Beschluss des BPatG München 30. Senat vom 30.03.2023, AZ 30 W (pat) 554/20

BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 30.03.2023, AZ 30 W (pat) 554/20, ECLI:DE:BPatG:2023:300323B30Wpat554.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2019 115 642.0

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 30. März 2023 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Dr. Weitzel und Wagner

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Mai 2020 aufgehoben, soweit die Anmeldung für die Waren und Dienstleistungen der

„Klasse 09: (…) Computerprogramme für Projektmanagement; Computerprogramme für Telekommunikationszwecke (…)

Klasse 10: (…) Ophthalmische mikrochirurgische Messer

Klasse 42: Entwicklung von Internetplattformen für den elektronischen Handel; (…); Hosting von Transaktionsplattformen im Internet; (…); Kopieren von Computerprogrammen; Vervielfältigen von Computerprogrammen“

zurückgewiesen worden ist.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

2

Biometric Intelligent Glasses

3

ist am 29. November 2019 für die Waren und Dienstleistungen

4

„Klasse 09: 3D-Brillen; Brillen, Sonnenbrillen und Kontaktlinsen; Brillenbügel; Brillenfassungen; Brillengläser mit Antireflexbeschichtung; Computerprogramme [gespeichert]; Computerprogramme [herunterladbar];
Computerprogramme für Projektmanagement; Computerprogramme für Telekommunikationszwecke; Ersatzgläser für Brillen; Gestelle für Brillen und Sonnenbrillen; Gläser für Brillen; Gläser für Sonnenbrillen; Interaktive Multimedia-Computerprogramme; Korrigierende Brillen und Kontaktlinsen; Linsenrohlinge für Brillengläser; Lose Brillengestelle; Optische Apparate und Instrumente; Optische Brillen; Optische Linsen; Polarisierende Brillen; Sonnenbrillenbügel; Verschreibungspflichtige Brillen

5

Klasse 10: Augenärztliche Geräte; Augenimplantate; Augeninnendruckmessgeräte [medizinische Zwecke]; Medizinische Geräte; Ophthalmische Geräte;
Ophthalmische mikrochirurgische Messer

6

Klasse 16: Broschüren; Druckereierzeugnisse; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Informationsprospekte; Gedruckte Werbematerialien; Werbebroschüren; Werbeprospekte; Werbepublikationen

7

Klasse 40: Kundenspezifische Auftragsfertigung von Brillengläsern; Schleifen und Polieren von Glas für Brillen

8

Klasse 42:
Entwicklung von Internetplattformen für den elektronischen Handel; Erteilung von Auskünften über Computerprogramme; Hosting digitaler Inhalte im Internet;
Hosting von Transaktionsplattformen im Internet; Installation von Computerprogrammen; Internetdienste mit geschützter Umgebung;
Kopieren von Computerprogrammen; Vermietung von Computerprogrammen [Software];
Vervielfältigen von Computerprogrammen; Zurverfügungstellung von Computerprogrammen und -einrichtungen für die Datenverarbeitung

9

Klasse 44: Brillenanpassung; Durchführung optischer Tests durch Optiker; Durchführung von Sehtests [Dienstleistungen von Optikern]; Medizinische Beratung; Medizinische Beratung im Gesundheitswesen; Optikerdienstleistungen; Telemedizin-Dienste

10

Klasse 45:Computersoftwarelizenzierung; Lizenzierungsdienste; Lizenzierung von Computerprogrammen; Rechtliche Lizenzverwaltung“

11

zur Eintragung in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register angemeldet worden.

12

Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss vom 29. Mai 2020 zurückgewiesen, weil es der angemeldeten Bezeichnung an der erforderlichen Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

14

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, die englischsprachige Wortkombination
Biometric Intelligent Glasses bestehe aus dem gebräuchlichen Fachbegriff „biometric“ in der deutschen Übersetzung „biometrisch“, dem in der deutschen Sprache identischen Begriff „intelligent“ für „intelligent, klug“ und dem gängigen englischen Begriff „glasses“ mit dem Sinngehalt „Brille, Brillen, Gläser, Augengläser“.

15

Der angesprochene Verkehr, bestehend aus Verbrauchern und Handel, assoziiere das angemeldete Zeichen lediglich als werblich-anpreisende Sachaussage in der Bedeutung von: „Brillen, Gläser, Augengläser (hergestellt) auf Basis biometrischer künstlich-technologischer Intelligenz“ bzw. „Brillen, Gläser, Augengläser (ausgestattet) mit biometrischer künstlich-technologischer Intelligenz“ und setze sich damit nur aus einer Kombination schutzunfähiger Wortbestandteile zusammen, die in ihrer Zusammenstellung keinen schutzfähigen Gesamtbegriff ergäben. Dabei werde der Begriff „Biometric“ jedenfalls von den am internationalen Handelsverkehr beteiligten inländischen Fachkreisen verstanden.

16

Indizierend für eine fehlende Unterscheidungskraft sei, dass die analogen Zeichenteile „(biometric) smart glasses“ bzw. „intelligente Brillen“ bereits branchenüblich nachzuweisen seien.

17

Im Hinblick auf die Waren der Klassen 9 und 10 sowie die Dienstleistungen der Klassen 40, 42 und 44 werde die angemeldete Marke dahingehend verstanden, dass die Entwicklung und Herstellung der Waren auf Basis eines biometrisch intelligenten Verfahrens mittels der Vermessung der individuellen Augendaten erfolge oder mit Ausstattungselementen biometrisch künstlich-technologischer Intelligenz angeboten und erbracht werden würden.

18

Die Waren und Dienstleistungen der Klassen 16 und 45 stünden funktional oder als ergänzende Hilfswaren/-dienste in einem kohärenten Sachbezug hierzu.

19

Entgegen der Auffassung der Anmelderin könne die Neuheit einer Marke basierend auf einem fehlenden lexikalischen Nachweis über die Verwendung des angemeldeten Zeichens keine Unterscheidungskraft begründen. Auch ließe die angemeldete Marke
Biometric Intelligent Glasses keinen Raum für eine Interpretation in Richtung nur vager und unklarer Deutungsmöglichkeiten.

20

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie geltend macht, das angemeldete Zeichen sei bereits deshalb schutzfähig, weil es eine schutzbegründende Originalität aufweise. Dadurch, dass die ersten beiden Begriffe „Biometric“ und „Intelligent“ vier kurze Silben aufwiesen und „Glasses“ aus zwei längeren Silben bestehe, entstünde bei der Aussprache des angemeldeten Zeichens ein gleichmäßiger Sprechrhythmus. Zudem werde durch die für englische Begriffe unübliche Großschreibung der Anfangsbuchstaben die Aufmerksamkeit auf diese geleitet. Sie wiesen im vorliegenden Fall mit „
BIG“ für „groß“ einen eigenen Bedeutungsinhalt auf.

21

Der Durchschnittsverbraucher verstehe
Biometric Intelligent Glasses nicht als unmittelbar beschreibenden Sachhinweis auf die Waren und Dienstleistungen, da der Wortfolge kein unmittelbar verständlicher Aussagegehalt zukomme. So werde der Begriff „biometrisch“ vom Durchschnittsverbraucher selten und höchstens im Zusammenhang mit biometrischen Erkennungsverfahren zur Personenidentifikation wie z.B. biometrische Reisepässe und Personalausweise oder Fingerabdruck-Identifizierungssysteme genutzt.

22

In Bezug auf die beanspruchten Waren der Klasse 09 sei lediglich für einige Waren ein Bezug zu Brillen(-gläsern) gegeben. Aus den Rechercheergebnissen der Markenstelle zu „intelligenten Brillen“ im Sinne von „Smart Glasses“ ergebe sich ein Bezug und damit eine (beschreibende) Bedeutung allenfalls für Datenbrillen oder biometrische Authentifizierungen, die vorliegend jedoch nicht beansprucht seien.

23

Die Waren der Klasse 10 stehen stünden in keinem Bezug zu Datenbrillen oder biometrischen Authentifizierungen, bei den Waren der Klasse 16 könne ebenso kein Zusammenhang zum Begriff
Biometric Intelligent Glasses als Sach- oder Qualitätshinweis hergestellt werden. Auch sei keine Eigenschaft als ergänzende Hilfswaren zu sehen. Die Dienstleistungen der Klassen 42 und 45 bezögen sich auf Computerprogramme bzw. Lizensierungsdienstleistungen, die in keinerlei Bezug zu den Begriffen „biometrisch“ bzw. „intelligente Brillen“ oder „smartglasses“ stünden, so dass der Durchschnitts-Verbraucher auch für diese Dienstleistungen keinen werblichen Charakter sehe. Auch die Dienstleistungen der Klassen 40 und 44 wiesen keinen direkten Sachbezug zur angemeldeten Bezeichnung auf.

24

Darüber hinaus stehe der Eintragung der angemeldeten Marke kein Freihaltungsbedürfnis entgegen. Aufgrund des breiten Interpretations-Spielraums ergebe sich für den Verbraucher kein unmittelbar beschreibender Inhalt in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen.

25

Die Beschwerdeführerin beantragt,

26

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Mai 2020 aufzuheben.

27

Die Beschwerdeführerin ist mit der Terminsladung vom 27. Februar 2023 unter Beifügung von Recherchebelegen (Bl. 20 – 36 GA) darauf hingewiesen worden, dass der Senat das angemeldete Wortzeichen für nicht schutzfähig erachtet. Auf Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. März 2023 ist der Verhandlungstermin aufgehoben worden.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

29

Die nach §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache im tenorierten Umfang, nämlich bezogen auf die Waren „Computerprogramme für Projektmanagement; Computerprogramme für Telekommunikationszwecke“ der Klasse 09, „Ophthalmische mikrochirurgische Messer“ der Klasse 10 und die Dienstleistungen „Entwicklung von Internetplattformen für den elektronischen Handel; Hosting von Transaktionsplattformen im Internet; Kopieren von Computerprogrammen“ der Klasse 42 Erfolg. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Insoweit steht der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens als Marke das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft entgegen (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

30

1. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG schließt von der Eintragung als Marke Zeichen aus, denen für die in der Anmeldung beanspruchten Waren und Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt. Unterscheidungskraft ist die einem Zeichen zukommende Eignung, die von der Anmeldung erfassten Waren bzw. Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und so diese Waren und Dienstleistungen von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. u. a. EuGH MarkenR 2012, 304 Rn. 23 – Smart Technologies/HABM [WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH]; GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH GRUR 2018, 932 Rn. 7 – #darferdas? I; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI; GRUR 2014, 569 Rn. 10 – HOT; GRUR 2013, 731 Rn. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143 Rn. 7 – Starsat). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2008, 608 Rn. 66 Eurohypo AG/HABM [EUROHYPO]; GRUR 2006, 229 Rn. 27 – BioID AG/HABM [BioID]; BGH GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI; GRUR 2014, 565 Rn. 12 – smartbook).

31

Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 53 – Henkel KGaA; BGH GRUR 2018, 301 Rn. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 10 – OUI; GRUR 2014, 872 Rn. 13 – Gute Laune Drops).

32

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013,1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2019, 1194 Rn. 20 – AS/DPMA [#darferdas?]; GRUR 2008, 608 Rn. 67 – Eurohypo AG/HABM [EUROHYPO]; GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord AG/Hukla Germany SA [MATRATZEN]; BGH GRUR 2014, 376 Rn. 11 – grillmeister).

33

Keine Unterscheidungskraft besitzen insbesondere Zeichen, die einen beschreibenden Begriffsinhalt aufweisen, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird (EuGH GRUR 2004, 674 Rn. 86 – Koninklijke KPN Nederland NV/Benelux-Merkenbureau [Postkantoor]; BGH GRUR 2018, 932 Rn. 8 – #darferdas? I). Auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Ware oder die Dienstleistung selbst nicht unmittelbar betreffen, fehlt die Unterscheidungskraft, wenn durch die Angabe ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren oder Dienstleistungen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten erfasst und in der Bezeichnung nicht ein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen sieht (BGH GRUR 2018, 301 Rn. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2014, 569 Rn. 10 – HOT; GRUR 2012, 1143 Rn. 9 – Starsat; GRUR 2009, 952 Rn. 10 – DeutschlandCard).

34

2. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen fehlt dem Zeichen
Biometric Intelligent Glasses bezüglich der beanspruchten Waren und Dienstleistungen mit Ausnahme der im Tenor genannten jegliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

35

a. Angesprochen werden Fachverkehrskreise und allgemeine Verkehrskreise, wobei es sich überwiegend um Produkte und Leistungen handelt, die mit Bedacht und auch nach fachkundiger Beratung erworben oder nachgefragt werden.

36

b. Die Übersetzung der den deutschen Begriffen entsprechenden Wörter „Biometric“ (für biometrisch), „Intelligent“ (für intelligent) bzw. des zum englischen Grundwortschatz gehörenden Wortes „Glasses“ (für Brillen[gläser]) erschließt sich dem angesprochenen Verkehr unmittelbar i.S.v. „biometrische (Brillen[gläser])“.

37

aa. Der Begriff „Biometric“ ist ein adjektivischer Hinweis auf die Wissenschaft der Biometrie, die sich mit Messungen an Lebewesen und den dazu erforderlichen Mess- und Auswerteverfahren beschäftigt (https://de.wikipedia.org/wiki/Biometrie). Im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen liegt ein Verständnis des Verkehrs betreffend exakt vermessener/individuell angepasster Sehhilfen auf der Hand. Dementsprechend warb die Anmelderin schon vor dem Anmeldezeitpunkt für „biometrische Brillengläser“, für die ein Scanner „die exakte Form und Größe“ der Augen vermisst (https://www.r…, Anlage zum gerichtlichen Hinweis). Da, worauf die Anmelderin zu Recht hinweist und was die Markenstelle in ihrer Argumentation übersieht, gerade keine „Datenbrillen“ beansprucht sind, scheidet ein Verständnis im Sinne von „biometrischer Authentifizierung“ hingegen aus.

38

bb. Die Kombination „Intelligent Glasses“ (= intelligente Brillen[gläser]) wird als beschreibender Sachhinweis auf Brillen(gläser) verstanden, die sich verschiedenen Situationen, z.B. hell/dunkel, selbständig (intelligent) anpassen. So wirbt beispielsweise ein Brillenanbieter schon 2018 für „Intelligente Sonnenbrillengläser für wechselnde Lichtverhältnisse“ (https://www.z…, Anlage zum gerichtlichen Hinweis). In einem anderen Artikel heißt es: „Intelligente Gläser für optimales Sehen in jedem Licht“ (vgl. https://www.m…, Anlage zum gerichtlichen Hinweis). Zwar sind sogenannte „Smart Glasses“ ebenfalls „intelligent“ bzw. mit künstlicher Intelligenz – z.B. zur biometrischen Gesichtserkennung – ausgestattet. Im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen, die sich nicht auf „Datenbrillen“ beziehen, liegt ein dahingehendes Verständlich jedoch fern.

39

cc. In der Gesamtheit versteht der Verkehr das angemeldete Zeichen ohne weiteres dahingehend, dass die beanspruchten Waren und Dienstleistungen adaptive/phototrope (= intelligente), exakt an die Augen des Trägers angepasste (= biometrische) Brillen(gläser) sind, diese betreffen bzw. damit in einem engen beschreibenden Bezug stehen. Dabei bleibt das bloße Aneinanderreihen von beschreibenden Bestandteilen beschreibend, selbst wenn es sich um eine auf die Anmelderin zurückzuführende begriffliche Neuschöpfung handeln sollte (vgl. EuGH GRUR 2004, 680 Rn. 39 – Biomild; BGH GRUR 2014, 565 Rn. 21 – smartbook; BPatG, 30 W (pat) 511/16 – Ecotop). Eine schutzbegründende Änderung, insbesondere in syntaktischer oder semantischer Art, kann dem Anmeldezeichen nicht entnommen werden. Das gilt umso mehr, als in der Optik-Branche häufig mehrere selbständige, beschreibende Begriffe in der Gesamtheit wiederum beschreibend aneinandergereiht werden, z.B. „German Intelligent Color Progressive Auto Focus Reading Glasses“ (vgl. Auszug aus eBay vom 20.3.2017, Anlage zum gerichtlichen Hinweis).

40

c. Nach alldem stellt das Zeichen
Biometric Intelligent Glasses in Bezug auf die zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen eine beschreibende Sachangabe dar, die der Verkehr nicht als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb bzw. Unternehmen erkennt.

41

Im Einzelnen:

42

aa. In Bezug auf die Waren der Klasse 09: „3D-Brillen; Brillen, Sonnenbrillen; Brillengläser mit Antireflexbeschichtung; Ersatzgläser für Brillen; Gläser für Brillen; Gläser für Sonnenbrillen; Korrigierende Brillen; Optische Brillen; Polarisierende Brillen; Verschreibungspflichtige Brillen“ erschöpft sich das Anmeldezeichen in einem unmittelbar beschreibenden Hinweis darauf, dass die Brillen(gläser), die eine intelligente, z.B. phototrope – Funktion aufweisen, basierend auf einer biometrischen Vermessung des Auges hergestellt werden.

43

Im Hinblick auf „Brillenbügel; Brillenfassungen; Gestelle für Brillen und Sonnenbrillen; Lose Brillengestelle; Sonnenbrillenbügel, Linsenrohlinge für Brillengläser; Optische Linsen;“ ist die Unterscheidungskraft zu verneinen, weil diese Waren notwendiges Zubehör von Brillen sind und insofern ein enger beschreibender Bezug zu dem angemeldeten Zeichen besteht.

44

Das gilt auch für die beanspruchten „Kontaktlinsen“ die englisch zwar „contact lenses“ heißen, zum einen aber aus Glas bestehen können („Glasses“) und zum anderen, wie Brillen, der Verbesserung des Sehens dienen und so zum Gesamtbereich einer gemeinsamen Warengruppe gehören (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 8 Rn. 108).

45

Im Hinblick auf die übrigen Waren der Klasse 09 (Computerprogramme [gespeichert]; Computerprogramme [herunterladbar]) Optische Apparate und Instrumente“ besteht zwischen diesen und dem Sinngehalt des angemeldeten Zeichens ein unmittelbarer und konkreter enger Bezug (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, aaO., § 8 Rn. 126). Da die Vermessung und Berechnung der biometrischen Eigenschaften mit Hilfe von Computerprogrammen und entsprechenden Apparaten erfolgt, spielen diese eine entscheidende Rolle bei der Fertigung von (intelligenten) Brillen.

46

bb. Nach den vorgenannten Grundsätzen besteht darüber hinaus ein enger beschreibender Bezug zu den Waren der Klasse 10 sowie den Dienstleistungen der Klassen 40 und 44.

47

So umfassen die Waren der Klasse 10 wie augenärztliche und ophthalmische Geräte eine Vielzahl an Waren, die bei der Herstellung von biometrischen intelligenten Brillen eingesetzt werden können. Zudem können die beanspruchten „Augenimplantate“ (z.B. künstliche Linsen) aus Glas sein („Glasses“) bzw. wie Brillen der Verbesserung des Sehens dienen und so zum Gesamtbereich einer gemeinsamen Warengruppe gehören.

48

Auch die Dienstleistungen der Klasse 44 (z.B. Optikerdienstleistungen wie optische Tests und Brillenanpassungen sowie allgemeine medizinische Beratung) und die Dienstleistungen der Klasse 40 (z.B. kundenspezifische Brillenanfertigung und Politur von Brillengläsern) enthalten Leistungen, welche jeweils für die Anpassung und Herstellung von biometrischen Brillen nötig sind.

49

cc. Die Waren der Klasse 16 (Broschüren; Druckereierzeugnisse; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Informationsprospekte; Gedruckte Werbematerialien; Werbebroschüren; Werbeprospekte; Werbepublikationen) können sich inhaltlich mit biometrischen intelligenten Brillen befassen. Deshalb kann dem Zeichen
Biometric Intelligent Glasses ein im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt entnommen werden, weil es nach Art eines Sachtitels bzw. einer Inhaltsangabe geeignet ist, den (möglichen) gedanklichen Inhalt der Waren zu beschreiben (vgl. BGH GRUR 2000, 882 – Bücher für eine bessere Welt; GRUR 2001, 1042 – REICH UND SCHOEN; 1043 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten; GRUR 2002, 1070 – Bar jeder Vernunft; GRUR 2003, 342 – Winnetou; siehe auch BPatG 32 W (pat) 155/07 – Freizeit Revue). Die Waren der Klasse 16 werden zu Informations- und Werbezwecken branchenüblich und regelmäßig beim Vertrieb bzw. der Erbringung der angemeldeten Waren und Dienstleistungen eingesetzt (vgl. BGH GRUR 2006, 850, 854 – FUSSBALL WM 2006).

50

dd. Ein unmittelbarer und konkreter enger Bezug, der sich dem Verkehr ohne weiteres aufdrängt (vgl. z.B. EuG GRUR Int 2006, 1021, Rn. 50, 51 – map&guide) besteht auch im Hinblick auf die (zurückgewiesenen) Dienstleistungen der Klasse 42: „Erteilung von Auskünften über Computerprogramme; Hosting digitaler Inhalte im Internet; Installation von Computerprogrammen; Internetdienste mit geschützter Umgebung; Vermietung von Computerprogrammen [Software]; Zurverfügungstellung von Computerprogrammen und -einrichtungen für die Datenverarbeitung“ und die Dienstleistungen der Klasse 45 „Computersoftwarelizenzierung; Lizenzierungsdienste; Lizenzierung von Computerprogrammen, Rechtliche Lizenzverwaltung“. Der Verkehr weiß, dass für die Herstellung von biometrischen Brillen Computerprogramme (und ggfs. ihre Lizenzierung) essentiell sind, da die Vermessung und Berechnung der biometrischen Eigenschaften mit ihrer Hilfe erfolgt. Das „Hosting digitaler Inhalte im Internet“ kann z.B. das Hochladen von für die Fertigung biometrischer Brillen erforderlichen Kundendaten betreffen. Ebenso bietet sich eine Lizenzierung der (u.U. teuren) Spezialprogramme an.

51

3. Die hiergegen gerichteten weiteren Einwendungen der Anmelderin verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.

52

a. Soweit die Anmelderin ausführt, das angemeldete Zeichen sei unterscheidungskräftig, weil es lexikalisch nicht nachweisbar sei, ist dem nicht zu folgen, weil die mögliche Neuheit des angemeldeten Zeichens keine Unterscheidungskraft begründen kann (vgl. EuGH GRUR 2004, 1027, 1029 f (Nr. 37-47) – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT).

53

b. Auch dem Vorbringen der Anmelderin, das Zeichen weise eine schutzbegründende Originalität auf und sei deshalb unterscheidungskräftig, kann nicht gefolgt werden. So wird der von der Anmelderin geltend gemachte „gleichmäßige Sprechrhythmus“ entweder nicht bemerkt oder ihm wird keine Bedeutung zugemessen, weil er gegenüber vergleichbaren Wortfolgen keine Besonderheiten aufweist. Wie bereits ausgeführt, ist es in der Optik-Branche zudem verbreitet, mehrere beschreibende Begriffe in einer beschreibenden Wortfolge zusammenzufügen (z.B. „German Intelligent Color Progressive Auto Focus Reading Glasses“ (vgl. Auszug aus eBay vom 20.3.2017, Anlage zum gerichtlichen Hinweis).

54

c. Was die von der Anmelderin angesprochene „für englische Begriffe unübliche“ Großschreibung der Anfangsbuchstaben betrifft, bewirkt dies keine Ungewöhnlichkeit, weil der Verkehr an die willkürliche und nicht den grammatikalischen Regeln folgende Groß- und Kleinschreibung von Wörtern in der Werbung gewöhnt ist (BGH GRUR 2008 710 Rdnr. 20 – VISAGE; BPatG 27 W (pat) 89/11 – !Solid; 29 W (pat) 25/09 – Turkey Today; 26 W (pat) 548/20 – Glowing Collection). Insofern wird der überwiegende Teil des Verkehrs nicht bemerken, dass die Anfangsbuchstaben von
Biometric Intelligent Glasses das Wort „
BIG“ (groß) bilden. Das gilt umso mehr, weil die Einzelbegriffe des als Wortmarke angemeldeten Zeichens nebeneinander angeordnet und die Anfangsbuchstaben grafisch nicht hervorgehoben sind.

55

4. Die Marke kann im vorgenannten Umfang damit ihre Hauptfunktion, nämlich den Verkehrskreisen die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu garantieren, nicht erfüllen. Sie ist deshalb nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen.

56

5. Eine abweichende Beurteilung ist jedoch in Bezug auf „Computerprogramme für Projektmanagement; Computerprogramme für Telekommunikationszwecke“ der Klasse 09, geboten, weil hier ein Bezug der Computerprogramme auf die Erstellung von biometrischen Brillen(gläsern) fernliegt. Das gleiche gilt für „Ophthalmische mikrochirurgische Messer“. Zwar kennzeichnet das Wort „ophthalmisch“ einen Bezug zu Augen, allerdings liegt ein Zusammenhang zwischen den mikrochirurgischen Messern und intelligenten biometrischen (Brillen)Gläsern nicht auf der Hand. Im Hinblick auf „Entwicklung von Internetplattformen für den elektronischen Handel; Hosting von Transaktionsplattformen im Internet; Kopieren von Computerprogrammen; Vervielfältigen von Computerprogrammen“ der Klasse 42 steht die Schaffung der technischen Voraussetzungen für die Erstellung von Brillen nicht im Vordergrund. Es ist darüber hinaus nicht branchenüblich, diese Dienstleistungen nach ihren Inhalten zu benennen (vgl. BPatG 30 W (pat) 14/15 – Sorgenfreiheit inklusive).

57

Im Hinblick auf die vorgenannten Waren und Dienstleistungen können Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG daher nicht festgestellt werden, so dass die Beschwerde in diesem Umfang Erfolg hat.