Beschluss des BPatG München 26. Senat vom 31.08.2020, AZ 26 W (pat) 2/18

BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 31.08.2020, AZ 26 W (pat) 2/18, ECLI:DE:BPatG:2020:310820B26Wpat2.18.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2014 025 295

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 31. August 2020 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. September 2017 wird aufgehoben und das Deutsche Patent- und Markenamt angewiesen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 306 79 808 für die Waren der

Klasse 18: Leder- und Kunstledertaschen, nämlich Damenhandtaschen und Herrenhandtaschen

zu löschen.

Gründe

I.

1

Die Wort-/Bildmarke (schwarz/weiß)

2

ist am 22. Februar 2014 angemeldet und am 21. Juli 2014 unter der Nummer 30 2014 025 295 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren der Klassen 3, 25 und der

3

Klasse 18: Leder- und Kunstledertaschen.

4

Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 22. August 2014 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus ihrer Wort-Bildmarke (rot, weiß)

5

die am 29. Dezember 2006 angemeldet und am 21. März 2007 unter der Nummer 306 79 808 in das beim DPMA geführte Register eingetragen worden ist für Waren und Dienstleistungen der Klassen 2, 4, 9, 16, 20, 21, 26, 28, 35, 41 und der

6

Klasse 18: Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren, Schultaschen, Schulranzen, Rucksäcke; Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten.

7

Der Widerspruch richtet sich nur gegen die Waren der Klasse 18.

8

Mit Beschluss vom 23. November 2015 hat die Markenstelle für Klasse 18 des DPMA durch einen Beamten des gehobenen Dienstes wegen der großen klanglichen Markenähnlichkeit bei nahezu identischen Waren in Klasse 18 und normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke die Verwechslungsgefahr bejaht und die angegriffene Marke antragsgemäß gelöscht.

9

Im Erinnerungsverfahren hat die Inhaberin der angegriffenen Marke am 22. Januar 2016 die Einrede der Nichtbenutzung „im Hinblick auf die Waren gemäß Klasse 18 der Widerspruchsmarke“ erhoben. Am 30. Juni 2016 hat sie die Ansicht vertreten, die von der Widersprechenden vorgelegten Benutzungsnachweise bezögen sich „nicht auf die gesamte Palette von Taschen, insbesondere nicht von
Damentaschen, welche jedoch den Schwerpunkt der Benutzung der angegriffenen Marke“ darstelle, so dass jedenfalls in diesem Umfang die erhobene Nichtbenutzungseinrede durchgreife.

10

Mit Beschluss vom 18. September 2017 hat die Erinnerungsprüferin eine Verwechslungsgefahr verneint, den Erstbeschluss aufgehoben und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Widersprechende habe die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke innerhalb der beiden Benutzungszeiträume für die Waren „Schultaschen, Rucksäcke“ glaubhaft gemacht, die sich im höchsten Ähnlichkeitsbereich mit den angegriffenen Produkten befänden. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob die Stellungnahme vom 30. Juni 2016 als Fallenlassen der Nichtbenutzungseinrede für alle Taschen jenseits der Damentaschen auszulegen sei. Die Vergleichswaren seien im Hinblick auf die zunehmende Verschmelzung von Taschen und Rucksäcken sowie den generellen Trend zu lässigeren Taschen potentiell identisch, jedenfalls hochgradig ähnlich. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei für die Produkte der Klasse 18 leicht überdurchschnittlich. Ihre von Haus aus durchschnittliche Kennzeichnungskraft sei infolge der vorgetragenen langjährigen und intensiven Nutzung im Bürobereich im weitesten Sinne zumindest auch für Taschen als gestärkt anzusehen. Den erforderlichen überdurchschnittlichen Abstand hielten die Marken ein. Sie seien nur entfernt ähnlich. In visueller Hinsicht beruhe dies zum einen auf großen Unterschieden in der grafischen Ausgestaltung, bei der sich die schwarz-weiße, schmale, hohe und altmodisch-streng anmutende Erscheinung der jüngeren Marke von der rot-weißen, niedrig und horizontal ausgerichteten Widerspruchsmarke abhebe, und zum anderen auf einer abweichenden Buchstabenzahl und -folge. In klanglicher Hinsicht werde der Gesamteindruck der Vergleichsmarken durch deren Wortbestandteile „Hellis“ und „Herlitz“ geprägt, weil die Grafikelemente keiner praktikablen Benennung zugänglich seien. Die Wörter „Hellis“ und „Herlitz“ stimmten zwar in Silbenzahl und Vokalfolge überein, unterschieden sich aber durch den sehr markanten Sprenglaut am Ende der Widerspruchsmarke „tz“, der ihr eine sehr harte und markante Endung verleihe, während die jüngere Marke „Hellis“ insoweit weich klinge. Auch die Wortanfänge mit dem eher streng klingenden „Herr“ gegenüber dem hellen und weichen „Hell“ unterschieden sich signifikant. Verwechslungen wirke zudem der begriffliche Anklang an das englische oder deutsche Wort „hell“ entgegen, der Verwechslungen mit dem nachnamenartigen Wort „Herlitz“ eher hindere. Zudem sei für den Bereich der Mode und Taschen sowohl bei Offline- als auch bei Onlinekäufen davon auszugehen, dass primär auf die visuelle Markenähnlichkeit abzustellen sei, weil Produktsuchen auf mündliche Empfehlung oder telefonische Nachfragen deutlich nachgelassen hätten.

11

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie trägt vor, ihre Marke sei eine der bekanntesten Marken im Schulbereich in Deutschland und werde seit 2007 umfangreich von ihr und ihrer Rechtsvorgängerin im Inland für Schulranzen, Rucksäcke und Taschen benutzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die mit Schriftsatz vom 21. März 2016 vorgelegten Unterlagen, die eidesstattliche Versicherung ihrer Marketing Managerin Europe vom 10. März 2016, zahlreiche Verkaufsunterlagen zu Schulranzen, Taschen und Rucksäcken sowie Rechnungskopien aus den Jahren 2011 bis 2015 Bezug genommen. Sie ist der Ansicht, die angegriffenen „
Leder- und Kunstledertaschen“ seien mit den als benutzt anzuerkennenden „Taschen“ identisch und stünden mit den ebenfalls als benutzt nachgewiesenen „Schulranzen“ und „Rucksäcken“ der Widersprechenden in engstem Ähnlichkeitsbereich. Zunächst bestehe eine erhebliche schriftbildliche Ähnlichkeit, weil beide Marken in einem geschwungenen an altdeutsche Schrift anmutenden Schrifttyp gestaltet seien und mit dem geschwungenen Großbuchstaben „H“ und dem daran anschließenden Kleinbuchstaben „e“ begännen. Die abweichenden Konsonanten „ll“ bzw. „rl“ in der jeweiligen Wortmitte würden sowohl durch die geschwungene Schriftart als auch durch den sich daran anschließenden übereinstimmenden Buchstaben „i“ erheblich visuell überlagert. Klanglich seien die durch ihren jeweiligen Wortbestandteil geprägten Vergleichsmarken hochgradig ähnlich. Sie begännen beide mit der Lautfolge „He“ und bestünden aus zwei Silben. Die Konsonantenfolge „tz“ am Ende der Widerspruchsmarke unterscheide sich bei undeutlicher Aussprache nicht vom Endkonsonanten „s“ des jüngeren Markenworts. Beide würden von den identischen Silben „He“ und „li“ geprägt. Bei Mode und Taschen sei entgegen der Auffassung der Erinnerungsprüferin nicht primär auf die visuelle Ähnlichkeit abzustellen. Diese Ansicht verkenne, dass über derartige Produkte auch bei Empfehlungen, Beratungsgesprächen und telefonischen Bestellungen gesprochen werde, im Bereich von Taschen die Marke und nicht die optische Warengestaltung im Vordergrund stehe und der Wortklang das schriftliche Erinnerungsbild mitbestimme. Ferner widerspreche sie der Rechtsprechung (BGH GRUR 2011, 824 Rdnr. 33 – Kappa; GRUR 1999, 241, 243 – Lions; BPatG 29 W (pat) 591/17; 28 W (pat) 536/16; GRUR 2000, 807, 808 – Lior/Dior).

12

Die Inhaberin der angegriffenen Marke verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, die Vergleichsmarken stimmten nur in drei Buchstaben überein. Der Verkehr könne sowohl den Unterschied zwischen den Konsonanten in der jeweiligen Wortmitte „ll“ und „rl“ als auch die abweichenden Endungen „is“ und „itz“ erkennen. Der Schriftzug „Herlitz“ sei wesentlich „gedrungener“, langgezogener und in einem ovalen roten Farbfeld invers wiedergegeben. Zudem befinde sich links ein stilisiertes Logo, während sich der Bildanteil der jüngeren Marke auf eine elegante, „hochbeinige“ Schrift beschränke. In klanglicher Hinsicht bestehe ein deutlicher Unterschied zwischen dem „weichen“ Konsonanten „l“ und dem gutturalen, „harten“ Konsonanten „r“. Auch die jeweils letzten Silben wichen signifikant voneinander ab. Die angegriffene Marke schließe mit „weichem“ Verschlusslaut „s“, während die Widerspruchsmarke auf dem scharfen, zischenden Verschlusslaut „tz“ ende. Nach der europäischen Rechtsprechung sei die klangliche Ähnlichkeit beim Kauf auf Sicht von nur geringer Bedeutung (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 36 – Il Ponte Finanzaria/HABM [BAINBRIDGE]; GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 75 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]). Bei
„Leder- und Kunstledertaschen“ handele es sich um gängige Konsumartikel, die auf Sicht gekauft würden.

13

Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Mai 2020 sind die Beteiligten auf die vorläufige Rechtsauffassung des Senats hingewiesen worden.

14

Am 16. Juni 2020 hat die Inhaberin der angegriffenen Marke einen teilweisen Markenverzicht erklärt und das Warenverzeichnis in Klasse 18 wie folgt eingeschränkt:

15

„Leder- und Kunstledertaschen, nämlich Damenhandtaschen und Herrenhandtaschen“.

16

Hierauf hat die Widersprechende erklärt, dass diese Beschränkung die Warenähnlichkeit nicht ausräume. Aktentaschen bzw. Taschen für Schreibwaren einerseits und Damen- und Herrenhandtaschen andererseits wiesen dieselben Herstellungs- und Vertriebsstätten auf und seien optisch sowie funktional ähnlich. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 14. Juli 2020 und seine Anlagen 1 bis 5 Bezug genommen.

17

Die Widersprechende beantragt nunmehr sinngemäß,

18

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des DPMA vom 18. September 2017 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 306 79 808 für die Waren der

19

Klasse 18: Leder- und Kunstledertaschen, nämlich Damenhandtaschen und Herrenhandtaschen

20

zu löschen.

21

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

22

die Beschwerde zurückzuweisen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

24

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

25

Zwischen der angegriffenen Marke
Abbildung und der älteren Marke
Abbildung besteht im verfahrensgegenständlichen Umfang die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

26

1. Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG). In Bezug auf die erhobene Nichtbenutzungseinrede sind gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG die Vorschriften der §§ 26, 43 Abs. 1 MarkenG ebenfalls in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden.

27

2. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rdnr. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).

28

3. Auf die zulässige Nichtbenutzungseinrede hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke für die eingetragenen Waren „
Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ glaubhaft gemacht.

29

a) Am 22. Januar 2016 hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke „im Hinblick auf die Waren gemäß Klasse 18“ bestritten. Da die Einrede der Nichtbenutzung somit undifferenziert erhoben wurde, ist davon auszugehen, dass sie beide Zeiträume des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG umfassen soll (BGH GRUR 1998, 938 – DRAGON; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 12; Ströbele in: Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 26; Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, 3. Aufl., Rdnr. 560).

30

b) Die Einrede ist nach beiden Alternativen des § 43 Abs. 1 MarkenG wirksam erhoben worden, weil die am 21. März 2007 registrierte Widerspruchsmarke sowohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Marke am 22. August 2014 als auch im Zeitpunkt der Erhebung am 22. Januar 2016 bereits länger als fünf Jahre eingetragen war.

31

c) Diese Einrede ist auch später weder ganz noch teilweise fallengelassen worden. Mit ihrer Erklärung vom 30. Juni 2016, die Benutzungsnachweise bezögen sich „nicht auf die gesamte Palette von Taschen, insbesondere nicht von
Damentaschen, welche jedoch den Schwerpunkt der Benutzung der angegriffenen Marke“ darstelle, will die Inhaberin der angegriffenen Marke nur betonen, dass sich die Verfahrensbeteiligten tatsächlich in unterschiedlichen Teilbereichen des Taschenmarkts bewegen, will aber ihre Einrede nicht fallenlassen. Dies zeigt der sich hieran anschließende Satz „
Jedenfalls in diesem Umfang greift damit die erhobene Nichtbenutzungseinrede durch.

32

d) Damit sind für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nur die Waren und Dienstleistungen zu berücksichtigen, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist. Die Widersprechende hat somit die Benutzung ihrer Marke für die Zeiträume vom 22. August 2009 bis zum 22. August 2014 und vom 31. August 2015 bis zum 31. August 2020 gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG im Inland nach Art, Dauer und Umfang glaubhaft zu machen.

33

e) Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der Waren, für die sie eingetragen ist, zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, wobei die Fälle ausgeschlossen sind, in denen die Marke nur symbolisch benutzt wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren (EuGH WRP 2017, 1066 Rdnr. 37 – Gözze/VBB; GRUR 2003, 425 Rdnr. 38 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2013, 725 Rdnr. 38 – Duff Beer). Eine ernsthafte Benutzung erfordert, dass die Marke tatsächlich, stetig und mit stabilem Erscheinungsbild auf dem Markt präsent ist (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 72-74 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]).

34

Zur Glaubhaftmachung muss von der Widersprechenden daher konkret angegeben werden, wer die Marke auf welche Weise für welche Waren in welchen Jahren an welchem Ort benutzt hat und wie viel Umsatz damit erwirtschaftet worden ist. Dabei müssen die detaillierten Angaben zu den Umsatzzahlen entweder in Geldbeträgen oder in Stück- bzw. Auftragszahlen konkret auf die jeweiligen Waren bezogen und in die jeweiligen für die Benutzung rechtserheblichen Zeiträume aufgeteilt sein.

35

f) Die Frage der Benutzung der Widerspruchsmarke nach § 43 Abs. 1 MarkenG unterliegt abweichend von dem das patentamtliche und das patentgerichtliche Verfahren ansonsten beherrschenden Untersuchungsgrundsatz dem Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz (BGH GRUR 2006, 152 Rdnr. 19 – GALLUP; BPatG GRUR-RR 2015, 468, 469 – Senkrechte Balken).

36

g) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung der älteren Marke für
„Schulranzen“, „Rucksäcke“ sowie Umhängetaschen, Sportbeutel sowie Schreibwaren- und Wertsachentaschen und damit insgesamt für den ebenfalls eingetragenen Oberbegriff „
Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

37

aa) Für die Widerspruchswaren
Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren“ sind keine Glaubhaftmachungsmittel vorgelegt worden.

38

Die eingereichten Kataloge zeigen keine „
Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren“. Soweit vereinzelt Waren aus Leder oder in Lederoptik abgebildet sind, fehlt es an konkret auf diese Waren bezogenen Umsatzzahlen.

39

bb) Die Marketing Managerin Europe der Widersprechenden hat am 10. März 2016 unter Beifügung von Katalogmaterial und Rechnungen für die Jahre 2011 bis 2015 eidesstattlich versichert, dass die Widerspruchsmarke von 2007 bis zum 28. Februar 2014 von der H… AG und seit dem 1. März 2014 infolge Übertragung von der Widersprechenden und damit für die Jahre 2011 bis 2015 zur Kennzeichnung von Schulranzen, Rucksäcken und Taschen im Inland benutzt worden ist.

40

cc) Damit ist der erste Benutzungszeitraum von August 2009 bis August 2014 vollständig abgedeckt. Für den zweiten Benutzungszeitraum von August 2015 bis August 2020 liegen zwar nur Benutzungsnachweise für ein halbes Jahr vor. Das hält der Senat aber für ausreichend. Denn für eine ernsthafte Benutzung ist keine kontinuierliche Verwendung der Marke während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums erforderlich (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 72-74 – Il Ponte Finanzaria/HABM [BAINBRIDGE], BGH GRUR 2013, 925 Rdnr. 40 – VOODOO). Es kommt vielmehr darauf an, dass die Benutzungshandlungen deutlich über eine lediglich der rein formalen Aufrechterhaltung der Marke dienende Scheinbenutzung hinausgehen. Da die Widerspruchsmarke eine aufgrund jahrzehntelanger, kontinuierlicher Benutzung gerichtsbekannte deutsche Traditionsmarke im Bereich des Schreibwaren-, Büro- und Schulbedarfs darstellt, kann auch angesichts der kontinuierlich hohen Umsätze nicht von einer Scheinbenutzung ausgegangen werden.

41

dd) Denn die Widersprechende hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihrer Marketing Managerin Europe vom 10. März 2016 sowie Rechnungen für die Jahre 2011 bis 2015 auch den Umfang der Benutzung hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Danach haben die Widersprechende bzw. ihre Rechtsvorgängerin in den Jahren 2011 bis 2015 jährlich steigende Umsätze mit Schulranzen im einstelligen …-bereich, mit Rucksäcken bis zu … € und mit Taschen bis zu … € erzielt.

42

ee) Auch die erforderliche funktionsgemäße Benutzung der Widerspruchsmarke ist hinreichend glaubhaft gemacht.

43

aaa) Auszugehen ist von dem allgemeinen Grundsatz, dass sich die erforderliche Art einer rechtserhaltenden Benutzung nach den jeweiligen branchenüblichen Verwendungsformen von Marken bemisst. Sofern bei den einschlägigen Waren die jeweiligen Marken üblicherweise auf der Ware selbst, ihrer Verpackung oder Umhüllung angebracht werden, sind diese Verwendungsformen auch zur Anerkennung einer rechtserhaltenden Benutzung unabdingbar, weil nur auf diese Weise die erforderliche Herkunftsfunktion erfüllt wird (EuGH GRUR 2003, 425 Rdnr. 36 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2011, 623 Rdnr. 23 – Peek & Cloppenburg II; GRUR 1996, 267, 268 – AQUA; GRUR 1995, 347, 348 – TETRASIL; BPatG GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL).

44

bbb) Bei den hier maßgeblichen Schulranzen und Rucksäcken ist es üblich, die Kennzeichnung regelmäßig auf der Rückseite, ggf. aber auch an der Seite als Aufdruck oder Aufnäher anzubringen. Bei Taschen kommt als Aufbringungsort auch die Vorderseite in Betracht.

45

ccc) Auch, wenn die von der Widersprechenden eingereichten Unterlagen teilweise unvollständig sind, weil bei allen Prospektunterlagen mit Ausnahme des Exportfolders 2011 und des Schulranzenprospekts 2011 die Hälfte der Seiten fehlt, finden sich dort Abbildungen von Schulranzen und (Schul-)Rucksäcken, auf denen die Widerspruchsmarke auf der Vorderseite als Aufdruck oder Aufnäher angebracht ist. Auf den Titelseiten der Kataloge „PLATZ FÜR ABENTEUER 2013 … MIT SCHULRANZEN & BEIPROGRAMM VON H…“ und „SCHULRANZEN SORTIMENT 2014“ ist zudem ersichtlich, dass die Schulranzen auch an ihren Seiten, jeweils unten, mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnet sind. Dies geht auch aus den ersten Seiten dieser Prospekte hervor.

46

ddd) Da die „Tasche“ definiert ist als „etwas, was meist aus flexiblem Material hergestellt ist, meist einen oder zwei Henkel oder einen Tragegriff hat und zum Unterbringen von Dingen bestimmt ist, die jemand bei sich tragen möchte“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Tasche), fallen auch die in fast allen Katalogen abgebildeten Behältnisse zur Aufbewahrung von Schreibutensilien („Schüleretui“, „Doppeletui“, „Faulenzer“) oder Wertsachen („Kindergeldbörse“, „Brustbeutel“) darunter. Diese weisen ebenfalls Aufnäher auf der Vorder- oder Oberseite oder seitliche Stofffähnchen mit der Widerspruchsmarke auf. Auch die in fast allen Prospekten dargestellten Sportbeutel, bei denen die ältere Marke auf der Vorderseite, meist oben links angebracht ist, zählen dazu. Bei den ebenfalls angebotenen Umhängetaschen wird in den Katalogen entweder ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Herlitz Logo als Gummiapplikation ausgeführt ist („RANZEN, TASCHEN, RUCKSÄCKE & BEIPROGRAMM 2012“, S. 33), oder die Widerspruchsmarke ist am linksseitigen Rand der Vorderseite erkennbar („Rucksäcke, Taschen & Beiprogramm 2013“, S. 13, 15; „RUCKSÄCKE, TASCHEN UND BEIPROGRAMM 2014“, S. 17, 19; „BE.BAG RUCKSÄCKE, TASCHEN UND BEIPROGRAMM 2015“, S. 17, 19, 21).

47

eee) Soweit in den Prospekten auch Laptop- und Sporttaschen sowie seesackartige Taschen („Match Sack“) und Schulhandtaschen angeboten werden, kann den Abbildungen nicht entnommen werden, ob und an welcher Stelle die Widerspruchsmarke dort angebracht ist. Der Umstand, dass die ältere Marke deutlich auf dem unteren Rand jeder Prospektseite aufgedruckt ist, reicht als Nachweis funktionsgerechter Benutzung nicht aus, weil Kennzeichnungen auf Geschäftspapieren (Preislisten, Rechnungen, Briefköpfen, Firmenschriften etc.), Preisetiketten, Transportbehältnissen, in Katalogen, Gebrauchsanweisungen, Technischen Informationsblättern oder am Geschäftslokal im Verkehr nur als firmenmäßige Benutzung gelten (BGH GRUR 2011, 623 Rdnr. 23 – Peek & Cloppenburg II; GRUR 2006, 150 Rdnr. 11 f. – NORMA; GRUR 2009, 772 Rdnr. 53 – Augsburger Puppenkiste; GRUR 2005, 1047, 1049 – OTTO; GRUR 1996, 267, 268 – AQUA; BPatG 28 W (pat) 80/99 – Redy Line/REDLINE/AGA Redline; GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL).

48

ff) Der Art nach liegt ebenfalls eine rechtserhaltende Benutzung in beiden Benutzungszeiträumen vor, weil die verwendete Form der Widerspruchsmarke den kennzeichnenden Charakter nicht verändert hat.

49

aaa) Wird die Marke in einer von der Eintragung abweichenden Form benutzt, liegt eine rechtserhaltende Benutzung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG nur vor, wenn die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Das ist dann der Fall, wenn der Verkehr das abweichend benutzte Zeichen gerade bei Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzt, das heißt in der benutzten Form noch dieselbe Marke sieht.

50

bbb) Der Umstand, dass die Widerspruchsmarke
Abbildung häufig abweichend von der eingetragenen Rotfärbung als Hintergrund die jeweilige Farbe der Ware übernimmt, vermag ihren kennzeichnenden Charakter nicht zu ändern. Die Veränderung von Bildbestandteilen wird in der Regel als unschädlich angesehen, soweit das als selbständig kennzeichnend hervortretende Wortelement unverändert erhalten bleibt (BGH GRUR 1999, 167, 168 – Karolus-Magnus). Angesichts der von Haus aus normalen Kennzeichnungskraft des maßgebenden Nachnamens „herlitz“ sowie des beibehaltenen Logos handelt es sich nur um eine unwesentliche Farbvariation.

51

gg) Grundsätzlich können nur die Waren berücksichtigt werden, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist (§ 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG). Das sind hier die im Verzeichnis aufgeführten Waren
„Schulranzen“ und „Rucksäcke“ sowie die unter den eingetragenen Oberbegriff
„Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ fallenden Umhängetaschen, Sportbeutel, Schreibwaren- und Wertsachentaschen.

52

aaa) Allerdings ist die Markeneintragung nach der sogenannten „erweiterten Minimallösung“ nicht auf die speziellen Waren zu beschränken, für die die Marke tatsächlich benutzt worden ist (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Rdnr. 10 f. – Maalox/Melox-GRY). Die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise und das berechtigte Interesse des Markeninhabers, in seiner geschäftlichen Bewegungsfreiheit nicht ungebührlich eingeengt zu werden, rechtfertigen es, auch die Waren zu berücksichtigen, die nach der Verkehrsauffassung gemeinhin zum gleichen Warenbereich gehören. Dadurch wird ein sachgerechter Ausgleich erzielt zwischen dem Interesse des Markeninhabers und dem Interesse an der Freihaltung des Registers von Marken, die für einen Teil der Waren nicht benutzt werden. Zum gleichen Warenbereich gehören gemeinhin Waren, die in ihren Eigenschaften und ihrer Zweckbestimmung weitgehend übereinstimmen (vgl. BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 33 – INJEKT/INJEX). Handelt es sich bei dem gleichen Warenbereich um einen breiten Oberbegriff muss eine angemessene Untergruppe bestimmt werden, für die die Zuerkennung der rechtserhaltenden Benutzung gerechtfertigt erscheint (BGH a. a. O. – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2008, 616 Rdnr. 22 – AKZENTA; GUR 2002, 59, 63 – ISCO). Wenn eine engere Untergruppe nicht gefunden werden kann, hat es beim Oberbegriff zu verbleiben (vgl. OLG Köln MarkenR 2010, 151; HK-MarkenR/Spuhler, 4. Aufl., § 26 Rdnr. 91; Kur/Bogatz/Schäffler, 1. Aufl., MarkenG § 26 Rdnr. 116.2).

53

bbb) Bei allen Waren, bei denen vorliegend die rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist, nämlich Schulranzen, Rucksäcken, Umhängetaschen, Sportbeuteln, Schreibwaren- und Wertsachentaschen, handelt es sich nach Eigenschaften und Zweckbestimmung um Gegenstände aus flexiblem Material mit einem oder zwei Henkeln oder einem Tragegriff, die zum Unterbringen von Dingen bestimmt sind, die jemand bei sich tragen möchte. Damit lassen sich diese als
„Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ zusammenfassen. Einen engeren Untergruppenbegriff hat der Senat nicht feststellen können.

54

4. Zwischen den als benutzt anerkannten Widerspruchswaren
„Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ und den für die angegriffene Marke in Klasse 18 geschützten Produkten besteht Identität. Denn
„Leder- und Kunstledertaschen, nämlich Damenhandtaschen und Herrenhandtaschen“ werden vom Oberbegriff
„Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten“ umfasst.

55

5. Von den vorgenannten Waren werden sowohl der Schulbedarfs- und Taschenfachhandel als auch der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher einschließlich Schulkinder angesprochen. Da es sich um Waren von längerer Anschaffungsdauer handelt, die häufig einem gehobenen Preissegment angehören und teilweise auch ergonomische Anforderungen erfüllen müssen, ist von einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad der angesprochenen inländischen Verkehrskreise auszugehen.

56

6. Der Widerspruchsmarke
Abbildung kommt eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.

57

a) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH a. a. O. Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).

58

b) Schon das Wortelement „herlitz“ verfügt über normale Kennzeichnungskraft. Denn es stellt einen vergleichsweise seltenen Nachnamen bzw. einen Fantasiebegriff dar, so dass ihm eine beschreibende Bedeutung für die als benutzt anerkannten Widerspruchswaren nicht entnommen werden kann.

59

c) Allerdings geht der Senat, dessen Mitglieder zu den angesprochenen Verkehrskreisen von Taschen gehören, davon aus, dass es sich bei der Widerspruchsmarke, jedenfalls bei ihrem prägenden Wortbestandteil „herlitz“ offenkundig im Sinne des § 291 ZPO um eine seit langem bekannte Traditionsmarke im Bereich des Schreibwaren-, Büro- und Schulbedarfs handelt. Die auf diesem Gebiet bestehende erhöhte Kennzeichnungskraft strahlt auf die eng verwandten Widerspruchswaren
„Schulranzen“, „Rucksäcke“, Umhängetaschen, Sportbeutel, Schreibwaren- und Wertsachentaschen aus.

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7. Der trotz erhöhter Aufmerksamkeit bei identischen Vergleichswaren und überdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotene deutliche Abstand wird wegen hoher klanglicher Markenähnlichkeit nicht mehr eingehalten.

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a) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH a. a. O. Rdnr. 58 – INJEKT/INJEX), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).

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b) Die Vergleichsmarken
Abbildung und
Abbildung unterscheiden sich in der Gesamtheit und (schrift-)bildlich durch die abweichende Farbgebung, die unterschiedlichen Anfangsbuchstaben und Schriftarten sowie das stilisierte Logo der älteren Marke ausreichend voneinander.

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c) In klanglicher Hinsicht wird der Gesamteindruck der beiden Wort-/Bildmarken durch die beiden Wortelemente „Hellis“ und „herlitz“ geprägt. Denn bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil – sofern er kennzeichnungskräftig ist – den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH GRUR 2014, 378 Rdnr. 39 – OTTO CAP). Da es sich bei dem Markenwort „Hellis“ um einen Fantasiebegriff handelt, der nicht geeignet ist, die angegriffenen Waren zu beschreiben, wird die jüngere Marke mit diesem kennzeichnungskräftigen Wortelement benannt. Entsprechendes gilt auch für die Widerspruchsmarke, da das stilisierte Logo eine nicht benennbare grafische Gestaltung darstellt.

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d) Zwischen den Markenwörtern „Hellis“ und „herlitz“ besteht eine hohe phonetische Ähnlichkeit.

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aa) Die Markenwörter stimmen am stärker beachteten Wortanfang, in der Silbenzahl, der Vokalfolge sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus vollständig überein. Der Anfangslaut „He“ ist identisch. Beide Wortelemente sind zweisilbig, verfügen über die helle Vokalfolge („e-i“) und werden auf dem „e“ der ersten Silbe betont. Die Markenwörter entsprechen sich weiter in der Mitte durch den gemeinsamen Konsonanten „l“ und am Ende durch den übereinstimmenden stimmlosen Zahnlaut „s“, weil dieser auch als Auslaut in „z“ enthalten ist. Damit liegt eine weitgehende Identität bei den für den klanglichen Gesamteindruck maßgebenden Kriterien vor.

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bb) Der einzige Unterschied besteht im Mitlaut „r“ der älteren Marke, der nicht einmal als Reibelaut ausgesprochen wird, weil ein nachfolgender Vokal fehlt. Die Klangwirkung beschränkt sich vielmehr auf eine Verfärbung des vorangehenden Vokals „e“ in Richtung „e-a“. Bei der einzigen Abweichung handelt es sich zudem um den klangschwachen Konsonanten „r“, der sich an einer unbetonten Stelle in der weniger beachteten Wortmitte befindet, so dass er nicht nur bei ungünstigen Übertragungsverhältnissen in den Hintergrund tritt. Diese Abweichung kann daher im Gesamtklangbild nicht für eine hinreichende Differenzierung sorgen. Dies gilt umso mehr, als die Vergleichsmarken im Verkehr nicht gleichzeitig nebeneinander aufzutreten pflegen, sondern ein Vergleich aufgrund eines undeutlichen Erinnerungsbildes erfolgt, in dem regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die Unterschiede (vgl. u. a. EuGH GRUR Int. 1999, 734 Rdnr. 26 – Lloyd; BGH GRUR 2000, 506 juris-Tz. 66 – ATTACHÉ/TISSERAND; GRUR 2003, 1047 juris-Tz. 34 – Kellogg`s/Kelly`s).

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cc) Eine Verwechslungsminderung durch einen abweichenden Sinngehalt kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil beide Markenwörter Fantasiebegriffe darstellen. Aber selbst wenn „Hellis“ einen begrifflichen Anklang an das deutsche Adjektiv „hell“ oder das gleichlautende englische Substantiv für „Hölle“ erzeugen sollte, wäre die phonetische Ähnlichkeit der Vergleichsmarken zu stark, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.

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Denn bei hohen klanglichen Übereinstimmungen kommt ein Ausschluss der Verwechslungsgefahr durch einen abweichenden Sinngehalt regelmäßig nicht in Betracht, da der Verkehr die Vergleichsmarken infolge des Verhörens von Vornherein identisch wahrnehmen kann, und so die Markenwörter nicht mehr anhand eines unterschiedlichen Sinngehalts voneinander abzugrenzen vermag (vgl. EuGH MarkenR 2011, 22 Rdnr. 47 – Clina/CLINAIR; BGH GRUR 1986, 253, 255 – Zentis; BPatG 29 W (pat) 537/15 – qonsense/conlance; 27 W (pat) 208/05 – Chrisma/CHARISMA).

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dd) Entgegen der Ansicht der Markenstelle vermögen auch die deutlichen Bildunterschiede die klangliche Verwechslungsgefahr nicht zu verringern oder gar auszuschließen.

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aaa) Vor allem in der europäischen Rechtsprechung finden sich zwar Erwägungen, die klangliche Markenähnlichkeit in der rechtlichen Beurteilung der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund treten zu lassen, soweit die betreffenden Waren
überwiegend auf Sicht gekauft werden (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 36 – Il Ponte Finanzaria/HABM [BAINBRIDGE]; GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 75 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]). Nach der Rechtsprechung des BGH kann aber eine nach dem Klang zu bejahende Identität oder Ähnlichkeit von Vergleichsmarken durch Abweichungen im Bild nur dann „neutralisiert“ werden, wenn die mit der Marke gekennzeichneten Waren
regelmäßig nur auf Sicht gekauft werden (BGH GRUR 2011, 824 Rdnr. 31 – Kappa).

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bbb) Hinsichtlich der hier vorliegenden Marken lässt sich indessen schon nicht feststellen, dass sie überwiegend oder ausschließlich visuell wahrgenommen werden. Belege dafür, dass die visuelle Aufnahme im einschlägigen Warenbereich stark zugenommen und die phonetische Wahrnehmung deutlich nachgelassen haben, sind weder von der Markenstelle noch von der Inhaberin der angegriffenen Marke vorgelegt worden, noch konnte diese Entwicklung ermittelt werden. Auch wenn Taschen, darunter Schul- und Handtaschen, sowohl off- als auch online „auf Sicht“ gekauft werden, ist zu berücksichtigen, dass diesem „Kauf auf Sicht“ häufig mündliche Empfehlungen und Nachfragen sowie Gespräche zwischen Verbrauchern oder telefonische Bestellungen vorausgehen, bei denen klangliche Verwechslungen von Marken stattfinden können. Hinzu kommt, dass auch während der Kaufverhandlungen vor Ort mit dem Verkaufspersonal Markennamen genannt und wegen klanglicher Nähe verwechselt werden können. Ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf die akustische Werbung. Abgesehen davon wird selbst bei nur optischer Wahrnehmung einer Marke gleichzeitig der klangliche Charakter des Markenwortes unausgesprochen mit aufgenommen und damit die Erinnerung an klanglich ähnliche Marken geweckt, die von früheren Begegnungen bekannt sind. Die klangliche Verwechslungsgefahr wird insoweit nicht durch ein unmittelbares Hören, sondern durch die ungenauen Erinnerungen an den Klang beider Marken ausgelöst (BPatGE 23, 176, 179 – evit/ELIT; BPatG GRUR 1998, 59, 61 – Coveri).

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e) Aus den vorgenannten Gründen ist im verfahrensgegenständlichen Umfang eine unmittelbare klangliche Verwechslungsgefahr gegeben.

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8. Im Hinblick auf den während des Beschwerdeverfahrens von der Inhaberin der jüngeren Marke erklärten Teilverzicht konnte im Tenor nicht nur die Aufhebung des Erinnerungsbeschlusses ausgesprochen werden, sondern die wiederauflebende Löschungsanordnung des Erstbeschlusses musste an das veränderte Warenverzeichnis angepasst werden. Im Ergebnis wird das DPMA den bisher eingetragenen Warenbegriff „Leder- und Kunstledertaschen“ zu löschen haben.

III.

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Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.