BPatG München 1. Senat, Beschluss vom 28.08.2023, AZ 1 W (pat) 3/22, ECLI:DE:BPatG:2023:280823B1Wpat3.22.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend das Patent 10 2017 100 032
(hier: Ausnahme von der Akteneinsicht)
hat der 1. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 28. August 2023 durch die Präsidentin Dr. Hock, den Richter Schell und die Richterin Lachenmayr-Nikolaou beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Gegen die Erteilung des am 2. Januar 2017 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldeten Patents 10 2017 100 032 mit der Bezeichnung
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„Siebrad-Filtriervorrichtung für mittel- bis hochviskose Fluide und Abdicht- und Montageverfahren dafür“
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wurde am 5. Februar 2019 Einspruch eingelegt. Zur Begründung der geltend gemachten Widerrufsgründe hat der Einsprechende u.a. die folgenden Entgegenhaltungen in das Verfahren eingeführt:
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E1 – Videofilm „Montageanleitung des Schmelzefilters der Baureihe SF“ der G… GmbH,
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E2 – Betriebsanleitung für kontinuierliche, prozess- und druckkonstanten Schmelzefilter SFXmagnus der G… GmbH vom Februar 2007,
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E3 – Betriebsanleitung für kontinuierlichen, prozess- und druckkonstanten vollautomatischen Schmelzefilter RSF/3 der G… GmbH vom August 1998,
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Die Patentinhaberin hat beantragt, diese Entgegenhaltungen, sowie ihr entsprechendes Antragsschreiben vom 28. Februar 2019, aus der freien Akteneinsicht gemäß § 31 Abs. 3b PatG i. V. m. der Richtlinie (EU) 2016/943 auszunehmen. Bei den Entgegenhaltungen E1 bis E3 handle es sich um betriebsinterne Unterlagen der Patentinhaberin, die bis heute nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Der Einsprechende habe in der Zeit von 1. März 1992 bis 30. Juni 2004 bei der Patentinhaberin als Konstrukteur gearbeitet. Nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen habe die Patentinhaberin wegen des Verdachts der unbefugten Mitnahme von Konstruktionsplänen und anderer Dokumente Strafanzeige gegen ihn gestellt. Eine durchgeführte polizeiliche Hausdurchsuchung bei dem Einsprechenden sei zwar ergebnislos verlaufen, trotzdem könne es nicht angehen, dass der Einsprechende nun firmeneigene Unterlagen der Patentinhaberin in das Einspruchsverfahren einführe. Denn die Zugänglichkeit dieser Entgegenhaltungen im Rahmen der freien Akteneinsicht würde eine unautorisierte Veröffentlichung von Betriebsgeheimnissen der Patentinhaberin bedeuten. Insoweit sei es auch nicht Aufgabe der Patentinhaberin, die Geheimhaltungsbedürftigkeit der fraglichen Unterlagen zu beweisen. Vielmehr hätte der Einsprechende innerhalb der Einspruchsfrist nachweisen müssen, dass die Öffentlichkeit auf diese Unterlagen Zugriff gehabt haben könnte. Dieser Nachweis sei jedoch nicht geführt worden.
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Der Einsprechende hat dem Antrag im Hinblick auf die Entgegenhaltungen E1 bis E3 widersprochen und vorgetragen, er habe in der Zeit vom 1. Juli 2004 (der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Patentinhaberin) bis zum 2. Januar 2017 (dem Prioritätstag des Streitpatents) von Kunden der Patentinhaberin eine Vielzahl von gebrauchten Siebrad-Filtriervorrichtungen der Patentinhaberin erworben, aufbereitet und weiterverkauft. Dabei seien ihm die Entgegenhaltungen E1 bis E3 ohne Geheimhaltungsvereinbarung überlassen worden, so dass diese zu dem am Prioritätstag des Streitpatents offenkundig gewordenen Stand der Technik zählten. Zum Beleg dieses Vorbringens hat der Einsprechende verschiedene Dokumente vorgelegt sowie eine Eidesstattliche Versicherung dazu abgegeben, dass ihm die E1 anlässlich eines näher beschriebenen Verkaufs ohne jede Geheimhaltungsverpflichtung überlassen worden sei.
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Mit Beschluss vom 23. Januar 2020 hat das DPMA den Antrag der Patentinhaberin hinsichtlich der Entgegenhaltungen E1 bis E3 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass Aktenteile aus der freien Akteneinsicht grundsätzlich auszunehmen seien, soweit eine Rechtsvorschrift einer Einsicht entgegenstehe. Eine solche der Akteneinsicht entgegenstehende Rechtsvorschrift sei hinsichtlich der Entgegenhaltungen E1 bis E3 jedoch nicht gegeben. Auch die Richtlinie (EU) 2016/943 sowie das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) stünden der Akteneinsicht im vorliegenden Fall nicht entgegen, da die Schutzvoraussetzungen des GeschGehG nicht gegeben seien. Denn die fraglichen Entgegenhaltungen hätten sich ersichtlich nicht nur an Mitarbeiter der Patentinhaberin, sondern auch an außenstehende Kunden gerichtet. Die Entgegenhaltungen E1 bis E3 seien somit nicht aus der freien Akteneinsicht gemäß § 31 Abs. 3b PatG auszunehmen, als sog. Nichtpatentliteratur jedoch in der freien elektronischen Akteneinsicht gesperrt.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie macht geltend, es müsse im vorliegenden Fall maßgeblich berücksichtigt werden, dass der Einsprechende die betreffenden Unterlagen als Mitarbeiter ihres Unternehmens und nicht als Mitglied der Öffentlichkeit erlangt habe. Es gehe somit allein darum, ob der Einsprechende geheim zu haltende Unterlagen aus der Sphäre der Patentinhaberin in das Einspruchsverfahren eingebracht habe. Dies habe die Patentabteilung verkannt und bei ihrer Entscheidung unzutreffende Maßstäbe angelegt und sich allein auf Indizien sowie willkürlich erscheinende Annahmen gestützt. Es müsse aber stattdessen anhand tatsächlich glaubhaft gemachter Tatsachen geprüft werden, ob der Vortrag des Einsprechenden belegt werden könne, wonach die fraglichen Unterlagen nicht aus der Sphäre der Patentinhaberin stammten und betriebsinterne Informationen enthielten, sondern für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen seien. Der hierzu erfolgte Vortrag des Einsprechenden erschöpfe sich jedoch in bloßen, teilweise widersprüchlichen Behauptungen und sei als Mittel der Glaubhaftmachung ungeeignet.
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Mit Zwischenbescheid vom 15. Juni 2023 hat der Senat die Parteien unter Darlegung der maßgeblichen Gründe darauf hingewiesen, dass die Beschwerde voraussichtlich zurückzuweisen sei. Daraufhin hat die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 21. August 2023 ihren Standpunkt nochmals bekräftigt und insbesondere die Wertung in Frage gestellt, dass die Ausnahme von der freien Akteneinsicht nicht als eine Art Sanktion auf eine möglicherweise unrechtmäßige Erlangung der hier verfahrensgegenständlichen Unterlagen angeordnet werden könne. Denn dies würde letztlich bedeuten, dass eine beliebige Person, die unbefugt in den Besitz fremder Geschäftsgeheimnisse gekommen sei, in Patentsachen nichts zu befürchten habe. Es erscheine außerdem problematisch, wenn in diesem Zusammenhang maßgeblich auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Ausnahme von der Akteneinsicht abgestellt und die Beweislast für die Patentinhaberin im vorliegenden Fall völlig überstreckt werde.
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Der Einsprechende und Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 26. Juni 2023 vorgetragen, er trete der Einschätzung des Senats bei.
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Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
II.
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1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Patentinhaberin hat kein anerkennenswertes Geheimhaltungsbedürfnis an den verfahrensgegenständlichen Unterlagen dargelegt, das deren Ausnahme von der freien Akteneinsicht rechtfertigen könnte.
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2. Die Akten von Patenten unterliegen grundsätzlich gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 PatG der freien Akteneinsicht, wobei zu den Akten von Patenten im Sinne dieser Norm auch die von Einspruchsverfahren gehören (vgl. hierzu etwa Benkard PatG/Schäfers, 11. Aufl., § 31 Rn. 19). Da sich im Rahmen der Akteneinsicht aber regelmäßig widerstreitende Schutzgüter von Verfassungsrang (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG) gegenüberstehen können, wie das Geheimhaltungsinteresse an Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen einerseits und das allgemeine Interesse an der freien Einsicht in die Akten erteilter Patente andererseits, unterliegt auch die freie Akteneinsicht bestimmten, in § 31 Abs. 3b PatG normierten Schranken. Demnach sind Aktenteile von der freien Akteneinsicht ausgeschlossen, soweit eine Rechtsvorschrift bzw. ein schutzwürdiges Interesse eines Verfahrensbeteiligten einer Einsichtsnahme in die betreffenden Aktenbestandteile entgegensteht.
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Ein solches der Akteneinsicht entgegenstehendes Interesse kann etwa gegeben sein, wenn bestimmte Aktenbestandteile Angaben über unternehmensbezogene Geschäftsgeheimnisse enthalten. In diesem Fall kann der betreffenden Partei ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse zuzubilligen sein, um zu verhindern, dass außenstehenden Dritten über die Einsicht in die Akten ein ungerechtfertigter Einblick in technische Entwicklungen eines Wettbewerbers ermöglicht wird. Um ein solches schutzwürdiges Interesse hinreichend substantiiert darzulegen, bedarf es detaillierter Angaben von Seiten der betroffenen Partei, aus welchen Gründen bestimmte Aktenteile ihrer Meinung nach solche geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten. Denn nur ein solcher Vortrag ermöglicht die Abwägung des grundsätzlichen allgemeinen Interesses an der freien Einsicht in die Akten erteilter Patente mit den schutzwürdigen Interessen der Gegenseite.
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3. Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin hat ihren Antrag, die in das Einspruchsverfahren eingeführten Entgegenhaltungen E1, E2 und E3 von der freien Akteneinsicht auszunehmen, im Wesentlichen darauf gestützt, dass es sich dabei um vertrauliche firmeninterne Unterlagen handle, die der Einsprechende – bei dem es sich unstreitig um einen ehemaligen Mitarbeiter handelt – bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen im Jahr 2004 in unerlaubter Weise an sich genommen habe. Die Frage, auf welche Art und Weise die Unterlagen in den Besitz des Einsprechenden gelangt sind, ist vorliegend aber nicht entscheidungsrelevant, da die beantragte Ausnahme von der freien Akteneinsicht nicht als „Sanktion“ auf eine möglicherweise unrechtmäßige Erlangung der Unterlagen angeordnet werden kann. Selbst bei Vorliegen eines solchen Pflichtverstoßes könnte dieser somit für sich genommen noch nicht die beantragte Ausnahme von der freien Akteneinsicht rechtfertigen. Vielmehr ist insoweit ausschlaggebend, ob die fraglichen Unterlagen tatsächlich (immer noch) geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten. Hierzu hat die Patentinhaberin nicht ausreichend vorgetragen, sondern vornehmlich auf die behauptete unerlaubte Mitnahme der Unterlagen durch den Einsprechenden abgestellt. Diese Behauptung erfüllt jedoch – selbst wenn sie zutreffen würde – die Voraussetzungen für die Ausnahme der Unterlagen aus der freien Akteneinsicht ebenso wenig wie der pauschale Hinweis, auf dem fraglichen Video sei beispielsweise eine Person zu sehen, deren Einverständnis zur Veröffentlichung der Daten nicht vorliege.
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Es wäre deshalb Sache der Patentinhaberin gewesen, im Streit um die Ausnahme von der freien Akteneinsicht substantiiert darzulegen, dass hierfür die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, und insoweit insbesondere aufzuzeigen, inwieweit durch die freie Zugänglichkeit der Entgegenhaltung E1 bis E3 im Wege der Akteneinsicht relevante unternehmensbezogene Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse beeinträchtigt werden könnten (vgl. BGH, GRUR 2010, 318, Rn. 37 ff. – Lichtbogenschnürung). Hierauf hat der Senat mit Zwischenbescheid vom 15. Juni 2023 hingewiesen.
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4. Die Patentinhaberin verkennt, dass es im Hinblick auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Informationen (anders als bei einer im Einspruchsverfahren geltend gemachten Offenkundigen Vorbenutzung) nicht auf das Prioritätsdatum des Streitpatents ankommt, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf Ausnahme von der freien Akteneinsicht. Auch die von der Patentinhaberin angeführte Richtlinie (EU) 2016/943 sowie das diese Richtlinie umsetzende Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) stellen in ihrem Anwendungsbereich darauf ab, dass es sich bei den durch sie geschützten Informationen um solche handeln muss, die der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich waren. Ein „Geschäftsgeheimnis“ ist dementsprechend als eine Information definiert, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist (vgl. hierzu etwa Art. 2 Nr. 1 (a) Richtlinie (EU) 2016/943, bzw. § 2 Nr. 1 GeschGehG).
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5. Im vorliegenden Fall ist insoweit maßgeblich zu berücksichtigen, dass die technischen Merkmale der patentgemäßen Erfindung durch die Veröffentlichung des Streitpatents im frei zugänglichen Patentregister inzwischen allgemein bekannt sind. Da der Einsprechende die Entgegenhaltungen E1, E2 und E3 zum Nachweis der fehlenden Neuheit der patentgemäßen Erfindung in das Einspruchsverfahren eingeführt hat, ist zudem davon auszugehen, dass diese Entgegenhaltungen die gleichen technischen Merkmale enthalten wie das Streitpatent. Darüber hinaus sind inzwischen auch über die Webseite der Patentinhaberin Informationen bzw. Videos zu den Baureihen SF, SFX und RSF zugänglich. Bei dieser Sachlage ist es die Obliegenheit der Patentinhaberin aufzuzeigen, dass bzw. in welcher Hinsicht es sich bei den in den Entgegenhaltungen E1, E2 und E3 enthaltenen Informationen (immer noch) um geheimhaltungsbedürftige Information handelt. Ein entsprechender Vortrag ist jedoch nicht erfolgt. Vielmehr scheinen sich die Parteien letztendlich darum zu streiten, ob die fraglichen Entgegenhaltungen am Prioritätstag des Streitpatents zum offenkundig gewordenen Stand der Technik zählten oder nicht. Die Klärung dieser Frage bleibt aber dem Einspruchsverfahren vorbehalten, für das vorliegende Akteneinsichtsverfahren ist dieser Aspekt dagegen nicht relevant.
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6. Die Beschwerde war somit zurückzuweisen. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, nachdem der Senat eine solche nicht für erforderlich erachtet und die Beschwerdeführerin einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt hat (§ 78 PatG).