BFH 10. Senat, Beschluss vom 16.06.2020, AZ X B 153/19, ECLI:DE:BFH:2020:B.160620.XB153.19.0
§ 22 Nr 1 S 2 Halbs 2 Buchst a EStG 2009, § 22 Nr 1 S 3 Buchst a DBuchst bb EStG 2009, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011
Leitsatz
NV: Durch die BFH-Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass wiederkehrende Leistungen –vorliegend in Gestalt von Destinatärsvergütungen– keine Leibrenten sind und daher in voller Höhe als sonstige Einkünfte zu versteuern sind, wenn die zu erwartende Leistungshöhe infolge der Abhängigkeit von einer variablen Bemessungsgrundlage –vorliegend das Jahreseinkommen der zahlungsverpflichteten Stiftung– nicht vorausbestimmbar ist. Diese Grundsätze gelten ebenso, wenn hierneben ein Zahlungshöchstbetrag festgelegt ist, der nur dann nicht zu erfüllen ist, wenn das Einkommen des Zahlungsverpflichteten eine bestimmte Höhe unterschreitet.
Verfahrensgang
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 21. Oktober 2019, Az: 11 K 1534/18, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 21.10.2019 – 11 K 1534/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
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Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Rechtsnachfolger der während des erstinstanzlichen Verfahrens verstorbenen Frau A. Im Jahr 1988 hatte A gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann eine Stiftung gegründet, die nach einer Änderung ihrer Satzung seit dem Jahr 1997 ausschließlich gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolgt. A hatte Anspruch auf Destinatärsvergütungen. In § 2 Ziff. 7 der für die Streitjahre 2009 bis 2016 maßgeblichen Fassung der Stiftungssatzung heißt es hierzu auszugsweise wie folgt:
„Die Stiftung verwendet einen Teil, höchstens jedoch ein Drittel ihres Einkommens dazu, in angemessener und standesgemäßer Weise die Stifterin, (…), zu unterhalten und das Andenken der Stifter zu ehren.
Die Stifterin hat einen Anspruch auf … € pro Jahr, höchstens jedoch ein Drittel des Einkommens der Stiftung.“
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A bezog in den Kalenderjahren 1997 bis 2008 jeweils den vorgenannten absoluten Höchstbetrag, ebenso im Streitjahr 2009. In den nachfolgenden Streitjahren 2010 bis 2016 blieben die Vergütungen unter diesem Betrag, da sie –so die Feststellungen des Finanzgerichts (FG)– infolge der durch die Finanzkrise und der beginnenden Niedrigzinsphase hervorgerufenen Ertragsminderungen der Stiftung nach Maßgabe der Stiftungssatzung jeweils auf ein Drittel des Einkommens begrenzt wurden.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) besteuerte die Destinatärsvergütungen als wiederkehrende Bezüge gemäß § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in voller Höhe. Die Klage, mit der A und sodann die Kläger eine Besteuerung als Leibrente mit dem Ertragsanteil begehrten (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG), blieb ohne Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, die Vergütung sei von einer schwankenden Bezugsgröße –dem Einkommen der Stiftung– abhängig, so dass die steuerlichen Anforderungen an eine Leibrente nicht erfüllt seien.
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Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen.
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a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss zudem klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren auch klärungsfähig sein (statt vieler Senatsbeschluss vom 23.01.2013 – X B 84/12, BFH/NV 2013, 771, Rz 9). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen (Senatsbeschluss vom 01.03.2019 – X B 45/18, BFH/NV 2019, 545, Rz 3, m.w.N.).
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b) Dementsprechend ist die von den Klägern formulierte Rechtsfrage, ob eine Leibrente i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG auch dann vorliege, wenn in der Zusage neben einem festen Betrag zwar auf eine variable Größe Bezug genommen werde, aber nach den Vorstellungen der Parteien im Zeitpunkt der Zusage diese Bezugnahme nur im Ausnahmefall bei Eintritt einer schwerwiegenden Veränderung in der Sphäre des Leistungsverpflichteten zu Schwankungen in der Höhe der Bezüge führen könne, jedenfalls nicht klärungsbedürftig.
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aa) Es entspricht gefestigten Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die steuerrechtliche Qualifizierung wiederkehrender Bezüge als Leibrenten gleichmäßige Leistungen an den Berechtigten voraussetzt (u.a. Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 15.07.1991 – GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C.I.4.a, m.w.N.; BFH-Entscheidung vom 18.10.1994 – IX R 46/88, BFHE 175, 572, BStBl II 1995, 169, unter 1., m.w.N.; ebenso Senatsurteil vom 15.07.2014 – X R 41/12, BFHE 246, 442, Rz 43). Zwar führen nicht jede Veränderbarkeit und Schwankung der Leistungen dazu, eine Leibrente abzulehnen. Allerdings verlangt der Begriff der Leibrente, dass die vom Berechtigten zu erwartenden Leistungen zahlen- oder wertmäßig einigermaßen zuverlässig bestimmbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 27.05.1964 – I 379/61 U, BFHE 80, 1, BStBl III 1964, 475). Demzufolge liegen keine gleichmäßigen, sondern –die Ertragsanteilsbesteuerung ausschließende– ungleichmäßige Leistungen vor, wenn diese von einer variablen Bemessungsgrundlage abhängig sind, so dass eine Vorausbestimmbarkeit der Leistungshöhe nicht zuverlässig möglich erscheint.
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Entschieden hat der BFH dies insbesondere für Fallgestaltungen, bei denen die wiederkehrenden Leistungen in Höhe eines bestimmten Vomhundertsatzes des jährlichen Gewinns eines Unternehmens (so BFH-Urteile vom 10.10.1963 – VI 115/61 U, BFHE 77, 738, BStBl III 1963, 592; vom 25.11.1966 – VI R 111/66, BFHE 87, 476, BStBl III 1967, 178, sowie vom 30.05.1980 – VI R 153/77, BFHE 130, 524, BStBl II 1980, 575, unter 2.) oder dessen Umsatzes (so BFH-Urteil in BFHE 80, 1, BStBl III 1964, 475) vertraglich festgelegt wurden; dies gilt auch bei Mindestbeträgen (BFH-Urteil in BFHE 130, 524, BStBl II 1980, 575, unter 2.). Für die Annahme einer Leibrente unschädlich sind dagegen Veränderungen in absoluter Höhe, die daraus resultieren, dass die wiederkehrenden Leistungen an einer sich nur geringfügig ändernden Bezugsgröße ausgerichtet sind und daher die wesentliche Vorausbestimmbarkeit erhalten bleibt (u.a. BFH-Urteil vom 25.05.1973 – VI R 375/69, BFHE 109, 446, BStBl II 1973, 680, für den Fall der Wertbemessung an einer bestimmten Beamtenbesoldungsstufe).
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bb) Diese Erwägungen, die offensichtlich einhellig im Schrifttum geteilt werden (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 39. Aufl., § 22 Rz 26; Blümich/Nacke, § 22 EStG Rz 45; Killat in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG Rz 267; Stöcker in Bordewin/Brandt, § 22 EStG Rz 103 ff.), hat das FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt.
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cc) Die von den Klägern in ihrer Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze auch in dem von ihnen hervorgehobenen „Ausnahmefall“ eines für die Vertragsparteien nicht vorhersehbaren, schwerwiegenden Einbruchs der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gelten, fehlt jedenfalls die erforderliche Klärungsbedürftigkeit. Die Frage ist –bei unterstellter Klärungsfähigkeit– anhand der herkömmlichen Grundsätze zu beantworten, sodass es eines Revisionsverfahrens nicht bedarf.
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(1) Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Höhe der A zugesagten Destinatärsvergütung sowohl in absoluter als auch in relativer Hinsicht gedeckelt war. Ihr Anspruch war selbst dann auf den absoluten Betrag von … € begrenzt, wenn das auf das Jahreseinkommen der Stiftung bezogene Stifterdrittel über diesem Betrag lag (Einkommen von … € und mehr). Bewegte sich das Einkommen der Stiftung dagegen unter der Grenze von … €, schmolz der Anspruch der A nach den Regelungen der Satzung auf ein Drittel des Einkommens ab. In Anbetracht dieser relativen Grenze stand –wie auch vom FG zutreffend herausgearbeitet– die Erfüllung des Anspruchs in absoluter Höhe stets unter dem Vorbehalt der Feststellung eines mindestens dreimal höheren Jahreseinkommens der Stiftung. Die Anspruchshöhe war somit von einer schwankenden Bezugsgröße abhängig, die den wiederkehrenden Leistungen die notwendige Vorausbestimmbarkeit nahm.
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(2) Die Leistungshöhe wäre auch nicht deshalb vorausbestimmbar, dass zum Zeitpunkt der Zusage im Jahr 1996 die übereinstimmende Vorstellung der Vertragsparteien darüber bestanden hätte, dass A mit Blick auf die seinerzeitige Ertragskraft des Stiftungsvermögens durchgängig jährliche Leistungen in Höhe von … € würde beanspruchen können, so dass die Drittelbegrenzung nur für nicht vorhersehbare Ausnahmefälle gelten würde.
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Für die Frage, ob die Höhe der zu erwartenden wiederkehrenden Leistungen im Wesentlichen vorausbestimmbar und damit als gleichmäßig anzusehen sind, ist –anders als offenbar die Kläger meinen– nicht auf die Vorstellungen und Motive der Vertragsbeteiligten, sondern ausschließlich auf die objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Leistungen abzustellen. Knüpft die Höhe der Leistungen –wie im Streitfall– zumindest auch an das Einkommen des Zahlungsverpflichteten und damit an eine typischerweise nicht nur unerheblichen Schwankungen unterliegende Größe an, liegen die Voraussetzungen einer Leibrente nicht vor. Hiervon ist selbst dann auszugehen, wenn es die Ertrags- und Vermögenslage im Zeitpunkt der Zusage bei objektiver Betrachtung erwarten lässt, dass die Leistungen auch längerfristig in Höhe des festgelegten (Höchst-)Betrags zu erfüllen sind. Denn auch in diesem Fall beinhaltet der Vorbehalt ausreichend erzielten Einkommens aus Sicht des Zahlungsempfängers in Anbetracht der auf Lebenszeit ausgestalteten Zahlungszusage das nicht nur theoretische –vorliegend sogar realisierte– Risiko, dass durch nicht kalkulierbare Finanz- und Wirtschaftskrisen ein am freien Markt zu erzielendes Einkommen und damit die Bezugsgröße für die wiederkehrenden Leistungen bedeutsam und nachhaltig gemindert wird.
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(3) Der rechtliche Einwand der Kläger, auch eine Anpassung der Höhe wiederkehrender Leistungen nach Maßgabe des Wegfalls oder der Störung der Geschäftsgrundlage bei später eintretender wirtschaftlicher Verschlechterung der Lage des Zahlungsverpflichteten (§ 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) berühre nach der BFH-Rechtsprechung nicht die Qualifizierung von gleichmäßigen Leistungen als Leibrenten (BFH-Urteile vom 12.04.1967 – I 129/64, BFHE 89, 412, BStBl III 1967, 668, unter 4.; vom 01.08.1975 – VI R 168/73, BFHE 116, 505, BStBl II 1975, 882), führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine solche –auf einem separaten Willensentschluss des Verpflichteten beruhende– allgemeine zivilrechtliche Anpassungsmöglichkeit ist der von vornherein vereinbarten Abhängigkeit der Leistungen von der variablen Bezugsgröße „Einkommen“ nicht gleichzusetzen.
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2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.