Beschluss des BPatG München 26. Senat vom 20.06.2023, AZ 26 W (pat) 547/22

BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 20.06.2023, AZ 26 W (pat) 547/22, ECLI:DE:BPatG:2023:200623B26Wpat547.22.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2021 116 820.8

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 20. Juni 2023 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge, des Richters Dr. von Hartz und der Richterin am Amtsgericht Streif

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 10. Mai 2022 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Wortfolge

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Giga Bier

3

ist am 11. Oktober 2021 unter der Nummer 30 2021 116 820.8 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für Waren der

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Klasse 32: Biere; Alkoholfreie Getränke; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe und andere alkoholfreie Präparate für die Zubereitung von Getränken.

5

Mit Beschluss vom 10. Mai 2022 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 32 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Wortfolge setze sich aus den Wörtern „Giga“ und „Bier“ zusammen. „Giga“ bezeichne laut Duden „in Bildungen mit Substantiven jemanden oder etwas als besonders groß, hervorragend, bedeutend (als Steigerung von Super-)“. In der Gesamtheit vermittle sie den angesprochenen Verbrauchern die rein sachbezogene Information, dass es sich um hervorragendes, großartiges Bier handele. Denn „Giga“ werde vielfach für unterschiedliche Erzeugnisse verwendet, um diese werblich anpreisend als solche mit besonderer Güte zu bezeichnen, wie z. B. Gigaevent, Gigaprojekt, Gigaliner oder Gigaflop. In Bezug auf die damit gekennzeichneten „Biere“ der Klasse 32 weise das Anmeldezeichen somit rein beschreibend auf deren Art und Beschaffenheit hin. Zu den weiteren beanspruchten Waren stelle es einen engen sachlichen Bezug her, da es sich um Getränke bzw. Zutaten handele, die mit Bier gemischt werden könnten. Es existierten viele Möglichkeiten, Biere mit Sirup, Limonade, Fruchtnektar, Fruchtsaft oder Mineralwasser zu mischen und auf diese Weise Biermischgetränke herzustellen. Das Anmeldezeichen erschöpfe sich somit in einer sprachüblichen Kombination aus einer Qualitätsangabe und einer Angabe über die Art der Ware selbst, ohne auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen. Zwar könne der Bestandteil „Giga“ mehrdeutig sein, aber es reiche schon eine beschreibende Bedeutung für die Verneinung der Unterscheidungskraft aus.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, die Markenstelle habe das Anmeldezeichen unzulässigerweise in seine Bestandteile zergliedert und nicht in seiner Gesamtheit betrachtet. Die ungewöhnliche Wortneuschöpfung beschreibe keine Eigenschaften der beanspruchten Produkte. Vielmehr ergäben die Recherche nach dem Begriff „Giga“ mit der Internetsuchmaschine „Google“ sowie 60 mit dem Bestandteil „Giga“ eingetragene nationale Marken und 50 mit diesem Element registrierte Unionsmarken, dass „Giga“ als Fantasiebegriff stets auf bestimmte, sehr bekannte Unternehmen, wie z. B. Vodafone, Samsung oder Siemens, hinweise. „Giga“ werde im Alltag höchstens als Größenangabe im technischen Bereich bzw. in der Physik als Dateigröße wie „Gigabyte“ oder zur Beschreibung elektromagnetischer Wellen wie „Gigahertz“, aber nicht als Superlativ bzw. Qualitätsangabe verwendet. Dagegen spreche schon die getrennte Schreibweise des gewöhnlich nur als Präfix verwendeten Begriffs. Lediglich eine Handvoll inländischer Verbraucher verwende „Giga“ als Synonym für etwas Großes, aber nicht für Alltagswaren oder Getränke. Da „Giga“ keine übliche Maßeinheit für Getränke sei, verstünden sie das Anmeldezeichen nicht im Sinne von „besonders großes Bier“. Dafür gebe es in Deutschland die vom Münchener Oktoberfest bekannte Schenk-Maßeinheit von ursprünglich 1,069 Litern, die inzwischen auf einen Liter reduziert worden sei. Die Wortkombinationen Gigabit, Gigabyte, Gigaflop, Gigahertz, Gigajoule, Gigaparsec und Gigawatt seien Fachbegriffe, vornehmlich Maßeinheiten aus dem Bereich der Informatik oder Naturwissenschaften, die nicht im Zusammenhang mit Getränken oder anderen Verbrauchsgütern benutzt würden. Die beanspruchte Wortfolge werde im Internet vielmehr mit der Beschwerdeführerin als Autoproduzentin in den weltbekannten „Gigafactories“ in Verbindung gebracht, die am 9. Oktober 2021 am Tag der offenen Tür auf dem Gelände der Gigafactory Berlin-Brandenburg vor 9.000 Besuchern angekündigt habe, künftig auch Bier unter der angemeldeten Bezeichnung brauen zu wollen, worüber in zahlreichen Medien berichtet worden sei. Das Bundespatentgericht (BPatG) habe auch die Wortkombinationen „Gigaflex“ (33 W (pat) 38/07) und „GIGA Stream“ (27 W (pat) 121/03) als schutzfähig eingestuft. Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) habe die Anmeldung der beiden Unionsmarken „Gigabier“ (018 574 565) u .a. für „
Bier und Brauereiprodukte“ und „Gigabeer“ (018 659 133) u. a. für „
Biere und alkoholfreie Biere“ veröffentlicht, ohne die fehlende Unterscheidungskraft zu beanstanden. Da es sich um bösgläubige Anmeldungen eines Dritten handele, habe die Beschwerdeführerin dagegen Widerspruch eingelegt.

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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 des DPMA vom 10. Mai 2022 aufzuheben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.

11

Der Eintragung der angemeldeten Wortfolge „
Giga Bier“ als Marke stehen für die beanspruchten Waren der Klasse 32 keine Schutzhindernisse entgegen, insbesondere fehlt es dem Zeichen weder an der erforderlichen Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch handelt es sich um eine freihaltebedürftige Angabe nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Auch eine ersichtliche Täuschungsgefahr (§§ 8 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 3 MarkenG) geht nicht von ihr aus.

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1. Dem Anmeldezeichen kann nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.

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a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932 Rdnr. 7 – #darferdas? I; GRUR 2018, 301 Rdnr. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rdnr. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – Pippi-Lang-strumpf-Marke).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).

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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH a. a. O. Rdnr. 8 – #darferdas? I; GRUR 2012, 270 Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – Wrigley/HABM [Doublemint]; BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 18 – HOT); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer Sachangabe entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH MarkenR 2007, 204 Rdnr. 77 f. – CELLTECH; BGH GRUR 2014, 1204 Rdnr. 16 – DüsseldorfCongress).

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b) Diesen Anforderungen hat das angemeldete Wortzeichen „
Giga Bier“ zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt, dem 11. Oktober 2021, genügt, weil es entgegen der Ansicht der Markenstelle für die beanspruchten Waren der Klasse 32 weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt vermittelt noch einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen hergestellt, sondern über die erforderliche Eigenart verfügt hat, um von den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen als Unternehmenshinweis aufgefasst zu werden.

17

aa) Die von den angemeldeten Bieren und alkoholfreien Getränken angesprochenen breiten Verkehrskreise sind sowohl der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher als auch der Getränkefachhandel sowie der Gastronomiefachverkehr (vgl. ständige Rspr.: BPatG 26 W (pat) 514/21 – Ei, Ei, Ei, Ei, Ei; 26 W (pat) 56/20 – Brauhaus Garmisch; 26 W (pat) 1/20 – Familienwein; 26 W (pat) 504/19 – Mauerblümchen; 26 W (pat) 508/19 – Ulmer Hell; 26 W (pat) 513/18 – Popcorn; 26 W (pat) 554/18 – HERZBLATT; 26 W (pat) 541/16 – Schwaben Bräu; 27 W (pat) 32/16 – KAISERWIN/Kaiserdom/Kaiserdom Bier; 26 W (pat) 25/14 – Bro Secco; 26 W (pat) 28/12 – Destillationsapparat/Destillationsapparat). Präparate für die Zubereitung von Getränken richten sich auch an Getränkehersteller.

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bb) Das Anmeldezeichen setzt sich aus den Bestandteilen „Giga“ und „Bier“ zusammen.

19

aaa) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist es bei aus mehreren Bestandteilen kombinierten Zeichen zulässig, zunächst die Bestandteile getrennt zu betrachten, sofern die Beurteilung des Schutzhindernisses auf einer sich anschließenden Prüfung der Gesamtheit dieser Bestandteile beruht (vgl. EuGH GRUR 2010, 534 Rdnr. 42 Prana Haus GmbH/HABM [PRANAHAUS]; GRUR 2004, 943 Rdnr. 28 – SAT.1/HABM [SAT.2]; GRUR 2006, 229 – BioID/HABM [BioID]; BGH, Beschl. v. 10. September 2020, – I ZB 13/20 Rdnr. 9 = Mitt. 2021, 45 – Lichtmiete; BPatG 29 W (pat) 525/21 – SuperLine; 29 W (pat) 38/18 – Multiwear; 29 W (pat) 212/01 – Control + Rework Service).

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bbb) Laut Duden bedeutet das von dem griechischen Wort „gígas“ für „Riese, Gigant“ stammende Präfix „Giga-“ in Bildungen mit Substantiven entweder „das 10
9-Fache einer [physikalischen] Einheit (Zeichen: G)“ oder es kennzeichnet „jemanden oder etwas als besonders groß, hervorragend, bedeutend (als Steigerung von Super-)“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Giga_). Als Beispiele werden „Gigaevent, Gigaprojekt“ genannt.

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(1) Die Vorsilbe „Giga-“ ist in der Informatik als Größenangabe für Datenträger und -speicher (BPatG 27 W (pat) 31/07 – GIGASPIELE), wie z. B. Gigabit, Gigabyte, Gigaflop (floating point operations per second), und in der Physik als Mengenangabe, wie z. B. Gigahertz, Gigajoule, Gigaparsec und Gigawatt, geläufig und steht auch umgangssprachlich wegen der Anlehnung an das deutsche Substantiv „Gigant“ und das deutsche Adjektiv „gigantisch“ für etwas riesig Großes bzw. eine gewaltige Menge (https://www.duden.de/rechtschreibung/Gigant; https://www.duden.de/rechtschreibung/gigantisch). In diesem Sinne werden auch die im Duden genannten Beispielwörter „Gigaevent, Gigaprojekt“ verstanden.

22

(2) Die im Duden genannte zweite Bedeutung „hervorragend“ bzw. „Steigerung von Super-“ als Qualitätsangabe wird in mehreren Beschlüssen des BPatG schlicht nur zitiert, ohne sie mit Tatsachenfeststellungen zu untermauern. Allerdings ist in diesen Entscheidungen ein entsprechender Benutzungsnachweis auch nicht erforderlich gewesen, weil schon die erste Bedeutung im Sinne einer besonderen Größe zur Beschreibung der dort in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen zur Verneinung einer Schutzfähigkeit ausgereicht hat. Das Wortzeichen „Gigastore“ (30 W (pat) 47/00) ist als „besonders großer, leistungsstarker Datenspeicher“, das Zeichen „GigaLan“ (29 W (pat) 145/03) als „besonders großes und schnell verbundenes Netzwerk“ und die Anmeldung „GIGASPIELE (27 W (pat) 31/07) als „große, leistungsstarke Spiele“ aufgefasst worden.

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(3) Im Kollisionsverfahren „GIGADREAMWORKS/DREAMWORKS“ (BPatG 33 W (pat) 274/03) ist die im Beschluss vom 10. Januar 2006 aufgestellte Behauptung, dass es sich bei „Giga-“ wie bei „Mega-“ oder Super-“ um ein in der Werbe- und Jugendsprache übliches Präfix handele, das im Sinne von „hervorragend“ verwendet und verstanden werde, ebenfalls nicht belegt worden. Mehr als zwei Jahre später, nämlich am 24. Juni 2008 ist unter Bezugnahme auf ein Lexikon der Jugendsprache von leet & leiwand von 2006 sogar festgestellt worden, dass „Giga“ von der Jugend weit weniger verwendet wird als „super“ oder „mega“ (BPatG 33 W (pat) 38/07 – Gigaflex). Dafür spricht auch, dass im Verfahren zu „GIGASPIELE“ (BPatG 27 W (pat) 31/07) im Jahr 2007 aus diesem Bereich nur ein einziger Beleg genannt worden ist, nämlich „gigageil (Bravo Girl)“.

24

(4) Soweit vom BPatG bisher Recherchen durchgeführt worden sind, belegen diese in der Regel keine Gleichsetzung von „Giga-“ mit „Mega-“ oder „Super-“ als Qualitätsangabe, sondern zeigen fast ausschließlich nur Beispiele für eine sehr große Menge, eine außergewöhnliche Größe bzw. Dimension oder eine Verstärkung im Sinne von „sehr“. Dies gilt für die im Beschluss vom 19. März 2001 zu „Gigastore“ (BPatG 30 W (pat) 47/00) genannten „Giga-Konzerne“, „Giga-Stau“, „Giga-Stadion“ und „Giga-Aktion“, für die in der Entscheidung zu „GIGASPIELE“ (BPatG 27 W (pat) 31/07) angeführten, aus dem am 27. Juli 2007 im Internet abgefragten Wortschatz der Uni Leipzig stammenden Begriffe „Giga-Ballon“, „Giga-Ereignisse“, „Giga-Fusion“, „Giga-Jackpot“, „Giga-Video-Leinwände“, „Gigabombe“, „Gigaburger“, „Gigabusen“, „Gigagenies“ und „gigagünstig“ sowie für die im Beschluss vom 24. Juni 2008 zu „Gigaflex“ (BPatG 33 W (pat) 38/07) bei einer „Google-Suche“ ermittelten Wortkombinationen „giga informativ“, „giga witzig“, „giga cool“, „gigamodern“ und „gigaschnell“. Auch die in der Entscheidung zu „GIGASPIELE“ (BPatG 27 W (pat) 31/07) genannten Ausdrücke „giga statt mega“ (PC-Welt) und „Gigaflop“ gehören in den Bereich der Informatik und geben eine besondere Größe wieder.

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(5) Nur bei den drei Wortkombinationen „Giga-Mannschaft“, „Giga-Orgasmus“ und „gigageil“ (BPatG 27 W (pat) 31/07– GIGASPIELE) kommt „Giga-“ wie „Mega-“ als Steigerung von Super-“ überhaupt als Qualitätsattribut in Betracht. Allerdings stammen diese wenigen Belege aus dem Jahr 2007, liegen daher schon mehr als 14 Jahre zurück und der Senat hat bei seiner Recherche außer einem Buchtitel von 2009, einem Audio-CD-Titel von 2015 und einer Presseaussage aus 1997 über den Unterhaltungswert eines Museums für den Zeitraum vor dem maßgeblichen Anmeldetag, dem 11. Oktober 2021, nur eine Vielzahl markenmäßiger Verwendungen finden können. Daher hat er weder eine branchenübergreifende Verwendung der Vorsilbe „Giga-“ zur Angabe einer besonderen Güte von Waren oder Dienstleistungen noch eine solche Benutzung für den hier betroffenen Getränkebereich feststellen können.

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ccc) Das Nomen „Bier“ bezeichnet ein „aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gegorenes, kohlensäurehaltiges, würziges, leicht alkoholisches Getränk“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Bier). Damit beschreibt es Art, Beschaffenheit und Bestimmungszweck der beanspruchten Waren der Klasse 32. Es benennt die angemeldeten Produkte „
Biere“ unmittelbar und gibt bei den Waren „
Alkoholfreie Getränke; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe und andere alkoholfreie Präparate für die Zubereitung von Getränken“ an, dass diese als Zutaten für die Herstellung von Mixgetränken mit Bier besonders geeignet und bestimmt sind. Denn bereits vor dem Anmeldezeitpunkt hat es zahlreiche sog. Biermischgetränke gegeben, bei denen Bier mit anderen alkoholfreien Getränken bzw. entsprechenden Präparaten vermischt wird (BPatG 26 W (pat) 92/13 – CARIBEA/CARIB). Das bekannteste Biermischgetränk „Radler“ ist eine Mischung aus Bier und Limonade. Wenn dem Bier nur Mineralwasser hinzugefügt wird, entsteht ein als „saurer Radler“ bezeichnetes Getränk. Die Kombination aus Bier und Cola wird u. a. „Diesel“ genannt. Bier und Tomatensaft ergeben ein sog. „Red Eye“. Weizenbier mit Fruchtgetränken ist als „Fruchtweizen“ erhältlich. Bier mit Grenadinensirup wird unter der Bezeichnung „Monaco“ angeboten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Biermischgetränk).

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cc) In der Gesamtheit kommen dem Anmeldezeichen die Bedeutungen „das 10
9-Fache einer [physikalischen] Einheit eines aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gegorenen, kohlensäurehaltigen, würzigen, leicht alkoholischen Getränks“, „das Milliardenfache einer Biereinheit“ oder „ein besonders großes Bier“ zu.

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dd) Aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise enthält die angemeldete Wortfolge „Giga Bier“ mit diesen Gesamtbedeutungen keine Sachaussage über Eigenschaften oder sonstige Merkmale der beanspruchten Waren der Klasse 32, noch stellt sie einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen her.

29

aaa) „Das 10
9-Fache bzw. Milliardenfache einer Biereinheit“ vermittelt keinen vernünftigen Sinngehalt. Weder Bier noch alkoholfreie Getränke bzw. -präparate begegnen den breiten angesprochenen inländischen Verkehrskreisen auf dem Markt in milliardenfachen Einheiten. Biere und alkoholfreie Getränke werden üblicherweise in Flaschen von 0,2 Liter, 0,25 Liter, 0,33 Liter, 0,5 Liter, 0,7 Liter, 0,75 Liter, 1 oder 1,5 Liter oder in Dosen mit 250 ml, 330 ml oder 500 ml Inhalt vertrieben. Fassbier wird von den Brauereien in der Regel in 30- oder 50-Liter-Fässern angeboten. Für den privaten Konsum gibt es aber auch kleinere Größen als Partyfässer von fünf bis zu 20 Litern. Bei Großveranstaltungen kommen gelegentlich noch 200-Liter-Fässer vor (https://de.wikipedia.org/wiki/Fassbier). Sirupe sind im Handel in Volumina von wenigen Millilitern bis zu einem Liter erhältlich, und Getränkepulver wird in Portionen von wenigen Gramm bis hin zu Kilogrammpackungen verkauft.

30

bbb) Nach den Feststellungen des Senats ist aber auch der Ausdruck „Giga Bier“ im Sinne „eines besonders großen Bieres“ bisher weder in der Alltags- und Umgangssprache noch in der Werbung verwendet oder in diesem Sinne vom angesprochenen Publikum verstanden worden.

31

(1) Wenn vor dem maßgeblichen Anmeldetag eine über die üblichen Volumina hinausgehende Menge Bier angeboten worden ist, wie z. B. im Onlineshop www.amazon.de in einer 2- oder 3-Liter-Flasche als (Vatertags- oder Geburtstags-)Geschenk oder in einer „Männerhandtasche“ mit 12 x 0,33 l-Bierflaschen, findet sich nur die aus dem Bekleidungsbereich bekannte, beschreibende Größenangabe „XXL“, nicht aber „Giga-“. Auch Biergläser überschreiten regelmäßig nicht die Füllmenge von einem Liter. Der Maßkrug auf dem bekannten Münchener Oktoberfest geht schon seit langem nicht mehr darüber hinaus. Soweit es regional Gläser und Krüge mit einem Biermaß von zwei Litern gibt, werden dafür eigene Begriffe verwendet, wie z. B. der saarländische und niederbayerische „Stiefel“. Dies gilt auch für die im Inland kaum bekannten, wesentlich größeren Biergefäße von vier, fünf und 15 Litern in Österreich, die mit „Doppelliesl“, „Grenadier“ und „Schifferl“ bezeichnet werden (https://chemie-schule.de/KnowHow/Biermaße). Selbst im Zusammenhang mit Bierfässern, die bis zu 200 Liter fassen können, kommt die Bezeichnung „Giga Bier“ nicht vor.

32

(2) Da die Vorsilbe „Giga“ keine übliche Maßeinheit für Bier angibt, bleibt völlig unklar, was unter einem „besonders großen Bier“ zu verstehen sein soll.

33

(3) Hinzu kommt, dass die besondere Größe oder Menge eines Brauereiprodukts keine maßgebliche Wareneigenschaft ist, an der die angesprochenen Verkehrskreise ihre Kaufentscheidung ausrichten. Dies sind vielmehr Alkoholgehalt, Optik, Stammwürzegehalt, Geschmack, Aroma, Mundgefühl oder Herstellungsverfahren. In dieser Hinsicht können dem Anmeldezeichen über das Biergetränk selbst keine Informationen entnommen werden.

34

(4) Die besondere Größe kann sich nur auf das Gefäß bzw. die Füllmenge, nicht aber auf das Brauereiprodukt selbst beziehen. Um zu einer sinnvollen Sachangabe im Sinne eines besonders großen Biergefäßes zu gelangen, bedarf es daher der Ergänzung um eine Behältnisangabe, wie z. B. Flasche, Dose oder Fass. Solche Ergänzungen verändern aber das Anmeldezeichen, das ausschließlich in seiner angemeldeten Gesamtheit Gegenstand der Prüfung im Eintragungsverfahren ist (vgl. BGH GRUR 2015, 173 Rdnr. 22 – for you; GRUR 2011, 65 Rdnr. 10 – Buchstabe T mit Strich).

35

ccc) Der Senat hat im hier betroffenen Getränkebereich trotz umfangreicher Recherchen auch nicht feststellen können, dass die beanspruchte Wortfolge in ihrer Gesamtheit vor dem maßgeblichen Zeitpunkt im Sinne eines „hervorragenden Bieres“, also eines Bieres von besonderer Güte verstanden worden ist. Der lexikalische Nachweis von „Giga-“ im Duden mit der Bedeutung „hervorragend“ als Steigerungsform von „Super-“ und damit als Qualitätsangabe spiegelt sich im Zusammenhang mit den beanspruchten Bieren, alkoholfreien Getränken und Getränkepräparaten der Klasse 32 in der Realität nicht wider.

36

dd) Das aufgrund der getrennten Schreibweise zudem nicht eindeutig als Präfix erkennbare Element „Giga“ ist auf dem vorliegenden Warengebiet daher als Fantasiebegriff verstanden worden, der geeignet ist, der angemeldeten Wortfolge die erforderliche Unterscheidungskraft zu verleihen, weil ihr in ihrer Gesamtheit kein verständlicher Bedeutungsgehalt entnommen werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine ungewöhnliche und interpretationsbedürftige Wortkombination, die individualisierend wirkt.

37

2. Wegen der fehlenden Eignung des Anmeldezeichens in seiner konkreten Zusammenstellung zur unmittelbaren Beschreibung der angemeldeten Produkte kann auch ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zum Anmeldezeitpunkt nicht bejaht werden.

38

3. Die schutzsuchende Wortfolge „Giga Bier“ hat trotz des Bestandteils „Bier“ für die angemeldeten Produkte „
Alkoholfreie Getränke; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe und andere alkoholfreie Präparate für die Zubereitung von Getränken“ zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt auch keine ersichtlich täuschende Angabe gemäß §§ 8 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 3 MarkenG dargestellt.

39

a) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die geeignet sind, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen. Die Täuschungseignung muss dabei ersichtlich sein (§ 37 Abs. 3 MarkenG). Bei der Beurteilung, ob ein solches Schutzhindernis besteht, geht es um die Irreführung durch den Zeicheninhalt und nicht um die Prüfung, ob das Zeichen bei einer besonderen Art der Verwendung im Geschäftsverkehr geeignet sein kann, irreführende Vorstellungen zu erwecken. Dabei wird der Zeicheninhalt im Wesentlichen geprägt durch die Waren oder Dienstleistungen, für die der markenrechtliche Schutz beansprucht wird (BGH GRUR 2002, 540, Juris-Tz. 24 – OMEPRAZOK). Ist für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen eine Markenbenutzung möglich, bei der keine Irreführung des Verkehrs erfolgt, liegt das absolute Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG insoweit nicht vor (vgl. BGH GRUR 2017, 186 Rdnr. 21 – Stadtwerke Bremen; a. a. O., Juris-Tz. 25 – OMEPRAZOK).

40

b) Die Täuschungseignung ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

41

aa) Dies gilt zunächst für die beanspruchten Waren „
Alkoholfreie Getränke“, weil sie auch alkoholfreie Biere umfassen.

42

bb) Im Hinblick darauf, dass es schon lange vor dem Anmeldetag sog. Biermischgetränke gab, bei denen Bier u. a. auch mit kohlensäurehaltigen Wässern oder Fruchtgetränken vermischt werden, entfällt auch für diese angemeldeten Produkte die Täuschungseignung.

43

cc) Eine nicht irreführende Benutzung der Wortkombination „Giga Bier“ ist auch für „
Sirupe und andere alkoholfreie Präparate für die Zubereitung von Getränken“ möglich, weil schon vor dem maßgeblichen Anmeldezeitpunkt Bierkonzentrate als fertige Produkte vertrieben worden sind („SodaStream „blondie“ – Bier zum Selbersprudeln“, 27. Mai 2016, https://wassersprudler.de/sodastream-blondie/; „Konzentrat für alkoholfreies Bier“ im Angebot von www.amazon.de seit dem 19. März 2021) oder Rezepte zur Herstellung von Biersirup veröffentlicht wurden (Rezept vom 19.05.2009, https://www.kochbar.de/rezept/169842/Biersirup.html; Rezept vom 1. Mai 2017, http://www.bierjubilaeum.de/bierblog/page/28/).

44

dd) Da der Handel mit den Waren „
Mineralwässer“ und „
Fruchtsäfte“ in Deutschland durch die Mineral- und Tafelwasserverordnung vom 1. August 1984 (BGBI. I S. 1036, zuletzt geändert durch Art. 25 der Verordnung vom 5. Juli 2017, BGBI. I S. 2272) sowie der Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung vom 24. Mai 2004 (BGBI. I S. 1016, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 18. Mai 2020, BGBI. I S. 1075) reglementiert wird, haben die Endverbraucher am 11. Oktober 2021 nicht angenommen, dass diese Produkte mit Bier oder einem entsprechenden Geschmacksstoff versetzt oder angeboten werden (vgl. BPatG 26 W (pat) 516/11 – aloe to go; 26 W (pat) 546/10 – Cayenne; 26 W (pat) 552/14 – Venezianischer Spritzer). Denn der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher dieser Waren weiß seit langem aufgrund entsprechender Unterrichtung in den Medien, vor allem in Verbraucher- und anderen Zeitschriften, im Fernsehen und im Internet, dass Mineralwässer und Fruchtsäfte keine Zusätze enthalten (vgl. BPatG 26 W (pat) 1/20 – Familienwein; 26 W (pat) 516/16 – Hopfentraum). Deshalb kann er durch das Anmeldezeichen auch nicht irregeführt werden. Dies gilt erst recht für den vorliegenden Fachverkehr, dessen Verständnis allein von ausschlaggebender Bedeutung sein kann (EuGH MarkenR 2013, 110 Rdnr. 71 – Abbott Laboratories/HABM [RESTORE]; a. a. O. Rdnr. 30 – Prana Haus/HABM [PRANAHAUS]; GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 682 Rdnr. 26 – Bostongurka; BPatG 26 W (pat) 507/17 – SMART SUSTAINABILITY; 24 W (pat) 18/13 – CID; 26 W (pat) 550/10 – Responsible Furniture; MarkenR 2007, 527, 529 f. – Rapido).