Beschluss des BPatG München 14. Senat vom 23.06.2023, AZ 14 W (pat) 48/19

BPatG München 14. Senat, Beschluss vom 23.06.2023, AZ 14 W (pat) 48/19, ECLI:DE:BPatG:2023:230623B14Wpat48.19.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das deutsche Patent 101 61 687

hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die Verhandlung am 23. Juni 2023 unter Mitwirkung der Richterin Dipl. Chem. Dr. Münzberg als Vorsitzende sowie der Richter Kätker, Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich

beschlossen:

1. Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten tragen ihre gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Der Gegenstandswert wird auf 350.000 € festgelegt.

Gründe

I.

1

Auf die am 18. Dezember 2001 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent DE 101 61 687 mit der Bezeichnung „Beschichtungsmaterial für flexible Unterlagen und dessen Verwendung“ erteilt und die Patenterteilung am 2. Juni 2016 veröffentlicht.

2

Die erteilte Anspruchsfassung weist vier Ansprüche mit zwei nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 4 und zwei auf den Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüchen 2 und 3 auf. Diese lauten:

3

1. Beschichtungsmaterial für flexible Unterlagen, mit einer Mischung aus Ethylen-Vinyl-Azetat und einem Füllstoff, dadurch gekennzeichnet, dass der Füllstoff ein Eisenoxid mit einem Fe-Anteil von > 50 % ist und sowohl das Eisenoxid als auch das Ethylen-Vinyl-Azetat eine Korngröße zwischen 50 μm und 800 μm aufweist.

4

2. Beschichtungsmaterial nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine Mischung aus 20 % bis 80 % Ethylen-Vinyl-Azetat und 80 % bis 20 % Eisenoxid vorliegt.

5

3. Beschichtungsmaterial nach einem der voranstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das verwendete Ethylen-Vinyl-Azetat einen Schmelzpunkt zwischen 75°C und 130°C aufweist.

6

4. Verwendung eines Beschichtungsmaterials nach einem der voranstehenden Ansprüche für Bodenbeläge.

7

Gegen das Patent haben die Einsprechenden Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent wegen unzulässiger Erweiterung und mangelnder Patentfähigkeit zu widerrufen. Die Patentinhaber haben den Einsprechenden in allen Punkten widersprochen und beantragt, das Patent im erteilten Umfang und hilfsweise im Umfang eines Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.

8

Mit in der Anhörung vom 4. Juni 2019 verkündetem Beschluss hat die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts das Streitpatent in vollem Umfang aufrechterhalten und zur Begründung ausgeführt, dass das nach Streitpatent beanspruchte Beschichtungsmaterial und seine Verwendung sowohl ursprünglich zulässig offenbart als auch im Hinblick auf den mit 11 Dokumenten in der Verhandlung diskutierten Stand der Technik, darunter die Dokumente D1 bis D6 sowie D8, patentfähig seien.

9

Die vorgenannten und weitere Dokumente aus dem Einspruchsverfahren sind nachfolgend mit der von der Patentabteilung vergebenen Kennzeichnung „D“ nebst Dokumenten aus dem Beschwerde- und dem Prüfungsverfahren (Kennz. „B“ bzw. „P“) aufgelistet (soweit abweichend mit Kennzeichnung durch die Einsprechenden in Klammern):

10

B1 Eidesstattliche Erklärung Herr S…, 8. September 2020

11

B2 Dritte eidesstattliche Versicherung P…, 16. September
2020

12

D1 Erste eidesstattliche Versicherung, P…, 21. Februar 2017

13

D2 Produktionsliste der P1… GmbH,
undatiert (Anlage A zu D1)

14

D3/D3a Angebote/Information der P1… GmbH
vom 6. Dezember 2000 (Anlage B1 zu D1)

15

D4 Rechnungen der P2… GmbH vom 23. Februar
2001, 7. März 2001 und 2. Mai 2001 (Anlage E zu D1)

16

D4a Siebanalyse Felith 500, undatiert (Anlage H zu D1)

17

D4b Produktdatenblatt Felith 500, P2… GmbH,
Juli 2018 (Anlage 6 zum Schriftsatz der Einsprechenden vom 11. Juli 2018)

18

D4c Produktdatenblatt Felith 500, P2… GmbH, Juni
2007 (Anlage F zu D1)

19

D4d Produktdatenblatt Felith 500, P2… GmbH,
Februar 2017 (Anlage G zu D1)

20

D4e Bestellung Felith 500, P3… GmbH/P2…
GmbH, 19. Dezember 2000, 20. Dezember 2000 (Anlage D zu D1)

21

D5 Auftragsbestätigung, Lieferschein, Rechnung der P4…
vom 12. Januar 2001 (Anlage I zu D1)

22

D5a Qualitätszertifikat EVA 28% MFR 150 P4… für
P5…, 9. Januar 2002 (Anlage J zu D1)

23

D6 DE 31 08 567 A1

24

D8 Zweite eidesstattliche Versicherung P…, 23. Mai 2019

25

D12 Rechnung P5… an T…, 3. April 2001 (Anlage L zu D1)

26

D13 Rechnung P5… an W… GmbH, 16. Mai 2001 (Anlage M
zu D1)

27

D14 Rechnung P5… an H…, 6. Juli 2001
(Anlage N zu D1)

28

D15 Produktblatt abifor® Schmelzklebepulver, April 2015 (Anlage 3 zum Schriftsatz der Einsprechenden vom 28. Februar 2017)

29

P1 DE 199 34 743 A1

30

P4 WO 97/22748 A1

31

Nach Auffassung der Patentabteilung ist davon auszugehen, dass bereits vor dem
Anmeldetag des Streitpatents von der P1… GmbH

(nachf. P5…) Beschichtungen mit dem „patentgemäßen“ Material
durchgeführt worden und D3 zufolge (potentiellen) Kunden die Basiskomponenten der Zusammensetzung, nämlich Eisenoxid und Ethylen-Vinylacetat-Copolymer (EVA) bekannt gewesen seien, nicht jedoch die Partikelgrößen nach erteiltem Patentanspruch 1. Diese gingen nur aus D4 und D5 hervor, bei denen es sich aber um Rechnungen von zwei keine Öffentlichkeit bildenden Zulieferern handle. Von der P5… ausgelieferte Bodenbeläge eröffneten auch keine Erkenntnisse zur Partikelgröße. Auch wenn, wie in D1 und D8 versichert, den Geschäftspartnern der P5… die Zusammensetzung der Beschichtungen aus Eisenoxid und EVA in Pulverform mitgeteilt worden sei, ergäben sich daraus nicht die konkreten Partikelgrößen. Ebenso lasse die bloße Inaugenscheinnahme einer Pulvermischung und von Rüttelsieben zur Ermittlung der Korngrößenverteilung keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Partikelgrößen der einzelnen Komponenten zu. Dem Antrag der Einsprechenden, dazu verschiedene Zeugen zu vernehmen, sei nicht zu entsprechen. Denn auf Nachfrage hätten die Einsprechenden mitgeteilt, dass die benannten Zeugen die Nennung konkreter Korngrößen bei Kundenbesuchen nicht bezeugen könnten. Den weiteren im Einspruchsverfahren vorgelegten Dokumenten seien ebenfalls keine konkreten Hinweise zu entnehmen, die auf eine öffentliche Kenntnis der Partikelgrößen schließen ließen. Eine Beweisaufnahme sei daher nicht erforderlich, denn sie wäre „ins Blaue hinein“ erfolgt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei damit neu. Er beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Die Druckschrift D6 beschreibe einen Bodenbelag (und dessen Herstellung), bei dem die zur Beschichtung unter Einsatz eines Verarbeitungsöls gewonnene Zusammensetzung EVA in Kombination mit einem Eisenoxid der Teilchengröße < 150 µm wie bspw. 1 µm aufweisen könne. Zur Einsatzform des EVA gebe es keine Angabe. Auch die Berücksichtigung des Beschichtungsmaterials, das von der P5… vor dem Anmeldetag des Streitpatents angewendet wurde, lasse keine der Öffentlichkeit bekannten Angaben zur Partikelgröße des EVA erkennen.

32

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

33

Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, dass der Gegenstand des Streitpatents unzulässig erweitert sei, da der Fachmann zwar den ursprünglichen Patentanspruch 5 so auslegen könne, dass das „FELITH“-Eisenoxid eine Korngröße zwischen 50 und 800 µm habe, dies aber nicht für die beanspruchte Korngröße von EVA gelte, die zwar im ursprünglichen Patentanspruch 8 genannt sei, welcher sich aber auf keinen anderen Patentanspruch zurückbeziehe und auch die Beschreibung nichts dazu beitrage. Folglich fehle die unmittelbare und eindeutige Offenbarung zur Kombination aller Merkmale nach erteiltem Patentanspruch 1 und der weiteren Patentansprüche, so dass eine unzulässige Erweiterung vorliege.

34

Dazu komme, dass die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1, 2 und 4 vor dem maßgeblichen Anmeldetag des Streitpatents offenkundig gemacht worden seien, was mit zahlreichen Unterlagen im Zusammenhang mit D1 und D8 begründet wird. Die Patentabteilung habe die Offenkundigkeit der Vorbenutzung mit Ausnahme der Korn- bzw. Partikelgrößen anerkannt, jedoch keine notwendige Zeugeneinvernahme durchgeführt, obwohl die Zeugen zu den Korngrößen der Materialien Näheres hätten mitteilen können. Insbesondere habe der benannte
Zeuge Herr S… am 20. September 2001 die P5… ohne Geheimhaltungsverpflichtung besucht, wobei ihm auf seinen Wunsch hin eine Materialprobe ausgehändigt worden sei, um sie seinen Kunden bei Beratungsgesprächen zeigen zu können. Er habe die ihm übergebene Probe, welche er für „smartback“-Beschichtungspulver gehalten habe, dann mit dem Mikroskop untersucht. Angesichts der bei der P5… verwendeten Rüttelsiebe für Bereiche zwischen 0 und 500 µm, die er bei der Besichtigung im Labor gesehen habe, habe er auf die maximale Korngröße von 500 µm des Beschichtungspulvers geschlossen, zumal bei Pulverbeschichtungen die Korngrößen stets im Bereich von 0 bis 1000 µm lägen. Die ihm vorliegende Probe belege die Gegenstände der Patentansprüche 1, 2 und 4 des Streitpatents als nicht neu.

35

Zudem fehle es an der erfinderischen Tätigkeit. Die Druckschrift D6 lehre dem als Fachmann anzusetzenden Ingenieur der Textiltechnik den Einsatz einer Zusammensetzung von EVA und Eisenoxid mit einer Korngröße < 150 µm zur Beschichtung von Teppichen. Beide Komponenten seien bei P5… vor 2001 außerhalb der Beschichtungsanlage gemischt worden und erst in der Anlage geschmolzen, so dass deren ohnehin übliche Korngrößen von untergeordneter Bedeutung seien und keine erfinderische Tätigkeit bedingten.

36

Im Übrigen könne die Offenkundigkeit der Korngrößen des vorbenutzten Materials dahinstehen, da die einzige Aufgabe des Streitpatents in der durch Mischen zweier Pulver erzielbaren Bereitstellung eines bei handelsüblichen Pulverbeschichtungsanlagen problemlos verarbeitbaren Pulvers liege, das die Vertiefungen der Teppichrückseite gleichmäßig belege, und das folglich weder zu groß noch zu klein sein dürfe. Soweit das Streitpatent in diesem Zusammenhang die Vermeidung gesundheitsschädlicher Abgase thematisiere, resultierten diese aus dem Material, nicht aber aus dessen Korngröße. Der Fachmann setze handelsübliche EVA- und Eisenoxidpulver ein und gelange naheliegend zum Gegenstand des Patentanspruchs 1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 ergebe sich aus der D2 („smartback“-Material), der nach Patentanspruch 3 aus dem Schmelzindex von 20 bei 190°C nach der Lehre der D6. Der Temperaturbereich 75 bis 30°C für EVA sei hingegen bei dem offenkundig vorbenutzten Material nicht erfüllt gewesen, sondern liege bei 65 bis 69°C, während die Beschichtungstemperatur bei 90 bis 120°C liege. Das Streitpatent weise daher keine Vorteile nach, so dass dieser Wert willkürlich sei. Unzutreffend und unbelegt sei auch die Behauptung der Patentinhaber, dass ein geringerer Schmelzpunkt bei großer Hitze ausgesetzten Bodenbelägen Auflösungserscheinungen bewirke und ein höherer Schmelzpunkt als 130°C zu Schäden am Flor- und Bindematerial des Teppichs führen könne. Das Dokument D15 belege EVA-Produkte mit den Schmelztemperaturen des Streitpatents und Korngrößenbereichen von 50 und 800 µm als handelsüblich, wonach ausgehend von den offenkundig vorbenutzten Beschichtungsmaterialien der P5… die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 3 unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens nicht erfinderisch seien. Für den Verwendungsanspruch 4 gelte dies gleichermaßen.

37

Die Einsprechenden 1 und 2 stellten jeweils den Antrag,

38

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen.

39

Die Patentinhaber stellten den Antrag,

40

die Beschwerde zurückzuweisen,

41

hilfsweise, das Patent mit dem in der mündlichen Verhandlung übergebenen Hilfsantrag beschränkt aufrechtzuerhalten und die weitergehende Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen,

42

den Beschwerdeführerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

43

den Gegenstandswert des Verfahrens auf 350.000 € festzusetzen.

44

Sie halten die erteilte Anspruchsfassung für zulässig, da sich die Patentansprüche schon in der ursprünglichen Anmeldung mit bevorzugten Ausführungsformen des Füllstoffs und des Beschichtungsmaterials beschäftigten und dem Fachmann jede in den Patentansprüchen näher beschriebene Ausgestaltung als zur Erfindung gehörig offenbarten, selbst wenn es an einem ausdrücklichen Rückbezug in Patentanspruch 8 fehle.

45

Was die geltend gemachte Vorbenutzung betreffe, ergebe sich bei rechtskundiger Beurteilung nur D3 als ein öffentlich zugänglich anzunehmendes Dokument, nicht jedoch die nach dem Zeitrang des Patents liegenden und der Öffentlichkeit unzugänglichen Dokumentgruppen D4 und D5. Dokument D3 nenne in Position 3 zur „smart back“ Schwerbeschichtungsfliese mit nicht magnetischer E.V.A.-Teppich-Schwerbeschichtung und dem Füllstoff Eisenoxyd keine Korngrößen der Ausgangsmaterialien, wonach eine Vorbenutzung weder nachgewiesen noch D3 einen plausiblen Ausgangspunkt für die patentgemäße Lösung bilde. Bei der Besprechung am 20. September 2001 sei das Thema „Korngrößen“ nicht zur Sprache gekommen und es sei unklar, was Herrn S… übergeben worden sein soll, das dann aber regelmäßig Gegenstand einer konkludenten Verschwiegenheitsvereinbarung sei. Es fehle jeder Beleg der Einsprechenden, dass die Korngröße insbesondere hinsichtlich ihrer Untergrenze erkennbar gewesen sein könnte oder erkannt worden wäre. Daher sei keine Zeugeneinvernahme geboten, da auch die Bestätigung der Umstände, für die diese Zeugen angeboten worden seien, keine offenkundige Vorbenutzung nachweise.

46

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, da der von der Einspruchsabteilung zutreffend definierte Ingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik als Fachmann mit Erfahrung auf dem Gebiet der Beschichtung von Bodenbelägen die anspruchsgemäße Rückenbeschichtung für flexible Unterlagen möglichst schwer mache, damit der Bodenbelag ohne Klebstoff durch sein Eigengewicht eben auf dem Unterboden liegen bleibe. Erreicht werde dies durch den flächigen Auftrag eines mit einer EVA-Matrix gebundenen Materials mit hohem spezifischem Gewicht (nichtrostendes Eisenoxid). Dazu sei ein Kompromiss zwischen der Korngröße 1 μm (feinster Staub) und Korngröße 1000 μm (grobes Korn) zu finden und der patentgemäße Korngrößenbereich erweise sich als brauchbarer Ausgleich zwischen Flächengewicht, Oberflächenstruktur und Wirtschaftlichkeit. Der Bereich sei der Fachwelt nicht nahegelegt worden, weder durch die nicht substantiiert dargelegte offenkundige Vorbenutzung mit dem einzig beachtlichen Dokument D3 zusammen mit dem allgemeinen Fachwissen, noch in Verbindung mit D6, die vom Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 weglehre.

47

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Parteien zuletzt mit Verfügung vom 16. März 2023 darauf hingewiesen, dass das patentgemäß beanspruchte Pulver eine Zwischenfraktion sei, wie sie bspw.

48

CH 265521

49

in den Beispielen 1 und 2 beschreibe, was aber weder Dokumentgruppe D4 für FELITH 500 noch Dokumentgruppe D5 für EVA angebe.

II.

50

Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden bleibt in der Sache ohne Erfolg.

51

1. Die Erfindung des Streitpatents (nachfolgend auch SP) betrifft ein Beschichtungsmaterial für flexible Unterlagen und dessen Verwendung für Bodenbeläge (SP, [0001]). Bodenbeläge zur Dimensionsstabilisierung und zur Verbesserung der Verlegeeigenschaften würden üblicherweise mit rückseitigen Beschichtungen versehen, wozu die Materialien Bitumen, PVC (Polyvinylchlorid), Latex und APO (Amorphous Polyalphaolefin) zum Einsatz kämen. Die meisten dieser Beschichtungen gäben bei der Produktion und/oder bei Gebrauch als teilweise krebserzeugend eingestufte Ausgasungen ab und entwickelten im Brandfall gefährliche Gase wie Dioxine (SP, [0002]). Gegenüber dem u.a. mit den Druckschriften P1 und P4 ausgewiesenen Stand der Technik bestehe die Aufgabe der Erfindung in der Bereitstellung eines Beschichtungsmaterials für flexible Unterlagen, welches die erforderlichen technischen Eigenschaften erfülle und die gefährlichen und gesundheitsschädlichen Nachteile bekannter Beschichtungen vermeide (SP, [0003-0006]).

52

2. Gelöst werde diese Aufgabe nach Absatz [0007] des Streitpatents durch ein Beschichtungsmaterial und dessen Verwendung nach den Patentansprüchen 1 und 4, von denen der Patentanspruch 1 mit einer den zwei Komponenten Rechnung tragenden Gliederung versehen ist:

53

1 Beschichtungsmaterial für flexible Unterlagen mit einer Mischung

54

1.1 aus Ethylen-Vinyl-Azetat, das eine Korngröße zwischen 50 μm und 800 μm aufweist

55

1.2 und einem Eisenoxid-Füllstoff mit einem Fe-Anteil von > 50 % und einer Korngröße zwischen 50 μm und 800 μm.

56

Der Patentanspruch 4 ist auf die Verwendung des Beschichtungsmaterials für Bodenbeläge gerichtet und erfordert keine eigene Gliederung.

57

3. Der Patentanspruch 1 des Streitpatents beansprucht eine Zusammensetzung aus organischem und anorganischem Material, die nach der Beschreibung des Streitpatents bestimmte Füllstoffeigenschaften aufweisen muss (SP, [0010]) und durch die Verwendungsangabe nach Patentanspruch 4 nicht beschränkt wird. Somit ist als Fachmann für die Bereitstellung dieser Polymerzusammensetzung ein Dipl. Chemiker (Master) oder Chemie-Ingenieur mit speziellen Kenntnissen der Polymerchemie und Polymerverarbeitung anzusetzen, der sich hinsichtlich des Einsatzbereiches ggf. mit einem Fachingenieur der Fachrichtung Textiltechnik in einem Team abstimmt.

58

4. Unter Berücksichtigung des fachlichen Wissens und Könnens ist, entgegen der Auffassung der Einsprechenden, bei den Gegenständen des Streitpatents keine unzulässige Erweiterung festzustellen. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 gehen auf die Patentansprüche 1 bis 5 und 8 vom Anmeldetag zurück und die Merkmale der Patentansprüche 2 bis 4 auf die ursprünglichen Patentansprüche 6 und 7 sowie Seite 1, Absatz 1, der Beschreibung vom Anmeldetag.

59

Soweit die ursprüngliche Offenbarung der Korngrößen für EVA bestritten wird, erschließt sich dem Fachmann bereits aus der ursprünglichen Offenbarung die „
kunststoffgebundene Beschichtung“ (Unterstreichung hinzugefügt) nach Patentanspruch 1 in Verbindung mit den Patentansprüchen 4 und 8, die auf eine einzige Kunststoffart gerichtet sind, unmissverständlich dahingehend, dass EVA bevorzugt in der nach Streitpatent beanspruchten Korngröße eingesetzt werden kann. Auf fehlende Rückbezüge kommt es insoweit nicht an.

60

5. Einige Merkmale des Patentanspruchs 1 bedürfen näherer Betrachtung.

61

5.1 Der Ausdruck „mit einer Mischung“ in Merkmal
1 weist das beanspruchte Pulver nicht zwingend als nur zweikomponentig aus.

62

5.2 In den Merkmalen
1.1 und
1.2 genannte Korngrößen zwischen 50 und 800 µm legen dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 und fehlenden weiteren Erläuterungen in der Patentschrift zufolge den Bereich zwischen Kornober- und Kornuntergrenze fest und damit eine Zwischenfraktion ohne Korngrößen oberhalb 800 µm und unterhalb 50 µm (vgl. gutachtlich CH 265521, Bsp. 1 und 2, mit einer Abtrennung durch Sieben, sowie gutachtlich D15, Tab.). Auch der von den Einsprechenden als Zeuge benannte Herr S… hat in seiner eidesstattlichen Versicherung ausgeführt, dass ihm die Besichtigung der Siebe und des Pulvergemisches unter entsprechenden Erläuterungen der Gastgeber für das verwendete Gemisch eine Korngröße von maximal 500 µm klar gemacht habe (B1, vorle. Abs.), was einer Obergrenze entspricht. Dies gilt sinngemäß auch für die Untergrenze.

63

Kommerziell erhältliche Eisenoxide nach Merkmal
1.2 weisen einen Gewichtsanteil von Eisen oberhalb 50 Gew.-% auf, so dass der Begriff „Eisenoxide“ diesen Gehalt inhärent mit umfasst. Auch wenn den Unterlagen vom Anmeldetag keine explizite Angabe des Gehalts in „Gew.-%“ zu entnehmen ist, bedeuten „bloße“ Prozentangaben bei solchen Handelsprodukten (vgl. D4b-D4d) regelmäßig den Gewichtsanteil.

64

6. Das patentgemäße Beschichtungsmaterial ist neu. Wie auch von den Einsprechenden nicht bestritten wird, liegt kein druckschriftliches Material vor, in dem insbesondere die Merkmale
1.1 und
1.2 nach Patentanspruch 1 beschrieben sind. Vielmehr wurde die Neuheit des Streitpatents ausschließlich im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung in Abrede gestellt.

65

6.1 Aber selbst wenn der Vortrag der Einsprechenden zu den von ihnen geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen zu ihren Gunsten als wahr unterstellt wird vermag er die Neuheit des patentgemäßen Beschichtungsmaterials und seiner Verwendung nicht in Zweifel zu ziehen. Denn ihm lässt sich nicht entnehmen, dass eine streitpatentgemäße Lehre mit sämtlichen Merkmalen offenkundig geworden ist. Laut Streitpatent weist das Beschichtungsmaterial sowohl Eisenoxid als auch Ethylen-Vinyl-Azetat mit einer Korngröße von/zwischen 50 μm bis/und 800 μm auf. Hinsichtlich der von den Einsprechenden geltend gemachten Vorbenutzung geben die Dokumente D4 bis D4d für das Eisenoxid FELITH eine Korngröße von 0 bis 500 µm an, was diesen Größenbereich nicht erfüllt. Für die Korngröße von EVA gibt Dokument D5 eine mittlere Korngröße von 300 µm an, was, durch das Zertifikat D5a untermauert (6 % < 100µ, 0,5% > 300 µ), offene Ober- und Untergrenzen erlaubt und den erfindungsgemäßen Bereich des Streitpatents ebenfalls nicht vorwegnimmt.

66

Damit kann auch nicht aus dem als wahr unterstellten Vortrag der Einsprechenden zu einer einem Kunden anlässlich eines Besuchs bei P5… ausgehändigten Materialprobe des Beschichtungspulvers gefolgert werden, dass dieses Material zumindest die patentgemäß geforderte Korngrößenuntergrenze erfüllt hat.

67

6.2 Zwar haben die Einsprechenden substantiiert unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen und begleitender Unterlagen vorgetragen, dass die Firma P5… vor dem Anmeldetag des Streitpatents Bodenbeläge, die mit den patentgemäßen Basiskomponenten EVA und Eisenoxid beschichtet waren, ausgeliefert hat (vgl. B1, B2, D1, D8 i.V.m. D2, den Gruppen D4 und D5 und D12-D14). Da die ausgelieferten Produkte aber unstreitig keine Rückschlüsse auf die zur Beschichtung thermisch behandelten und damit veränderten Basiskomponenten zulassen (vgl. z.B. Schriftsatz der Einsprechenden vom 24. Mai 2019, S. 4, Mi.; Schriftsatz der Patentinhaber vom 31. Mai 2023, S. 4, 3. Abs.), ist hinsichtlich der Vorbenutzung darauf abzustellen, welche Basiskomponenten bei der P5… vor dem Anmeldetag des Streitpatents zum Einsatz kamen, wobei wiederum zugunsten der Einsprechenden unterstellt wird, dass die für den Produktionsmaßstab notwendigen Mengen auch in die „smartback“-Produktion eingingen.

68

Nach den Merkmalen
1.1 und
1.2 des Patentanspruchs 1 erfüllen EVA und Eisenoxid nur dann die Maßgabe des erteilten Patentanspruchs 1, wenn sie im Korngrößenbereich von 50 bis 800 µm liegen.

69

Was die Materialprobe des als Zeugen benannten Herrn S… betrifft, basieren seine Bewertungen zur Korngröße auf einer optischen Betrachtung des ihm zugänglichen Pulvers und einer Betrachtung unter dem Mikroskop ohne Vermessung der Korngrößen, die lediglich ergeben habe, dass sich Eisenoxid und EVA unterscheiden ließen. Sein Schluss, dass das bei P5… als „smartback“-Material eingesetzte Beschichtungspulver Korngrößen unter 500 µm aufweise, mag hier zugunsten der Einsprechenden zugrunde gelegt werden. Jedoch war die Korngröße der enthaltenen Partikel ausweislich D4a und D5a nicht nach unten beschränkt, wovon auch die Einsprechenden ausgehen (vgl. Schriftsatz vom 2. Juni 2023, S. 2 f.). Sie folgern zwar insoweit zutreffend, dass das Streitpatent alles an Korngrößen, was zwischen der Untergrenze von 50 µm und der Obergrenze von 800 µm liegt, offenbare, und schließen ebenfalls richtig, dass das FELITH 500-Material der offenkundigen Vorbenutzung mit der Korngröße bis 500 µm den Bereich von 50 bis 500 µm mit umfasse. Die vorbenutzten FELITH 500 Partikel bestehen aber zu über 11 % aus Partikeln, die kleiner als 62 µm sind, was zumindest Merkmal
1.2 nicht vorwegnimmt.

70

6.3 Insoweit greift die Schlussfolgerung der Einsprechenden nicht durch, dass der patentgemäß geforderte Bereich nicht neu sei, was auch gelte, wenn 50 µm als Untergrenze verstanden würde. Vielmehr bestätigen die von ihnen vorgelegten Daten, dass die angeblich für die Vorbenutzung herangezogenen Chargen der Ausgangsmaterialien zumindest die untere Korngrenze nach den Merkmalen
1.1 und
1.2 nicht erfüllen. Damit übereinstimmend räumen die Einsprechenden ein, dass das vorbenutzte und das streitpatentgemäße Beschichtungsmaterial dieselben Stoffe enthielten, und zwar auch mit Korngrößen, die
zu einem Großteil übereinstimmten bzw.
sich in einem großen Bereich überschnitten (vgl. Schriftsatz vom 2. Juni 2023, S. 5 Abs. 3; Unterstreichung hinzugefügt).

71

6.4 An der Auffassung des Senats kann auch der Hinweis der Einsprechenden auf die BGH-Entscheidung „Chrom-Nickel-Legierung“ (GRUR 1992, 842, 844 f) nichts ändern. Dieses Urteil bezieht sich im Unterschied zum patentgemäßen Pulvergemisch auf Legierungen und ausdrücklich auf „sämtliche
innerhalb der angegebenen Grenzen möglichen Variationen“, was insoweit den Vorgaben der Merkmale
1.1 und
1.2 nach Streitpatent entspricht. Laut dem Leitsatz 1 dieser Entscheidung müssen die charakteristischen Eigenschaften der Legierung im angegebenen Bereich gewahrt bleiben. Übertragen auf die patentgemäße Zwischenfraktion mit u.a. definierter Kornuntergrenze gemäß den Merkmalen
1.1 und
1.2 liegt gegenüber der Vorbenutzung ein dort nicht offenbartes Material mit besonderem Eigenschaftsprofil vor. Ebenso führt der von den Einsprechenden diskutierte Beschluss des Bundespatentgerichts 11 W (pat) 19/01 vom 19. Februar 2004 nicht weiter, da sich dieser wiederum mit einer Legierung und mit der Vorwegnahme eines nicht streitpatentgemäßen nach unten offenen Bereichs für den Legierungsbestandteil Kobalt unter Beachtung des bereits diskutierten BGH-Urteils „Chrom-Nickel-Legierung“ befasst (a.a.O. S. 6 Abs. 1-3). Gleiches gilt für das von den Einsprechenden zuletzt angeführte BGH-Urteil vom 25. Januar 2011 (Az. X ZR 98/08), das eine nach oben offene Streckgrenze der Dichtfläche eines Ventils auf Basis einer Nickellegierung von mindestens 1.100 MPa betrifft. Die Einsprechenden tragen vor, dass bei dieser Entscheidung im Rahmen einer offenkundigen Vorbenutzung eine Streckgrenze von mehr als 1.000 MPa offenbart gewesen sei und bis zu einer Streckgrenze von 1.100 MPa kalt bearbeitet und ausscheidungsgehärtet werden könne, weshalb der Patentanspruch 1 des Streitpatents auf eine Korngröße von mehr als 500 bis 800 µm zu beschränken wäre. Im angeführten BGH-Urteil hat die Patentinhaberin den Bereich der Streckgrenze für die Legierung von größer 1.100 MPa zum Hauptantrag gemacht und insoweit geltend gemachte Vorbenutzungen wurden im Urteil als nicht substantiiert gewertet (a.a.O. Entscheidungsgründe Rn. 9 und 29-33). Ein Grund, den Bereich von 0 bis 500 µm bei den Merkmalen
1.1 und
1.2 zu streichen, ist nach den Ausführungen oben wie auch im Lichte des letztgenannten BGH-Urteils nicht erkennbar und würde vielmehr zu einer anderen Lehre führen, welche nicht die streitpatentgemäße Zwischenfraktion betrifft.

72

6.5 Aus den sonstigen von den Einsprechenden in das Verfahren eingeführten Unterlagen ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte, die auf die Verwendung von Zwischenfraktionen bei den Ausgangsmaterialen schließen lassen. Soweit in den Abbildungen zur Beschichtungsanlage der P5… eine Siebung für großtechnische Anwendungen plausibilisiert ist, handelt es sich um ein Sieb, mit dem das voragglomerierte Material auf die Rückseite des Bodenbelags aufgebracht wird und das somit für die Korngröße des Agglomerats durchlässig sein muss, also die Korngröße der agglomerierten Pulvermischung nicht nach unten beschränkt (vgl. Schriftsatz der Patentinhaber vom 3. August 2021, S. 6 und B2, S. 4). Hinweise auf die Existenz einer Klassieranlage zur Abtrennung des unteren Kornbereichs bei der P5… fehlen gänzlich. Auch die bei der P5… vorhandenen Siebe zur Qualitätskontrolle angelieferter Chargen führen zu keiner anderen Bewertung. Die von dem als Zeuge benannten Herrn S… beschriebenen Siebe der Maschenweite 500 µm erlauben im Labormaßstab, den Pulveranteil oberhalb 500 µm abzutrennen, was auch Siebe mit Maschenweite 63 µm für die Kornuntergrenze leisten würden (D8, Pkt. 2). Die Herstellung einer patentgemäß geforderten Zwischenfraktion mittels dieser Analysesiebe ist jedoch nicht vorgetragen und wäre bereits wegen deren Dimensionierung auch nicht mit vertretbarem Aufwand möglich.

73

7. Im Hinblick auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gibt schon die ursprüngliche Beschreibung des Streitpatents ausdrücklich Ober- und Untergrenzen der Körnung von EVA und Eisenoxid an und stellt diese als für das beanspruchte Verfahren bevorzugt heraus, wonach keine willkürliche Festlegung, wie sie die Einsprechenden geltend machen, zu erkennen ist. Soweit sie die Aufgabe des Streitpatents im Mischen und Bereitstellen eines „nicht zu großen und nicht zu kleinen Beschichtungspulvers“ sehen, weil die Korngröße der eingesetzten und bekannten Materialien keine gefährlichen und gesundheitsschädlichen Nachteile bedinge, kann ihr Vortrag nicht überzeugen.

74

Zum einen hat die erfindungsgemäße Aufgabe frei von Lösungselementen zu sein. Insoweit bildet im Lichte des nachfolgend behandelten Standes der Technik die Angabe „nicht zu klein“, mithin eine Kornuntergrenze, bereits einen Teil der Lösung; zum anderen fehlt ihrer Annahme, dass die gesundheitliche Gefährdung von Pulvern allein auf ihr Material, nicht aber auf ihre Korngröße zurückgehe, eine Basis. Es ist Fachwissen, dass lungengängiger Feinstaub ein beträchtliches Gefahrenpotential bietet und dass die thermische Belastung von staubförmigen Polymeren im Zuge ihrer Plastifizierung beim Beschichten wegen ihrer vergleichsweise großen Oberfläche leichter zur Zersetzung und Bildung gasförmiger, gesundheitlich bedenklicher Monomere führt. Folglich bildet die im Streitpatent angegebene Aufgabe auch die objektive Aufgabe.

75

7.1 Wie oben ausgeführt wurde, kann selbst eine unterstellte Vorbenutzung nicht zu der erfindungsgemäßen Lehre der Bereitstellung eines Pulvergemisches mit Korngrößen zwischen 50 und 800 µm führen, da schon jeder Hinweis und jede Anregung zu einer definierten Untergrenze fehlt. Selbst wenn sich bei der Untersuchung für EVA der Bereich der Korngröße bis 300 µm und für Eisenoxid bis 500 µm ergeben hätte, ist nicht einmal angeregt, diesen auf 800 µm auszudehnen; auch die Einsprechenden halten aus fachlicher Sicht allzu große Körnungen für ungeeignet, wenngleich sie 1 mm Korngröße als unkritisch beurteilen.

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7.2 Die Druckschrift D6 beschreibt einen Bodenbelag und dessen Herstellung, wonach die zur Beschichtung benutzte Zusammensetzung ein Ethylen-Vinylacetat-Copolymer (EVA) in Kombination mit einem Eisenoxid mit einer Teilchengröße < 150 μm, nach Bsp. 2 von 1 µm, und damit deutlich unterhalb der geforderten Untergrenze und Obergrenze aufweisen kann (D6, Titel, Anspr. 1, 9, 10; S. 7 achtle. Z., S. 9 Z. 14, S. 10 Z. 11-12). Mit Hilfe eines Verarbeitungsöls und eines Mixers wird aus den Komponenten der Beschichtungszusammensetzung eine Masse erzeugt und durch eine Strangpressmaschine auf die Rückseite eines Teppichs laminiert. Es kann dahinstehen, ob das Verfahren der P5… aus
dem eingesetzten Pulvergemisch eine Masse generiert oder das Pulver nur agglomeriert und aufstreut (Schriftsatz der Patentinhaber vom 30. Mai 2019, Abs. S.1/2) oder ob es sich laut D6 um einen Masseauftrag auf den Teppich handelt. Ob beim Auftrag der Masse ganz oder ob nur teilgeschmolzen wird, hindert den Fachmann nicht daran, die Lehre der D6 zu beachten. D6 gibt aber nicht den Korngrenzenbereich für das Eisenoxid an, sondern bringt im Gegenteil in der beispielhaften Ausführung eine außerhalb des beanspruchten Bereiches liegende Qualität zum Einsatz. Zudem informiert D6 nicht zur Konfektionierung von EVA, ganz zu schweigen von der Thematisierung aufeinander abgestimmter Korngrenzenbereiche bei Füllstoff und Binder. Damit kann D6 auch in Verbindung mit zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents kommerziell erhältlichen Qualitäten von EVA und Eisenoxid nichts zu der patentgemäßen Lehre beitragen.

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7.3 Gleiches ergibt sich für die in der Sache noch weiter entfernten Dokumente P1 und P4 aus dem Prüfungsverfahren. Druckschrift P1 lehrt ein elastisches Bodenbelagsmaterial mit rotem Eisenoxid (P1, Anspr. 1 und S. 4 Z. 10-11) und in dem dort benannten Stand der Technik Ethylen-Vinylacetat-Copolymere als Bestandteil gattungsgemäßer Beläge (P1, S. 6 Z. 59-60). Eine Angabe zu den Korngrößenverhältnissen findet sich nicht. Die Druckschrift P4 beschreibt einen recyclingfähigen Bodenbelag aus verschiedenen Kunststoffen mit u.a. Eisenoxiden als Füllstoff (P4, Anspr. 1 und 9), wiederum ohne Angabe von Korngrößen.

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In Summe ist dem aufgezeigten Stand der Technik kein Hinweis zu entnehmen, dass die Abstimmung der Korngrößenbereiche von Basismaterialien bei Bodenbelägen mit vorteilhaften Effekten verbunden wäre, wie dies auf anderen technischen Gebieten der Fall sein kann (s. CH 265521, S. 1 Z. 13-24).

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8. Mit der Bestandsfähigkeit des erteilten Patentanspruchs 1 sind auch die auf diesen bezogenen Patentansprüche 2 bis 3 und der Verwendungsanspruch 4 des erloschenen Streitpatents bestandsfähig.

80

9. Der Senat sieht davon ab, den Einsprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

81

Die Entscheidung über die Auferlegung von Kosten nach § 80 Abs. 1 PatG trifft der Senat nach billigem Ermessen, wobei von dem Grundsatz auszugehen ist, dass jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt (vgl. Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl., § 80 Rn. 6; Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 80 Rn. 3a; Schulte, Patentgesetz, 11. Aufl., § 80 Rn. 6). Für ein Abweichen von dieser Regel bedarf es daher besonderer Umstände. Diese können in einer schuldhaften Verletzung der prozessualen Sorgfaltspflicht liegen (vgl. Schulte, a.a.O., Rn. 9, 13; Busse/Keukenschrijver, a.a.O., Rn. 13, 20; Benkard, a.a.O., Rn. 7 und 9).

82

Solche besonderen Umstände sieht der Senat vorliegend nicht. Die Patentinhaber haben dazu in der mündlichen Verhandlung das Schreiben eines der Einsprechendenvertreter vom 20. Juli 2022 vorgelegt, in dem dieser ihm Rahmen eines Vorschlags zur Wiederaufnahme von Vergleichsverhandlungen neben weiteren Punkten darauf hingewiesen hat, dass das „Schicksal des Einspruchsbeschwerdefeststellungsverfahrens“ ungewiss sei und auch nur ein vorläufiges Ende finde, da den Einsprechenden weitere Rechtsmittel, insbesondere die Nichtigkeitsklage einschließlich Berufungsverfahren zur Verfügung ständen (a.a.O., S. 2, 3. Abs.). Hieraus kann schon nicht geschlossen werden, dass die Einsprechenden in vorwerfbarer Weise „auf Zeit spielen“, wie die Patentinhaber mutmaßen. Es steht jedem Beteiligten frei, seine ihm gesetzlich zustehenden Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Verfahrensziele auszuschöpfen, und es entspricht auch üblicher Vorgehensweise, den Gegner im Rahmen von Vergleichsverhandlungen auf diese Möglichkeiten sowie die damit verbundenen Prozessrisiken und die Verfahrensdauer hinzuweisen. Auch die Gerichte weisen in Güteverhandlungen hierauf hin. Es ist Sache des Gegners, zu überdenken, ob dies für ihn ein Umstand ist, der für die Aufnahme oder Fortsetzung von Vergleichsverhandlungen sprechen kann oder ob er stattdessen darauf hinwirkt, das anhängige Gerichtsverfahren weiter zu betreiben.

83

Auch aus dem fortgeschrittenen Alter des Herrn P6…, der damals als Vertreter der Patentinhaber aufgetreten ist und sich offensichtlich besonders im Verfahren engagiert (hat), folgt kein besonderer Umstand, der für eine prozessuale Pflichtverletzung spricht. Abgesehen davon, dass Herr P6… weder Mitinhaber des Patents noch benannter Erfinder ist, zudem auch sein Sohn Herr P7… als Mitinhaber des Patents in der mündlichen Verhandlung erschienen ist, könnte das fortgeschrittene Alter einer Prozesspartei als solches kein Grund sein, dass der Gegner angesichts der üblichen langen Verfahrensdauern auf die Geltendmachung von Rechten, den Versuch von Vergleichsverhandlungen oder das Weiterbetreiben von Gerichtsverfahren verzichtet bzw. sich zugunsten des Gegners einschränkt. Besondere Umstände, die ausnahmsweise für ein nicht billigenswertes Verhalten eines Beschwerdeführers sprechen könnten, wie eventuell eine erkennbar auf das Ableben eines Beteiligten oder Zeugen abzielende Prozessverschleppung, sind hier nicht ersichtlich.

84

Vor allem war es den Einsprechenden in keiner Weise zumutbar, den vorliegend angefochtenen Beschluss über die Aufrechterhaltung des Patents rechtskräftig werden zu lassen und sodann – mit entsprechendem Kostenrisiko – den Weg der Nichtigkeitsklage zu beschreiten, wie dies die Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung als „faires“ Prozessverhalten dargestellt haben. Selbstverständlich kann und wird jeder Einsprechende zunächst den ihm einfachsten und kostengünstigsten Weg des Einspruchsverfahrens einschließlich des Einspruchsbeschwerdeverfahrens gehen, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Aus der Vorschrift des § 81 Abs. 2 PatG folgt, dass das vorrangige Betreiben des Einspruchsverfahrens nicht nur billigenswert, sondern auch rechtlich geboten ist. Der von den Patentinhabern beschriebene alternative Klageweg dürfte auf Seiten eines anwaltlichen Vertreters eines Einsprechenden vielmehr sogar zum Anwaltsregress führen, wenn er seinen Mandaten entsprechend beraten würde

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Abgesehen davon ist nicht erkennbar, inwieweit die Prozessführung der Einsprechenden auf Seiten der Patentinhaber überhaupt besondere Kosten verursacht haben kann, so dass es auch an der Kostenverursachung und der erforderlichen Kausalität für die Kostenverursachung fehlen dürfte.

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10. Der Gegenstandswert erfolgt auf Antrag der Patentinhaber unter Zugrundelegung der von den Einsprechenden im Zuge von Vergleichsverhandlungen unterbreiteten Angebote. Die Einsprechenden haben gegen den vorgeschlagenen Wert von 350.000 € in der mündlichen Verhandlung keine Einwände erhoben.