BVerwG 9. Senat:

BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 09.07.2020, AZ 9 VR 1/20, ECLI:DE:BVerwG:2020:090720B9VR1.20.0

Tenor

1. Der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung des Eilverfahrens wird abgelehnt.

2. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 22. Januar 2020 für den Neubau der B 19, Ortsumgehung Meiningen, 2. Bauabschnitt, 2. Teilabschnitt, wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

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1. Der Senat legt die Bitte des Antragsgegners, das Eilverfahren bis zur Vorlage eines wasserrechtlichen Fachbeitrags auszusetzen (GA Bl. 129), als Antrag nach § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG aus. Danach kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

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Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Vorschrift überhaupt auf Eilverfahren Anwendung findet, in denen ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Jedenfalls ist eine Aussetzung hier nicht „im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich“. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass über den Streitstoff betreffend die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG aus Gründen der Prozessökonomie in einem Verfahren konzentriert entschieden werden soll (BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2018 – 9 A 12.17 – DVBl 2018, 1232 Rn. 7). Da sich an ein Eilverfahren, das nur der vorläufigen Streitbeilegung dient, regelmäßig – und so auch hier – ein Hauptsacheverfahren anschließt, würde eine Aussetzung des Eilverfahrens zu keiner Verfahrensbeschleunigung, sondern zu einer Verfahrensverzögerung führen.

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2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Das Aufschubinteresse des Antragstellers überwiegt das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Denn bei summarischer Prüfung, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, ist die Klage des Antragstellers erfolgversprechend.

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a) Der Planfeststellungsbeschluss ist offensichtlich rechtswidrig, weil er ein Vorhaben, das die Einleitung von Niederschlagswasser in verschiedene Oberflächengewässer erlaubt und verschiedene wasserrechtliche Genehmigungen enthält (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 19 f.), zulässt, ohne zunächst die Vereinbarkeit dieses Vorhabens mit dem Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i bis iii der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. L 327 S. 1) – Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) – und der §§ 27, 47 WHG geprüft und zum Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung gemacht zu haben. Die genannten Regelungen sind keine bloßen Zielvorgaben für die Gewässerbewirtschaftung, sondern zwingende Vorgaben für die Zulassung von Vorhaben. Sie müssen deshalb bei der Zulassung eines Projekts strikt beachtet werden (stRspr, vgl. EuGH, Urteile vom 1. Juli 2015 – C-461/13 [ECLI:EU:C:2015:433], Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – Rn. 50 f. und vom 28. Mai 2020 – C-535/18 [ECLI:EU:C:2020:391] – Rn. 74 f.; BVerwG, Urteile vom 11. August 2016 – 7 A 1.15 – BVerwG 156, 20 Rn. 160, vom 10. November 2016 – 9 A 18.15 – BVerwGE 156, 215 Rn. 96 und vom 12. Juni 2019 – 9 A 2.18 – juris Rn. 139). Daraus folgt, dass die zuständige Behörde verpflichtet ist, schon im Laufe des Genehmigungsverfahrens und somit vor dem Erlass der Entscheidung zu prüfen, ob und inwieweit das Projekt negative Auswirkungen auf die betroffenen Oberflächen- und Grundwasserkörper haben kann. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung müssen die ausgelegten Unterlagen diejenigen Angaben umfassen, die erforderlich sind, um die Auswirkungen des Projekts auf die Gewässer anhand der in Art. 4 Abs. 1 WRRL vorgegebenen Kriterien zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 28. Mai 2020 – C-535/18 – Rn. 76, 84). Dass eine wasserkörperbezogene Prüfung nicht stattgefunden hat, räumt der Antragsgegner der Sache nach ein, denn er teilt in seiner Antragserwiderung mit, dass er den Vorhabenträger aufgefordert habe, einen wasserrechtlichen Fachbeitrag zu erarbeiten.

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b) Weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ergeben sich aus dem Umstand, dass die der Planfeststellung zugrunde liegenden Verkehrsuntersuchungen – weder das ursprüngliche Verkehrsgutachten noch das später aktualisierte – im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung ausgelegen haben; sie sind – soweit ersichtlich – nicht einmal Bestandteil der dem Gericht übermittelten Verwaltungsvorgänge. Zwar mag zweifelhaft sein, ob eine Verkehrsprognose zu den Unterlagen über die Umweltauswirkungen nach § 9 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 UVPG 2010 gehört, weil sie nicht unmittelbar umweltrelevant ist. Jedenfalls gehört sie aber regelmäßig zu den entscheidungserheblichen Berichten und Empfehlungen betreffend das Vorhaben gemäß § 9 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 UVPG 2010. Hierfür spricht bereits der Wortlaut, weil die Verkehrsuntersuchung für Straßenplanungen die voraussichtliche Verkehrsstärke ermittelt und damit nicht nur Basis für die Dimensionierung der Straße ist, sondern auch die Daten für die Lärmprognose und das gesamte darauf aufbauende Lärmkonzept sowie die Grundlagendaten für die Luftschadstoffprognose liefert (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 2018 – 9 C 1.17 – BVerwGE 161, 180 Rn. 30). Ob der unterstellte Verfahrensfehler, wie der Antragsgegner meint, die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 4 Abs. 1a UmwRG i.V.m. § 46 VwVfG), ist jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht offensichtlich. Für den Erfolg des Eilverfahrens kommt es darauf im Hinblick auf die Ausführungen zu a) nicht an.

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c) Der Erfolgsaussicht der Klage steht weder entgegen, dass gemäß § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nur dann zur Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 UmwRG führt, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann, noch dass dies gemäß § 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG auch dann gilt, wenn es um erhebliche Mängel bei der Abwägung geht. Denn die Klage hat auch dann Erfolg, wenn sie (lediglich) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses führt.

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d) Das Vollzugsinteresse hat mit Blick auf die Ausführungen zu a) und b) zurückzustehen. Dies ist auch ohne weiteres zumutbar, denn erste Baumaßnahmen sind der Antragserwiderung zufolge ohnehin erst ab Oktober 2022 geplant; eine Beauftragung der Ausführungsplanung ist für Oktober 2020 „angedacht“ (GA S. 110). Der Antragsteller hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner durch die aufschiebende Wirkung der Klage nicht an verwaltungsinternen Maßnahmen zur Vorbereitung des Planvollzugs gehindert ist, namentlich kann er – auf eigenes Risiko – die Ausführungsplanung und die Ausschreibung von Bauleistungen vorantreiben (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2011 – 9 VR 2.11 – Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 84 Rn. 2).

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e) Angesichts des Vorstehenden kann offenbleiben, ob der Planfeststellungsbeschluss an weiteren Mängeln leidet (vgl. hierzu die Antragsbegründung S. 20 ff. zur Anpassung des Ausbaustandards im Rahmen der Ausführungsplanung und zu veralteten und unzureichenden Erfassungen im Naturschutzrecht).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG.