BFH 10. Senat, Beschluss vom 28.05.2020, AZ X B 19/20, ECLI:DE:BFH:2020:B.280520.XB19.20.0
§ 165 Abs 2 AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO
Leitsatz
NV: Wenn eine Tatsache dem FA bereits beim Erlass eines vorangegangenen Änderungsbescheids bekannt war, ermöglicht § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich keine auf diese Tatsache gestützte weitere Änderung des Bescheids. Etwas anderes gilt jedoch u.a., wenn es sich bei dem vorangegangenen Änderungsbescheid um eine auf § 165 Abs. 2 AO gestützte Änderung im vollmaschinellen Verfahren aufgrund einer automatisierten Überprüfung sämtlicher ergangener Steuerbescheide zur Umsetzung einer geänderten BFH-Rechtsprechung handelte (Fortführung der BFH-Entscheidungen vom 12.01.1989 – IV R 8/88, BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438, unter 4., und vom 18.12.2014 – VI R 21/13, BFHE 248, 116, BStBl II 2017, 4, Rz 20).
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 23. Januar 2020, Az: 12 K 12141/19, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 23.01.2020 – 12 K 12141/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
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Gegen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erging am 18.08.2016 aufgrund der Angaben in ihrer Einkommensteuererklärung der erstmalige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2014. Dieser enthielt mehrere Vorläufigkeitsvermerke –u.a. wegen der Frage, ob der Abzug einer zumutbaren Belastung bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung zulässig ist–, aber keinen Vorbehalt der Nachprüfung.
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Im Dezember 2017 reichten die Kläger eine geänderte Einkommensteuererklärung 2014 ein. Daraus ergaben sich bisher nicht erfasste Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 10.800 €. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) erließ am 17.09.2018 aufgrund eines vollmaschinellen Korrekturlaufs einen nach § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2014. Darin wurde die zumutbare Belastung entsprechend dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.01.2017 – VI R 75/14 (BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684) zugunsten der Kläger neu berechnet.
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Die nacherklärten Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb wurden erst in einem weiteren –verfahrensrechtlich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten– Änderungsbescheid vom 23.11.2018 erfasst, allerdings irrtümlich als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Hiergegen wandten sich die Kläger mit dem Argument, die Tatsache sei bei Erlass des Bescheids vom 23.11.2018 nicht mehr neu gewesen, weil das FA sie bereits im zuvor ergangenen Änderungsbescheid vom 17.09.2018 hätte berücksichtigen können.
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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
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Die Kläger begehren die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
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Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Beschwerde ist –bei erheblichen Zweifeln daran, ob die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt erfüllt sind– jedenfalls unbegründet.
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1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
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a) Dies wäre nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dann der Fall, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 12.02.2019 – X B 90/18, BFH/NV 2019, 513, Rz 10, m.w.N.).
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b) Die von den Klägern allein formulierte Rechtsfrage, ob ein bestandskräftiger Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen einer neuen Tatsache geändert werden kann, die beim Erlass eines vorangehenden Bescheids bereits bekannt war, ist geklärt. Nach der vom Finanzgericht zutreffend angeführten BFH-Rechtsprechung ist in einem solchen Fall eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht mehr zulässig (BFH-Urteil vom 12.01.1989 – IV R 8/88, BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438, unter 1.).
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c) Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings in Fällen, in denen bei der vorangegangenen Änderung nicht der gesamte Steuerfall materiell-rechtlich überprüft werden musste, verschiedentlich Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa darin, dass der vorangegangene Änderungsbescheid ausschließlich die auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte Anpassung an einen Grundlagenbescheid vorgenommen hatte (zur Vorgängervorschrift des § 218 der Reichsabgabenordnung BFH-Urteil vom 17.07.1975 – IV R 233/71, BFHE 116, 521, BStBl II 1975, 892; ebenso in einem obiter dictum zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO BFH-Urteil in BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438, unter 4.). Dasselbe gilt, wenn der vorangegangene Änderungsbescheid sich darin erschöpfte, gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO einen zusätzlichen Vorläufigkeitsvermerk in den Bescheid aufzunehmen (BFH-Beschluss vom 18.12.2014 – VI R 21/13, BFHE 248, 116, BStBl II 2017, 4, Rz 20).
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Zu der vorliegend zu beurteilenden Konstellation, dass der vorangegangene Änderungsbescheid auf § 165 Abs. 2 AO gestützt war, hat sich der BFH zwar noch nicht geäußert. Hierfür kann aber nichts anderes gelten als in den im vorigen Absatz dargestellten Fallkonstellationen. Ebenso wie bei der Anpassungsänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO oder bei der Aufnahme eines zusätzlichen Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO berechtigt auch § 165 Abs. 2 AO („soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat“) nur zu einer punktuellen Änderung und gerade nicht zu einer Gesamtüberprüfung der Steuerfestsetzung. Dieser Gesichtspunkt setzt sich jedenfalls dann durch, wenn der Änderungsbescheid –wie hier– aufgrund der erforderlichen Überprüfung sämtlicher bisher ergangener Steuerbescheide im Hinblick auf eine sich aus einer geänderten BFH-Rechtsprechung ergebenden neuen Berechnungsweise im vollmaschinellen Verfahren erlassen wurde, ohne dass ein Sachbearbeiter des FA überhaupt noch Gelegenheit hatte, die Akte auf zwischenzeitlich bekannt gewordene Tatsachen durchzusehen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.