BPatG München 11. Senat, Beschluss vom 16.01.2023, AZ 11 W (pat) 8/22, ECLI:DE:BPatG:2023:160123B11Wpat8.22.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Patentanmeldung 10 2019 132 880.2
hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 16. Januar 2023 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter Eisenrauch, Dr.-Ing. Schwenke und Dipl.-Chem. Dr. Deibele
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle F41A des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Mai 2022 aufgehoben und das Patent wird mit den Patentansprüchen 1 bis 18, eingereicht am 22. April 2022, der Beschreibung Seiten 1 bis 43, eingereicht am 22. April 2022 und den Zeichnungen Figuren 1, 2, 5 bis 7, 9 bis 16, 19, 21 bis 27, 29 bis 32 vom Anmeldetag sowie den Figuren 3, 4, 8, 17, 18, 20 und 28, eingegangen am 12. Februar 2020, erteilt.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
Gründe
I.
1
Die Prüfungsstelle für Klasse F41A des Deutschen Patent- und Markenamts hat die am 3. Dezember 2019 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung
2
„Verschlusssystem für eine Schusswaffe“
3
durch Beschluss vom 6. Mai 2022 zurückgewiesen. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Prüfungsstelle im Beschluss ausgeführt:
4
„im Prüfungsbescheid vom 21.04.2022 rügte die Prüfungsstelle nach § 34 (4) PatG die mangelnde Ausführbarkeit der Ansprüche 10, 11, 13 und 16. Da der gerügte Mangel nicht beseitigt wurde, ist die Anmeldung nach § 48 i. V. m. § 45 Abs. 1 PatG zurückzuweisen.“
5
Die Prüfungsstelle hat weiter ausgeführt, dass die Anmeldung auch aufgrund mangelnder Ausführbarkeit der Ansprüche 1 und 7 zurückzuweisen wäre. Zudem wäre Anspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.
6
im angefochtenen Beschluss und in den von ihr erlassenen Prüfbescheiden hat die Prüfungsstelle die Druckschriften
7
D1 CH 475 540,
8
D2 DE 17 03 549 OS,
9
D3 US 4,402,152,
10
D4 DE 39 06 496 A1,
11
D5 US 2017 / 0 074 609 A1,
12
D6 US 7,937,877 B2,
13
D7 GB 1915 / 1 923,
14
D8 US 5,014,592,
15
D9 US 3,057,100 und
16
D10 US 2,685,754
17
berücksichtigt.
18
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
19
Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, denn die Prüfungsstelle habe in dem im Beschluss genannten Prüfungsbescheid vom 21. April 2022 zu einer möglichen Unausführbarkeit nicht Stellung genommen. Der Vertreter der Patentinhaberin hätte zu jedem früheren Zeitpunkt sonst ohne Weiteres hierauf geantwortet. Der Einwand der Ausführbarkeit hätte zudem in jedem früheren Bescheid erhoben werden können. Die Patentinhaberin sei somit von der Prüfungsstelle über die Bedenken nicht informiert worden, im Gegensatz zu den Ausführungen der Prüfungsstelle. Dieses stelle einen ersten schweren Verfahrensmangel dar.
20
Darüber hinaus sei der Gegenstand des Anspruchs 1 und auch der weiteren Ansprüche ausführbar, denn aus der Gesamtheit der Unterlagen ergebe sich, wie der Fachmann die vorliegende Erfindung auszuführen habe.
21
Zudem sei die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 auf Seite 2 des angefochtenen Beschlusses zuvor ebenfalls nicht gerügt worden, vielmehr sei die Patenterteilung in Aussicht gestellt worden.
22
Es sei ohnehin völlig offensichtlich, dass die trapezförmigen Flanken aus der Druckschrift D2 an dem bekannten Zylinderverschluss den erfindungsgemäßen Effekt des Ineinandergreifens nicht bewirken könnten.
23
Sinngemäß macht die Anmelderin damit geltend, dass ausgehend von Druckschrift D2 der Anmeldungsgegenstand nicht nahegelegt sei.
24
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
25
1. den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F41A des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Mai 2022 aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 18, eingereicht am 22. April 2022, der Beschreibung Seiten 1 bis 43, eingereicht am 22. April 2022 und den Zeichnungen Figuren 1, 2, 5 bis 7, 9 bis 16, 19, 21 bis 27, 29 bis 32 vom Anmeldetag sowie den Figuren 3, 4, 8, 17, 18, 20, 28, eingegangen am 12. Februar 2020, zu erteilen;
26
2. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
27
Der Patentanspruch 1 lautet mit hinzugefügter Gliederungsnummerierung:
28
1.1 Verschlusssystem für eine Schusswaffe, aufweisend eine Verschlussaufnahme (2) und einen Verschluss (3),
29
1.2 wobei die Verschlussaufnahme (2) hohlzylindrisch mit zumindest einem ersten radial nach innen vorstehenden Eingriffsmittel (16) und
30
1.3 zumindest einer Nut (14) ausgebildet ist, wobei die Nut (14) axial ausgebildet benachbart zum ersten Eingriffsmittel (16) angeordnet ist und
31
1.4 einem Verschlusskopf (25) der mit zumindest einem zweiten vorstehenden Eingriffsmittel (44) und einer benachbarten axialen Nut (45) ausgebildet ist,
32
1.5 wobei das erste Eingriffsmittel (16) der Verschlussaufnahme (2) und das zweite Eingriffsmittel (44) des Verschlusskopfes (25) korrespondierend ineinander greifbar ausgebildet sind,
33
dadurch gekennzeichnet, dass
34
1.6 die korrespondierenden Eingriffsmittel (16, 44) als Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) mit oder ohne Steigung ausgebildet sind,
35
1.7 wobei die jeweiligen Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) zumindest je einen Gewindekamm (17, 46) aufweisen
36
1.8 wobei zumindest die vordere Flanke (18) des zumindest einen Gewindekamms (17) der Verschlussaufnahme (2) in die Schussrichtung geneigt ist und die damit korrespondierende hintere Flanke (48) des zumindest einen Gewindekamms (46) des Verschlusskopfes (25) gegen die Schussrichtung geneigt ist.
37
Zum Wortlaut der abhängigen Patentansprüche 2 bis 18 sowie weiteren Einzelheiten wird Bezug auf die Akten genommen.
II.
38
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
39
1. Die Patentanmeldung betrifft ein Verschlusssystem für eine Schusswaffe nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 (vgl. Seite 1, Zeilen 8, 9 der Beschreibung).
40
Um eine Patrone während der Schussabgabe im Patronenlager zu halten und das Patronenlager nach hinten abzuschließen, besitzen Schusswaffen sogenannte Verschlüsse. Die unterschiedlichen Verschlussarten seien beispielsweise Kipplaufverschlüsse, Kippblockverschlüsse (System Jäger, System Blaser), Fallblock- oder Vertikalblockverschlüsse und Zylinderverschlüsse (vgl. Seiten 8 bis 12 der Beschreibung).
41
Die Verriegelung erfolge über eine unterschiedliche Anzahl von Verriegelungselementen, welche als Verriegelungswarzen ausgebildet sein könnten, die in entsprechende Aussparungen im Lauf oder der Verschlusshülse eingriffen. Zwischen dem Verschlusszylinder und der Verschlusshülse einerseits oder dem Verschlusszylinder und dem Lauf andererseits (sogenannte Direktverriegelung) werde eine hintergreifende Verriegelung durchgeführt, bei der der Hintergriff der Verschlusswarzen zu einer axialen Festlegung der Verschlusskammer in der Verschlusshülse bzw. im Lauf erfolge. Das gattungsbildende System sei in diesem Fall mit Sicherheit in dem Mauser 98-System zu sehen (vgl. Seite 3, Zeilen 1 bis 10 der Beschreibung).
42
Bei schweren Schusswaffensystemen werde unter anderem der sogenannte Schraubenverschluss verwendet. Schraubverschlüssen sei gemeinsam, dass das Geschützrohr und ein bewegliches Verschlussteil (der Verschlusszylinder) über korrespondierende Außen- und Innengewinde verfügten. Das Rohr werde nach hinten durch Zuschrauben vor der Schussabgabe geschlossen, so dass der Verschlusszylinder die Patrone im Patronenlager des Rohres festlege. Verbreitet seien hierbei sogenannte Systeme mit unterbrochenen Gewinden, wobei unterbrochen hierbei meine, dass radial am Verschluss und im Rohr zumindest zwei Segmente mit einem Schraubengewinde vorgesehen seien, während die übrigen glatt seien und an dieser Stelle einen Durchmesser besitzen, der so ausgebildet sei, dass die Schraubengewinde hiervon vorstehen. Die Verschlussschraube sei hierbei in einem Schwenkarm axial verschiebbar gelagert, wobei zum Öffnen bzw. Schließen die Schraube um 90° gedreht werde. Zur Verriegelung würden hierbei etwa 50% des Gewindeumfangs genutzt (nämlich die beiden Gewindesegmente), so dass bei ausreichender Dimensionierung des Verschlusses hohe Gasdrücke beherrschbar seien (vgl. Seite 4, Zeilen 7 bis 22 der Beschreibung).
43
Erste Verschlusskonstruktionen verriegelten durch eine 90°-Drehung der Schraube (System „Reffye“, System „De Lahitolle“, System „Baranowski“), während es auch Systeme gäbe, bei denen drei Schraubsegmente vorhanden seien und somit auch drei glatte Elemente, das sogenannte „De Bange“-System. Derartige Verschlüsse würden zum Beispiel auch als konische oder ovale Verschlüsse ausgeführt. Anfang des 20. Jahrhunderts würde aus Schraubverschlüssen versucht, einen sogenannten Kammverschluss auszubilden, bei dem das Schraubengewinde durch parallel laufende Kämme ohne Steigung ersetzt werde, welche sich jedoch nicht bewährt hätten. Das Gewindeverschlusssystem nach Armstrong Whitworth unterscheide sich von den anderen Schraubverschlüssen dadurch, dass ein Trapezgewinde verwendet werde, das jedoch kein Gewindeverschluss im engeren Sinn sei, denn es werde ein metallischer Block von oben in das Rohr eingeführt, wobei nur die Verriegelung kraftschlüssig durch eine Schraube hergestellt werde, die von hinten in das Rohr eingedreht werde oder auf das Rohr aufgedreht werde und den Metallblock gegen den hinteren Rand der Pulverkammer drücke. Diese Konstruktion verbinde damit Elemente des Keilverschlusses und des Schraubenverschlusses (vgl. Seite 4, Zeilen 24 bis Seite 5, Zeile 2).
44
Ausgehend davon soll die zu lösende Aufgabe darin bestehen, ein Verschlusssystem für Schusswaffen zu schaffen, welches bei einfacher und zuverlässiger Bedienbarkeit höchste Verschlusssicherheit gewährleiste sowohl für Drehkammer- als auch für Drehkopfverschlüsse und somit für manuelle Repetier- oder Geradezugwaffen ebenso einsetzbar sei wie für voll- und halbautomatische Waffen (vgl. Seite 5, Zeilen 15 bis 18).
45
2. Als mit der Lösung der gestellten Aufgabe betrauter Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale der Patentanmeldung und für die interpretation des Standes der Technik ankommt, ist ein Hochschulabsolvent aus dem Bereich des Maschinenbaus mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Schusswaffen anzusehen.
46
Dieser Fachmann legt den Merkmalen des Patentanspruchs 1, sofern sie der Auslegung bedürfen, folgendes Verständnis zu Grunde:
47
in der Patentanmeldung sind verschiedene Verschlusskonstruktionen wie der Schraub(en)verschluss und der Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Kammverschluss beschrieben. Beim Kammverschluss wird das Schraubengewinde durch parallel laufende Kämme ohne Steigung ersetzt (vgl. Seite 4, Zeilen 7 bis 31). Bei den korrespondierenden Eingriffsmitteln (16, 44) gemäß Merkmal 1.6, die als Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) ohne Steigung ausgebildet sind, handelt es sich um eine mit dem Kammverschluss vergleichbare Anordnung.
48
Gemäß Merkmal 1.8 ist die vordere Flanke (18) des zumindest einen Gewindekamms (17) der Verschlussaufnahme (2) in die Schussrichtung geneigt, während die damit korrespondierende hintere Flanke (48) des zumindest einen Gewindekamms (46) des Verschlusskopfes (25) gegen die Schussrichtung geneigt ist (vgl. Figur 4). Die Angabe „vordere“ bedeutet in Schussrichtung vorne bzw. von der Mündung aus gesehen näher. Die Angabe „hintere“ bedeutet gegen die Schussrichtung oder von der Mündung weiter entfernt (vgl. Seite 15, Zeile 33 bis Seite 16, Zeile 2).
49
3. Die Anmeldung offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
50
3.1 Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluss hat die Prüfungsstelle im Prüfungsbescheid vom 21. April 2022 nicht die mangelnde Ausführbarkeit nach § 34 (4) PatG der Ansprüche 10, 11, 13 und 16 gerügt, sondern ausgeführt: „Unbestimmte Angaben in den Ansprüchen“: „Beziehungsweise“ in den Ansprüchen 10, 11, 13 und 16 ist für einen klaren Anspruch, weil mehrdeutig, idR ungeeignet, da bzw. je nach dem Zusammenhang bedeuten kann: „und, oder, ferner, einschließlich, außerdem, zusätzlich, ergänzend, mit, daneben, je nachdem“; „bzw.“ sollte daher immer durch das dem Kontext gewollte Bindewort ersetzt werden (vgl. Schulte, PatG mit EPÜ, 11. Auflage, § 34 Rdn 137 PatG).“
51
Die dem angefochtenen Beschluss zu Grunde liegenden Patentansprüche 10, 11, 13 und 16 unterscheiden sich von den dem Prüfungsbescheid vom 21. April 2022 zu Grunde gelegenen Ansprüchen durch redaktionelle Änderungen und Anpassung von Rückbezügen.
52
Der geltende Anspruch 10 mit hinzugefügter Unterstreichung lautet:
53
„Verschlusssystem nach Anspruch 6 und 7, dadurch gekennzeichnet, dass der Verschlusskopf (25) zumindest einen Gewindekamm (46) besitzt, der aus dem Gewindesegment (44) in eine der Nuten (45) verlaufend ausgebildet ist und die Nut (45) überspannt und an seinem axialen freien Ende eine Anschlagfläche (52) für eine korrespondierende Anschlagfläche (22) des Zylindersegmentes (11) ausbildet, so dass beim vollständigen ineinandergreifen der Gewindekämme (46) in die Gewindekämme (17) ein weiteres Hineindrehen der Gewindekämme (46) in die Gewindekämme (17) und damit der Gewindesegmente (44) in die Gewinde (16)
bzw. die Zylindersegmente (11) blockiert ist.“
54
Dies bedeutet Folgendes: Die Gewinde (16) sind mit ihren Gewindekämmen (17) in den Zylindersegmenten (11) angeordnet und die Gewindesegmente (44) sind mit ihren Gewindekämmen (46) am Verschlusskopf (25) angeordnet (vgl. Figuren 1, 4). Beim Hineindrehen der Gewindekämme (46) in die Gewindekämme (17) greifen die Gewindesegmente (44) in die Gewinde (16) und damit auch in die Zylindersegmente (11) ein.
55
Der geltende Anspruch 11 mit hinzugefügter Unterstreichung lautet:
56
„Verschlusssystem nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Verschlussaufnahme (2) in einer Laufverlängerung (4) ausgebildet ist, wobei die Laufverlängerung (4) zur Aufnahme des Laufs einer Schusswaffe ausgebildet ist, wobei die Laufverlängerung (4) neben einem Verschlussverriegelungsbereich (10) zur Aufnahme des Verschlusses (3)
bzw. des Verschlusskopfes (25) des Verschlusses (3) zumindest einen ringsegmentartiger Vorsprung (55) besitzt, der für das Zusammenwirken mit einer entsprechenden Nut in einer Hülse oder dem Chassis einer Schusswaffe ausgebildet ist und die Zylindermantelwandung (12) der Verschlussaufnahme (2) bzw. der Laufverlängerung (4) der Hülse einer Schusswaffe ausgebildet ist.“
57
Dies bedeutet Folgendes: Die Laufverlängerung (4) weist einen Verschlussverriegelungsbereich (10) zur Aufnahme des Verschlusses (3) auf. Der Verschlusskopf (25) ist jener Teil des Verschlusses (3) der im Verschlussverriegelungsbereich (10) der Laufverlängerung (4) aufgenommen wird (vgl. Figur 1). Bei Aufnahme des Verschlusskopfes (25) in den Verschlussverriegelungsbereich (10) wird, da der Verschluss (3) den Verschlusskopf (25) aufweist, auch der Verschlusskopf (3) aufgenommen.
58
Der geltende Patentanspruch 13 mit hinzugefügter Unterstreichung lautet:
59
„Verschlusssystem nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass der Verschlussträger (60) eine Verschlussträgerplatte (61) und davon in gleicher Richtung abgehend zwei Verschlussträger-Längsträgerarme (62, 63) besitzt sowie von diesen jeweils abgehende Auszieherarme (64, 65) wobei die Verschlussträgerplatte (61) ein flachplattenartiges Bauteil ist, welches bezogen auf die Längserstreckung des Verschlusskopfschaftes (26)
bzw. in Schussrichtung aufrecht stehend ausgebildet ist und einen im Wesentlichen rechteckigen Querschnitt besitzt, wobei der Verschlussträger (60) zwischen Schmalseitenkanten (68) einer Unterkante (69) der Verschlussträgerplatte (61) eine 10 Lageröffnung (71) für einen Verschlusskopfschaft vorhanden ist, sodass der Verschlusskopfschaft (26) über einen Nut- und Federeingriff an der Verschlussträgerplatte (61) drehbar aber axial festgelegt angeordnet ist.“
60
Dies bedeutet Folgendes: Die Schussrichtung verläuft in Längsrichtung der Laufverlängerung (4) und seines Verschlussverriegelungsbereichs (10) (vgl. Seite 16, Zeilen 20 bis 35). in dieser Richtung, also der Schussrichtung, liegt auch die Längserstreckung des Verschlusskopfschaftes (26) (vgl. Figur 1). Die Verschlussträgerplatte (61) ist bezogen auf die Längserstreckung des Verschlusskopfschaftes (26) und damit auch in Schussrichtung aufrecht stehend ausgebildet.
61
Der geltende Patentanspruch 16 mit hinzugefügter Unterstreichung lautet:
62
„Verschlusssystem nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass in einer oberen Deckenfläche (125) des Verschlussträgers ein Sperrhebel (141) gelagert ist, wobei der Sperrhebel (141) um eine Drehachse in einen Schlitz (134) verkippt, derart angeordnet ist, dass ein Klinkenfortsatz (142), welcher an einem Ende des Sperrhebels (141) ausgebildet ist, in den Bereich einer zentralen Bohrung (34) zur Lagerung des Verschlusskopfschaftes (26) reicht
bzw. in diesem Bereich der zentralen Bohrung (34) einschwenkbar und aus diesem heraus schwenkbar ist, wobei der Sperrhebel (141) einen Betätigungshebel (143) besitzt, der mit einer Feder derart unter Federdruck belastet ist, dass der Klinkenfortsatz (142) durch den Schlitz (134) in die zentrale Bohrung (34) unter Federdruck eingeschwenkt ist.“
63
Hierzu ist anzumerken, dass in der Beschreibung (vgl. Seite 33, Zeilen 13 bis 17) analog zum Anspruchswortlaut wiedergegeben ist: „Der Sperrhebel 141 ist ein flach-längliches Bauteil, welches aufrecht in dem Längsschlitz 134 aufgenommen ist und um eine Drehachse (nicht gezeigt) im Schlitz 134 verkippbar derart angeordnet ist, dass ein Klinkenfortsatz 142, welcher an einem Ende des Sperrhebels ausgebildet ist, nach unten durch die Mündung in den Bereich der Bohrung 34 reicht bzw. in diesen Bereich der Bohrung 34 hineinschwenkbar und aus diesem herausschwenkbar ist.“
64
Der Klinkenfortsatz (142) des verkippbaren Sperrhebels (141) ist so ausgebildet, dass er in den Bereich einer zentralen Bohrung (34) reicht und er ist in diesen Bereich der zentralen Bohrung (34) einschwenkbar und aus diesem heraus schwenkbar.
65
im Ergebnis ist festzustellen, dass die Verwendung des Begriffs „bzw.“ nicht dazu führt, dass die Gegenstände der Ansprüche 10, 11, 13 und 16 nicht ausführbar sind.
66
3.2 Wie unter Abschnitt ii. 2. festgestellt, handelt es sich bei den korrespondierenden Eingriffsmitteln (16, 44) gemäß Merkmal 1.6, die als Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) ohne Steigung ausgebildet sind, um eine mit dem Kammverschluss vergleichbare Anordnung. Der Kammverschluss ist dem hier mit der Lösung der Aufgabe betrauten Fachmann bekannt, so dass Gewinde und Gewindesegmente ohne Steigung für ihn eine ausführbare Lehre darstellen.
67
3.3 Auch die Rückbeziehung des Patentanspruchs 7 auf Patentanspruch 1 führt nicht zu einer mangelnden Ausführbarkeit.
68
Nach Merkmal 1.6 des Patentanspruchs 1 sind die korrespondierenden Eingriffsmittel (16, 44) als Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) mit oder ohne Steigung ausgebildet. Die in Patentanspruch 7 angegebene Gewindehelix ergibt in jedem Fall einen Sinn i. V. m. der ersten Alternative für Gewinde (16) und Gewindesegmente (44) mit Steigung. Diese Alternative ist zweifelsohne ausführbar. Doch auch hinsichtlich der weiteren Alternative vermittelt die Anmeldung eine ausführbare Lehre. Ein Gewinde setzt nach allgemeinem fachmännischem Verständnis eine wendelartige Steigung voraus. Nach der Definition der vorliegenden Anmeldung (vgl. Merkmal 1.6) kann ein Gewinde jedoch auch ohne Steigung ausgebildet sein, d. h. eine Helix ist nicht mehr gegeben. Die Gewindekämme wären ohne unterbrechende Nuten umlaufende ringförmige Gebilde. Durch die Ausbildung der Nuten gemäß Patentanspruch 7 wird erst die Verbindung zwischen Verschlusskopf und Verschlussaufnahme möglich.
69
4. Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand der Patentanmeldung erweist sich in der geltenden Fassung als patentfähig.
70
4.1 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu (§§ 1, 3 PatG).
71
a) Druckschrift D1 betrifft eine Handfeuerwaffe mit Zylinderverschluss (vgl. Anspruch 1). Der Zylinderverschluss weist eine Verschlussaufnahme (Verschlusshülse 11) mit einem Gewinde (Gewindegänge 14) mit Gewindekämmen und einen Verschluss (Kammer 12) mit einem Gewinde 13 mit Gewindekämmen auf (vgl. Spalte 3, Zeilen 5 bis 36, Figuren 1 bis 4). Allerdings sind gemäß Figur 1 die vordere Flanke des zumindest einen Gewindekamms des Gewindes 14 der Verschlussaufnahme 11 nicht in Schussrichtung geneigt und die damit korrespondierende hintere Flanke des zumindest einen Gewindekamms des Gewindes 13 des Verschlusses 12 nicht gegen die Schussrichtung geneigt, so dass Merkmal 1.8 nicht erfüllt ist.
72
b) Druckschrift D2 betrifft gemäß Bezeichnung einen Zylinderverschluss für Handfeuerwaffen. Der Zylinderverschluss weist eine Verschlusshülse 11 mit eingesetzter Gewindebuchse 15 mit einem innen-Profilgewinde 17 und einen Kammergriff 18 mit Verriegelungswarzen 19 als Außen-Profilgewindegänge auf (vgl. Seite 3, Figuren 1 bis 4). Die vordere Flanke zumindest eines Gewindekamms des innen-Profilgewindes 17 ist nicht in Schussrichtung geneigt und die hintere Flanke zumindest eines Gewindekamms der als Außen-Profilgewinde ausgebildeten Verriegelungswarzen 19 ist nicht gegen die Schussrichtung geneigt (vgl. Figuren 1 bis 3), so dass Merkmal 1.8 nicht erfüllt ist.
73
c) Druckschrift D3 betrifft eine Feuerwaffe mit Bolzenbetätigung. Diese weist einen Verschlusskopf 16 mit Gewindekämmen 33 und eine Verschlussaufnahme 29 mit Gewindekämmen 34 in der Art eines Sägengewindes auf (vgl. Spalte 4, Zeilen 18 bis 39, Figuren 2, 3).
74
Sägengewinde, sind genormt. Bei einem solchen Sägengewinde (vgl. folgendes Schaubild für Sägengewinde nach DiN 513) wären bei vergleichbarer Anordnung die vordere Flanke des zumindest einen Gewindekamms der Mutter (Verschlussaufnahme) gegen die Schussrichtung geneigt und die damit korrespondierende hintere Flanke des zumindest einen Gewindekamms des Bolzens (Verschlusskopf) in die Schussrichtung geneigt.
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
75
Schaubild Sägengewinde nach DiN 513 gemäß Schriftsatz der Anmelderin vom 15.01.2021, Seite 2
76
Die vordere Flanke des zumindest einen Gewindekamms 34 der Verschlussaufnahme 29 ist nicht in Schussrichtung geneigt und die damit korrespondierende hintere Flanke des zumindest einen Gewindekamms 33 des Verschlusskopfes 16 ist nicht gegen die Schussrichtung geneigt (vgl. Figur 2), so dass Merkmal 1.8 nicht erfüllt ist.
77
d) Druckschrift D4 betrifft eine Jagdbüchse mit Zylinder-Verschluss (vgl. Patentanspruch 1). Die Waffe ist abhängig von der verwendeten Munition mit unterschiedlichen Verriegelungsbuchsen (1a – 1d) ausgerüstet. Diese sind an ihrer Innenseite mit Mikro-Trapez-Warzen (1m) in drei à 120° radial angeordneten Verriegelungs-Segmenten (1x, 1y und 1z) – analog den auswechselbaren Verschluss-Köpfen (2a – 2d) – ausgestattet, welche für die kleineren Patronen 3 Verriegelungs-Warzen (1a) besitzen, für mittlere Patronen 6-Warzen (1b), für Magnum-Patronen 9-Warzen (1d, hier ist 1c gemeint) und für Spezial-Patronen 12 Mikro-Trapez-Warzen (1d) (vgl. Spalte 4, Zeilen 34 bis 49, Figur 7). Die vordere Flanke der Ausnehmungen zur Aufnahme von Mikro-Trapez-Warzen in den Verriegelungsbuchsen (1a – 1d) ist nicht in Schussrichtung geneigt und die damit korrespondierende hintere Flanke der Mikro-Trapez-Warzen der Verschluss-Köpfe (2a – 2d) ist nicht gegen die Schussrichtung geneigt (vgl. Figur 7), so dass Merkmal 1.8 nicht erfüllt ist.
78
e) Druckschrift D5 betrifft gemäß Bezeichnung eine Verschlussanordnung, die das Merkmal 1.8 ebenso nicht offenbart (vgl. Figuren 3 und 4).
79
f) Druckschrift D6 betrifft gemäß Bezeichnung eine leichte Feuerwaffe und ein Verfahren zu deren Herstellung. Die Waffe weist eine Aufnahme für einen Lauf (barrel receiving element 82) auf, die mit einem unterbrochenen Sägengewinde (interrupted buttress threads 84) versehen ist (vgl. Spalte 3, Zeilen 33 bis 36, Figur 3).
80
Merkmal 1.8 fordert, dass zumindest die vordere Flanke (18) des zumindest einen Gewindekamms (17) der Verschlussaufnahme (2) in die Schussrichtung geneigt ist und die damit korrespondierende hintere Flanke (48) des zumindest einen Gewindekamms (46) des Verschlusskopfes (25) gegen die Schussrichtung geneigt ist (vgl. folgende Figur 4 der Anmeldung, Ausschnitt mit Angabe der Schussrichtung).
81
Figur 4 der Anmeldung, Ausschnitt mit Angabe der Schussrichtung
82
Ein Sägengewinde erfüllt demnach das Merkmal 1.8 nicht (vgl. c)).
83
g) Druckschrift D7 betrifft gemäß Bezeichnung eine Verbesserung in und in Bezug auf automatische Hinterlader-Feuerwaffen. Eine solche Feuerwaffe weist eine Kappe (breech cap 9) mit einem unterbrochenen Sägengewinde (interrupted buttress threads 12) auf, die einen breech body 2 rückseitig verschließt (vgl. Seite 2, Zeile 30 bis Seite 3, Zeile 2, Figuren 1 bis 3). Ein Sägengewinde erfüllt das Merkmal 1.8 jedoch nicht.
84
h) Druckschrift D8 betrifft einen Gleitstein-Verschlussmechanismus (slide block breech mechanism) für eine Kanone (vgl. Spalte 1, Zeilen 13, 14). Der Gleitstein (block 14) ist mittels einer modifizierten Sägengewinde-Konfiguration (modified buttress thread configuration) in einem Ring 12 aufgenommen (vgl. Spalte 5, Zeilen 6 bis 38, Figuren 1, 1A und 2). Die modifizierte Sägengewinde-Konfiguration erfüllt das Merkmal 1.8 offensichtlich nicht.
85
i) Druckschrift D9 betrifft gemäß Bezeichnung einen Auszieher für automatische Gewehre. Eine solche Vorrichtung weist eine Verschlussaufnahme (bolt lock 68) mit Gewindekämmen (teeth 180) und einen Verschlusskopf (bolt 148) mit Gewindekämmen (teeth 178) in der Art einer Sägenverzahnung auf. Die vordere Flanke der Gewindekämme 180 der Verschlussaufnahme 68 ist nicht in die Schussrichtung geneigt und die hintere Flanke der Gewindekämme 178 des Verschlusskopfes 148 ist nicht gegen die Schussrichtung geneigt (vgl. Spalte 6, Zeilen 27 bis 38, Figuren 9, 11). Damit ist Merkmal 1.8 nicht erfüllt.
86
j) Druckschrift D10 betrifft eine Hinterlader-Feuerwaffe (vgl. Spalte 1, Zeilen 1, 2). Die Feuerwaffe weist eine Verschlussaufnahme (barrel extension 4) mit Gewindekämmen (locking abutments 18) und einen Verschluss (breech bolt 12) mit Gewindekämmen (thread locking lugs 17) auf (vgl. Spalte 3, Zeilen 16 bis 58, Figuren 2, 3). Zur Neigung der Flanken der Gewindekämme 17, 18 sind der Beschreibung keine Angaben zu entnehmen. Auch die Figuren 2 und 3 offenbaren nicht unmittelbar und eindeutig, dass die vordere Flanke des zumindest einen Gewindekamms 18 der Verschlussaufnahme 4 in die Schussrichtung geneigt ist und die damit korrespondierende hintere Flanke des zumindest einen Gewindekamms 17 des Verschlusskopfes 12 gegen die Schussrichtung geneigt ist. Damit ist Merkmal 1.8 nicht erfüllt.
87
4.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit (§§ 1, 4 PatG).
88
Nachdem die Druckschriften D1 bis D10 das Merkmal 1.8 nicht offenbaren, führt auch eine Zusammenschau dieser Druckschriften nicht zum Gegenstand des Patentanspruchs 1. Darüber hinaus sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass es dem Fachmann nahelag, ausgehend von einer Druckschriften D1 bis D10 die dort beschriebenen Gewinde gemäß Merkmal 1.8 derart auszubilden, dass zumindest die vordere Flanke des zumindest einen Gewindekamms der Verschlussaufnahme in die Schussrichtung geneigt ist und die damit korrespondierende hintere Flanke des zumindest einen Gewindekamms des Verschlusskopfes gegen die Schussrichtung geneigt ist.
89
4.3 Die Unteransprüche 2 bis 18 betreffen zweckmäßige, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Gegenstands des Patentanspruchs 1 und sind daher zusammen mit diesem Anspruch ebenfalls gewährbar.
III.
90
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet (§ 80 Abs. 3 PatG).
91
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr erfolgt, wenn dies der Billigkeit entspricht. Billigkeitsgründe sind die gleichen wie bei der Rückzahlung nach § 73 Abs. 3 PatG. im vorliegenden Fall ist sie billig, denn es liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die auch in kausaler Weise zur Einlegung der Beschwerde geführt hat.
92
1. Die Prüfungsstelle hat im angefochtenen Beschluss auf Seite 1 ausgeführt:
93
„im Prüfungsbescheid vom 21.04.2022 rügte die Prüfungsstelle nach § 34 (4) PatG die mangelnde Ausführbarkeit der Ansprüche 10, 11, 13 und 16. Da der gerügte Mangel nicht beseitigt wurde, ist die Anmeldung nach § 48 i. V. m. § 45 Abs. 1 PatG zurückzuweisen.“
94
Die von der Prüfungsstelle im Prüfungsbescheid vom 21. April 2022 ausgesprochene Rüge lautet:
95
„Unbestimmte Angaben in den Ansprüchen
96
„Beziehungsweise“ in den Ansprüchen 10, 11, 13 und 16 ist für einen klaren Anspruch, weil mehrdeutig, idR ungeeignet, da bzw. je nach dem Zusammenhang bedeuten kann: „und, oder, ferner, einschließlich, außerdem, zusätzlich, ergänzend, mit, daneben, je nachdem“; „bzw.“ sollte daher immer durch das dem Kontext gewollte Bindewort ersetzt werden (vgl. Schulte, PatG mit EPÜ, 11. Auflage, § 34 Rdn 137 PatG).“
97
Entgegen ihren Ausführungen im Beschluss hat die Prüfungsstelle im Prüfungsbescheid vom 21. April 2022 nicht die mangelnde Ausführbarkeit der Ansprüche 10, 11, 13 und 16 nach § 34 (4) PatG gerügt, sondern unter Hinweis auf Schulte, PatG mit EPÜ, 11. Auflage, § 34 Rdn 137 PatG festgestellt, dass die Ansprüche 10, 11, 13 und 16 nicht klar seien.
98
Eine Vorgabe, Patentansprüche müssten klar und deutlich formuliert sein, ist im Patentgesetz nicht vorgesehen. Weder das Deutschen Patent- und Markenamt noch das Bundespatentgericht sind befugt, sich über die gesetzlich geregelten, materiellen Patenterteilungsvoraussetzungen hinaus neue Zurückweisungsgründe „auszudenken“ (vgl. BPatG BlPMZ 2019, 367 ff., 11 W (pat) 24/14, Beschluss vom 17.12.2018 – „Abgassteuersystem“; Fortführung von: BPatGE 54, 238 ff. – „Gargerät“; in Abgrenzung zu: BPatG BlPMZ 2016, 376 ff. – „Elektronisches Gerät“).
99
Die Prüfungsstelle hat es damit im Bescheid versäumt, anzugeben, dass die ihrerseits festgestellte mangelnde Klarheit der Ansprüche 10, 11, 13 und 16 dazu führe, die Erfindung sei in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne (PatG § 34 Abs. 4).
100
Damit hat die Prüfungsstelle die Zurückweisung auf Umstände gegründet, die dem Patentsucher noch nicht mitgeteilt waren, ohne dass ihm vorher Gelegenheit gegeben war, sich dazu innerhalb einer bestimmten Frist zu äußern (§§ 48, Satz 2, 42 Abs. 3 Satz 2 PatG).
101
Daran ändert auch die folgende Feststellung der Prüfungsstelle am Ende des Beschlusses nichts:
102
„in der Eingabe vom 11.04.2022 stellte die Anmelderin klar, dass sollte mit den neu vorgebrachten Argumenten eine Erteilung immer noch nicht möglich sein, ein beschwerdefähiger Beschluss beantragt wird, dass dies bereits mit der letzten Eingabe beantragt wurde und dass auf einen weiteren Prüfungsbescheid eine Äußerung in der Sache nicht mehr erfolgen könne.
103
Da eine Erteilung mit den vorliegenden Unterlagen nicht möglich ist, die Anmelderin bereits mehrfach um einen beschwerdefähigen Beschluss gebeten hat, es ausgelassen hat, wenigstens hilfsweise einen Antrag auf eine mündliche Anhörung zu stellen und sich dahingehend äußerte, dass mit einer Äußerung auf einen Bescheid nicht zu rechnen ist, ist bei dieser Sachlage die Anmeldung zurückzuweisen.“
104
Zwar hat die Anmelderin in ihrer Eingabe vom 11. April 2022 einen beschwerdefähigen Beschluss beantragt und mitgeteilt, auf einen weiteren Prüfungsbescheid wird eine Äußerung in der Sache nicht mehr erfolgen können. Das entbindet die Prüfungsstelle jedoch nicht davon, die Anmelderin davon in Kenntnis zu setzen, auf welche Umstände eine Zurückweisung gegründet werden würde.
105
2. Die Prüfungsstelle hat im angefochtenen Beschluss weitere Gründe angeführt, auf Grund derer die Anmeldung zurückzuweisen wäre.
106
2.1 Auf Seite 1 hat die Prüfungsstelle ausgeführt:
107
„Weiterhin wäre aber auch die Ausführbarkeit des Anspruchs 1 in Frage zu stellen, denn in dem Patentanspruch 1 ist nicht klar und deutlich angegeben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (§ 34 (3) Nr. 3 PatG), denn in Anspruch 1 wird der Begriff „Gewinde (…) ohne Steigung“ verwendet, ohne dass für den Fachmann die Bedeutung dieses Begriffes klar und eindeutig ist.“
108
in § 34 (3) Nr. 3 PatG ist gefordert, dass die Anmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten muss, in denen angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll. Die von der Prüfungsstelle aufgestellte Vorgabe „klar und deutlich“ ist in § 34 (3) Nr. 3 PatG nicht enthalten und somit nicht zulässig (vgl. Ausführungen unter iii.1.; BPatG a. a. O., 11 W (pat) 24/14, Beschluss vom 17.12.2018 – „Abgassteuersystem“).
109
2.2 Auf Seite 2 des Beschlusses führt die Prüfungsstelle aus:
110
„Ergänzend wäre aber auch die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 in Frage zu stellen, (…) Damit zeigt die D2 lediglich eine genau umgekehrt angeordnete Neigung der Flanken in der Verschlussaufnahme und am Verschlusskopf. Der Fachmann, stets bemüht zur Verbesserung bestehender Verschlusssysteme beizutragen, wird selbstverständlich auch unterschiedliche Neigungen vorsehen, wonach sich die Merkmale des Anspruches 1 in rein konstruktiven Maßnahmen erschöpfen und diese Maßnahmen keine erfinderische Tätigkeit begründen können. Anspruch 1 wäre insofern mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.“
111
Diese Ausführungen widersprechen denen des letzten Prüfungsbescheids vom 21. April 2022 (vgl. Seite 1), in dem die Prüfungsstelle der Anmelderin mitteilt:
112
„Die Erteilung eines Patents kann daher in Aussicht gestellt werden, weil der Anmeldungsgegenstand vom ermittelten Stand der Technik weder vorweg genommen noch nahegelegt wird.“
113
Sollte die Prüfungsstelle im Laufe des Prüfungsverfahrens zu dem Schluss kommen, dass entgegen ihren früheren Aussagen doch Stand der Technik den Gegenstand der Anmeldung vorwegnimmt oder nahelegt, dann ist die Anmelderin davon in Kenntnis zu setzen, auch für den Fall, dass die Anmelderin bereits mitgeteilt hat, dass auf einen weiteren Prüfungsbescheid eine Äußerung in der Sache nicht mehr erfolgen werde.