalls gegen ihn. Er hat aus eigennützigen sexuellen Motiven und Gleichgültigkeit gegenüber den betroffenen Kindern und Jugendlichen gehandelt, um seinen „Spanking“-Fetisch zu befriedigen. Dass keine pädophilen Neigungen festgestellt wurden, entlastet ihn nicht. Denn für die Disziplinarwürdigkeit des Besitzes, Sichverschaffens und Zugänglichmachens kinder- und jugendpornografischer Dateien ist es – ebenso wie für die Strafbarkeit – unerheblich, ob der Täter pädophil ist. Dieser Umstand ist weder für den Grad der Beeinträchtigung der Rechte der abgebildeten missbrauchten Opfer noch für den durch die Taten geleisteten Beitrag zur Aufrechterhaltung eines Marktes für kinder- und jugendpornografische Dateien von Bedeutung. Auch der Umfang der durch ein solches Fehlverhalten bewirkten Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Soldaten und dem Dienstherrn hängt nicht davon ab, ob der Täter pädophil ist oder nicht.
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Im Hinblick auf das Bemessungskriterium „Persönlichkeit“ ist festzustellen, dass in dem sich über fast zwei Jahre erstreckenden Fehlverhalten eine Verfestigung sozialschädlicher Persönlichkeitsstrukturen zum Ausdruck kommt. Zudem zeichnet der Inhalt des dem Dienstvergehen vorangegangenen Chats des früheren Soldaten mit dem Nutzer „B.“ am 5. Juli und 27. September 2015 das Bild von einer skrupellosen Persönlichkeit. Denn mit der Äußerung der Hoffnung, der vermeintlich existierende neunjährige Sohn seines Chat-Partners erhalte gelegentlich eine Tracht Prügel, und sein Chat-Partner möge doch mal ein paar Bilder hochladen, „wo die Jungs den Popo voll bekommen“, verbunden mit der nachfolgenden Kommentierung „Oh, die kenn ich noch gar nicht … Da hätt ich auch gern mal die Hand am Popo“, hat er ausdrücklich sexuelle Misshandlungen von Kindern positiv konnotiert und marginalisiert.
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dd) Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen je schwerer ein Dienstvergehen wiegt, liegt bei einer Abwägung aller den früheren Soldaten be- und entlastenden Umstände kein minderschwerer Fall vor. Denn das Dienstvergehen wiegt nach Eigenart und Schwere sehr schwer. Es gibt zwar einige für, aber auch erhebliche gegen den früheren Soldaten sprechende Umstände. Da die persönliche Integrität eines Soldaten gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation steht, können die festgestellten gravierenden Defizite der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn geführt haben, insbesondere nicht durch seine fachliche Kompetenz ausgeglichen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 60 m.w.N.).
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ee) Ist danach die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann auch eine Überlänge des Disziplinarverfahrens keine maßnahmemildernde Wirkung mehr entfalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 – 2 WD 10.19 – juris Rn. 60 m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.