Beschluss des BPatG München 30. Senat vom 15.08.2023, AZ 30 W (pat) 501/21

BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 15.08.2023, AZ 30 W (pat) 501/21, ECLI:DE:BPatG:2023:150823B30Wpat501.21.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2018 111 510

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2023 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach und der Richterin kraft Auftrags Wagner

beschlossen:

2. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 23. Oktober 2020 aufgehoben, soweit der Widerspruch hinsichtlich Waren und Dienstleistungen der

„Klasse 07: Motoren, einschließlich Elektromotoren aller Art, Antriebe, Maschinenteile und Steuerungen für den Betrieb von Maschinen und Motoren [soweit in dieser Klasse enthalten]; Elektrogeneratoren; Pumpen, Kompressoren und Ventilatoren; Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung, ausgenommen für Landfahrzeuge; Kühler für Motoren;

Klasse 42: technologische Dienstleistungen und diesbezügliche Designerdienstleistungen; Dienstleistungen von Ingenieuren; Erstellung von technischen Gutachten; Konstruktionsplanung; technische Projektplanungen; Technologieberatung“

zurückgewiesen worden ist.

Wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 013709324 wird die Löschung der Marke 30 2018 111 510 für diese Waren und Dienstleistungen angeordnet.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 16. Oktober 2018 angemeldete Wort-/Bildmarke

2

ist am 15. Februar 2019 unter der Nummer 30 2018 111 510 u.a. für die Waren und Dienstleistungen

3

„Klasse 07: Motoren, einschließlich Elektromotoren aller Art, Antriebe, Maschinenteile und Steuerungen für den Betrieb von Maschinen und Motoren [soweit in dieser Klasse enthalten]; Elektrogeneratoren; Pumpen, Kompressoren und Ventilatoren; Industrieroboter; Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung, ausgenommen für Landfahrzeuge; Kühler für Motoren

4

Klasse 42: wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software, insbesondere für die Bereiche Motoren- und Maschinenüberwachung und Motoren- und Maschinenregelung; Dienstleistungen von Ingenieuren; Erstellung von technischen Gutachten; Fernüberwachung von Computersystemen; Konstruktionsplanung; Software as a Service [SaaS]; technische Projektplanungen; Technologieberatung“

5

in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 22. März 2019.

6

In dem genannten Umfang hat die Widersprechende aus der unter der Nummer 013709324 am 6. Oktober 2015 registrierten Unionsmarke

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7

Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsmarke genießt Schutz für die Waren und Dienstleistungen

8

„Klasse 06: Unedle Metalle und deren Legierungen; Baumaterialien aus Metall; Transportable Bauten aus Metall; Schienenbaumaterial aus Metall; Kabel und Drähte aus Metall (nicht für elektrische Zwecke); Schlosserwaren und Kleineisenwaren; Metallrohre; Geldschränke; Erze.

9

Klasse 07: Werkzeugmaschinen; Motoren (ausgenommen Motoren für Landfahrzeuge); Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung (ausgenommen solche für Landfahrzeuge); Nicht handbetätigte landwirtschaftliche Geräte; Maschinenteile aus Metall; Ketten und Zubehör für Antriebs- und Fördersysteme; Geradlaufende Scharnierbandketten; Kurvengängige Scharnierbandketten; Magnetflexscharnierbandketten; Gummierte Scharnierbandketten; Geradlaufende Plattenbandketten; Kurvengängige Plattenbandketten; Gummierte Plattenbandketten; Sonderketten; Magnetkurven für Metall-Magnetflexketten; Maschinenteile wie Ketten und Zubehör aus Metall für Antriebs- und Fördergeräte aus Kunststoff; Staurollenketten; Multiflexketten; Kastentransportketten; Staurollen-Mattenbänder; Spezielle Mattenförderbänder; Magnetkurven für flexible Ketten aus Kunststoff; Fittings als Bestandteile von Maschinen; Maschinenteile, nämlich Verschlusstopfen in Form von Gewindeeinsätzen mit Spindel; Verschlussschrauben und Endstücke für Rohre; Stützfüße; Rohrkuppelungen und Rohrverbindungsstücke.

10

Klasse 42: Beratung bei der Anwendung, der Auswahl und dem Einsatz von Ketten und Zubehör sowie Normalien für den Maschinenbau.“

11

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2020 hat die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts den Widerspruch zurückgewiesen, weil zwischen den Vergleichsmarken keine markenrechtliche Verwechslungsgefahr im Sinne der §§ 125b Nr. 1, 43 Abs. 2 S.1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe.

12

Nach der maßgeblichen Registerlage seien die beiderseitigen Waren der Klasse 7 und die beiderseitigen Dienstleistungen der Klasse 42 ähnlich bis identisch. Allerdings könne dahingestellt bleiben, welche Waren und Dienstleistungen ähnlich bzw. identisch seien, denn auch bei Waren-/Dienstleistungsidentität sei eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen zu verneinen.

13

Es sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke „MOVEX“ auszugehen, da keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine durch intensive Nutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft oder für eine Kennzeichnungsschwäche vorlägen. Den demnach zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr zu fordernden deutlichen Abstand zwischen den Marken halte die jüngere Marke ein.

14

Die angegriffene Marke bestehe aus einer Amplitude und einer farbigen Ausgestaltung sowie den Wortbestandteilen „MOVE“ und „Mobility Open minded Vision Electrification“, die sich „entweder im oberen rechten Quadranten oder im unteren linken Quadranten befänden“. Die Widerspruchsmarke stelle das Zeichen „MOVEX“ in roten Buchstaben dar. In der Gesamtheit verhinderten diese Unterschiede eine unmittelbare Verwechslungsgefahr.

15

In klanglicher Hinsicht werde die angegriffene Marke nicht allein durch den Wortbestandteil „MOVE“ geprägt. Der Verkehr habe keine Veranlassung, die anderen Begriffe („Mobility Open minded Vision Electrification“) wegzulassen, da sie aufgrund ihrer Größe im Gesamtzeichen nicht in den Hintergrund träten. Somit stünden sich in klanglicher Hinsicht die Wortelemente „MOVE Mobility Open minded Vision Electrification“ (angegriffene Marke) und „MOVEX“ (Widerspruchsmarke) gegenüber. Aufgrund der zusätzlichen Wortbestandteile der angegriffenen Marke sei eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr in klanglicher, aber auch in bildlicher und begrifflicher Hinsicht zu verneinen.

16

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie geltend macht, die angegriffene Marke sei wegen Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG jedenfalls im angegriffenen Umfang zu löschen.

17

Zwischen den beiderseitigen Waren der Klasse 7 und den Dienstleistungen der Klasse 42 bestehe Ähnlichkeit bis Identität. Auch sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke auszugehen, so dass ein deutlicher Abstand zwischen den Marken zu fordern sei, um die Gefahr einer Verwechslung zu vermeiden. Diesen Abstand halte die jüngere Marke jedoch nicht ein. Sie werde durch den Wortbestandteil „MOVE“ geprägt, während die anderen Wort- bzw. Bildelemente schon wegen ihrer geringen Größe zurückträten. Somit stünden sich nur die Worte „Move“ und „Movex“ gegenüber, die fast gleich lang seien und in den ersten vier Buchstaben vollständig übereinstimmten. Der zusätzliche Konsonant „x“ stehe am Zeichenende und werde in der Regel weniger beachtet und oft sogar überlesen. Darüber hinaus seien die beiden Zeichen auch in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich. Zumindest für den Teil der Verbraucher, der die Marken deutsch ausspreche, ergebe sich eine identische Silbentrennung und Klangstruktur der Art „Mo-ve“ bzw. „Mo-vex“.

18

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

19

den angefochtenen Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die angegriffene Marke 30 2018 111 510 im beantragten Umfang zu löschen.

20

Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

22

Im Amtsverfahren hat der Inhaber der angegriffenen Marke vorgetragen, die Vergleichsmarken wiesen deutliche Unterschiede auf, die ein sicheres Auseinanderhalten gewährleisteten. Insbesondere sei das Bildelement der angegriffenen Marke dermaßen prägnant, dass eine visuelle Ähnlichkeit ausscheide. Selbst bei einem Vergleich der Wortelemente scheide eine klangliche Markenähnlichkeit aus, weil der zusätzliche Buchstabe „X“ am Wortende deutlich in den Vordergrund trete und zu einer unterschiedlichen Silbentrennung und Klangstruktur führe.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

24

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet, da insoweit zwischen den Vergleichsmarken Verwechslungsgefahr gemäß §§ 119 Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht. Insoweit ist daher der angefochtene Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. Oktober 2020 aufzuheben und die Löschung der Marke 30 2018 111 510 aufgrund des Widerspruchs aus der Unionsmarke 013709324 anzuordnen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG). Die weitergehende Beschwerde ist dagegen nicht begründet.

25

A. Die Anwendung der das Widerspruchsverfahren betreffenden Vorschriften für den Widerspruch aus einer Unionsmarke ergibt sich infolge der Änderungen durch das 2. Patentrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 1. Mai 2022 aus § 119 Nr. 1 und Nr. 4 MarkenG n. F.

26

B. Die Frage, ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur EuGH GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933 Rn. 32 – Barbara Becker; BGH GRUR 2020, 870 Rn. 25 – INJEX/INJEKT; GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – OXFORD/Oxford Club; WRP 2017, 1104 ff. – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2016, 283 Rn. 7 – BSA/DAS DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Bei dieser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, a. a. O. Rn. 48 – Hansson [Roslagspunsch/ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. Rn. 25 – INJEKT/INJEX).

27

Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in Bezug auf die im Tenor genannten Waren und Dienstleistungen zu bejahen.

28

1. Zwischen den Vergleichswaren und -dienstleistungen besteht ausgehend von der vorliegend maßgeblichen Registerlage teilweise Identität bzw. hochgradige Ähnlichkeit oder durchschnittliche Ähnlichkeit, teilweise sehr geringe bis geringe Ähnlichkeit.

29

a. Die von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren der Klasse 07 „Motoren, einschließlich Elektromotoren aller Art“ und „Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung, ausgenommen für Landfahrzeuge“ und die Widerspruchswaren „Motoren (ausgenommen Motoren für Landfahrzeuge)“ und „Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung (ausgenommen solche für Landfahrzeuge)“ sind identisch.Gleiches gilt für „Antriebe“ der angegriffenen Marke und „Motoren“ der Widerspruchsmarke.

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Identisch oder jedenfalls hochgradig ähnlich sind darüber hinaus die für die jüngere Marke in Klasse 07 eingetragenen Waren „Maschinenteile und Steuerungen für den Betrieb von Maschinen und Motoren [soweit in dieser Klasse enthalten]“ zu den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Waren „Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung (ausgenommen solche für Landfahrzeuge), Maschinenteile aus Metall, Ketten und Zubehör für Antriebs- und Fördersysteme, Maschinenteile wie Ketten und Zubehör aus Metall für Antriebs- und Fördergeräte aus Kunststoff; Fittings als Bestandteile von Maschinen; Maschinenteile, nämlich Verschlusstopfen in Form von Gewindeeinsätzen mit Spindel“.

31

Hochgradig ähnlich sind auch „Elektrogeneratoren“ der angegriffenen Marke im Vergleich zu „Motoren“ der Widerspruchsmarke, weil ein Generator das Gegenstück zum Elektromotor ist, der elektrische Energie in Bewegungsenergie umwandelt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrischer_Generator und auch Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 19. Aufl., S. 125).

32

Identität besteht des weiteren zwischen den Dienstleistungen der Klasse 42 „technologische Dienstleistungen; Dienstleistungen von Ingenieuren; Erstellung von technischen Gutachten; Konstruktionsplanung; technische Projektplanungen; Technologieberatung“ der angegriffenen Marke und den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Dienstleistungen „Beratung bei der Anwendung, der Auswahl und dem Einsatz von Ketten und Zubehör sowie Normalien für den Maschinenbau“, weil letztere von den genannten Dienstleistungen der angegriffenen Marke umfasst sein können.

33

b. Jedenfalls durchschnittliche Ähnlichkeit besteht zwischen den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Waren „Motoren, Maschinenteile aus Metall“ und „Kupplungen und Vorrichtungen zur Kraftübertragung (ausgenommen solche für Landfahrzeuge)“ zu den Waren „Pumpen, Kompressoren und Ventilatoren“ der angegriffenen Marke, weil diese häufig von Motoren angetrieben werden bzw. weil Kupplungen der Kraftübertragung vom Motor zu einer Pumpe dienen (https://de.wikipedia.org/wiki/Pumpe; https://de.wikipedia.org/wiki/Verdichter; https://de.wikipedia.org/wiki/Ventilator). Da die Waren „Kühler für Motoren“ der jüngeren Marke speziell für Motoren bestimmt sind und weil generell Motoren eine Kühlung benötigen, sind diese ebenfalls jedenfalls durchschnittlich ähnlich zu den Waren „Motoren“ der Widerspruchsmarke.

34

Weiter entfernt liegen dagegen die „Industrieroboter“ der angegriffenen Marke; diese werden zwar ebenfalls von Motoren angetrieben. Ihr wesentliches Gepräge erhalten sie aber durch die in der Regel sehr komplexe digitale Steuerung.

35

c. Eine lediglich sehr geringe bis geringe Ähnlichkeit besteht dagegen zwischen den Dienstleistungen der jüngeren Marke in Klasse 42 „wissenschaftliche Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software, insbesondere für die Bereiche Motoren- und Maschinenüberwachung und Motoren- und Maschinenregelung; Fernüberwachung von Computersystemen; Software as a Service [SaaS]“ und den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Dienstleistungen „Beratung bei der Anwendung, der Auswahl und dem Einsatz von Ketten und Zubehör sowie Normalien für den Maschinenbau“. Denn insoweit geht es bei der Widerspruchsmarke um kundenspezifische und individuelle Beratungsdienstleistungen in Bezug auf bestimmte Waren (Ketten und Zubehör sowie Normalien für den Maschinenbau), während die jüngere Marke Dienstleistungen beansprucht, die im Zusammenhang mit Bewertungen, Schätzungen und Untersuchungen sowie mit Computerhard- und -software stehen.

36

2. Die Vergleichswaren richten sich überwiegend an Fachkreise im Bereich Technik, insbesondere in den Bereichen Motoren, Maschinenbau sowie Antriebs- und Fördersysteme. Insoweit ist davon auszugehen, dass diese Fachkreise den angebotenen Waren und Dienstleistungen mit etwas erhöhter Aufmerksamkeit begegnen.

37

3. Die Widerspruchsmarke verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft und damit über einen normalen Schutzumfang.

38

a. Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2017, 75 Rn. 19 – Wunderbaum II; BGH, GRUR 2016, 382 Rn. 31 – BioGourmet).

39

Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH MarkenR 2017, 412 Rdnr. 19 – Medicon-Apotheke/MediCo Apotheke; WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH GRUR 2020, 870 Rn. 41 – INJEX/INJEKT). Wörter, deren begrifflicher Inhalt keinen Bezug zur geschützten Ware oder Dienstleistung aufweist, sind regelmäßig durchschnittlich kennzeichnungskräftig (vgl. BGH GRUR 1999, 990, 992 – Schlüssel).

40

b. Der Schriftzug „Movex“ der Widerspruchsmarke weist keinen direkten beschreibenden Gehalt in Bezug zu den eingetragenen Waren und Dienstleistungen auf, er wirkt deshalb hinreichend phantasievoll und damit durchschnittlich kennzeichnungskräftig.

41

Zwar könnten die angesprochenen Verkehrskreise vermuten, dass dem Zeichen das englische Wort „move“ („Bewegung“, „Schritt“ „(sich) bewegen“) zugrunde liegt, zumal die durch die Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen solche sind, die mehr oder weniger etwas mit Bewegung zu tun haben. „Movex“ ist jedoch durch das Anfügen des Endbuchstabes „x“ am Wortende nicht ohne analytische Gedankenschritte auf die englische Vokabel zurückzuführen, so dass die angesprochenen Verkehrskreise dem Zeichen „Movex“ keinen sofort erfassbaren Sinngehalt zuweisen.

42

c. Anhaltspunkte für eine durch intensive Nutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass im Ergebnis von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen ist.

43

4. Was die Zeichenähnlichkeit betrifft, weisen die Vergleichsmarken jedenfalls in klanglicher Hinsicht keinen so deutlichen Abstand auf wie ihn die Markenstelle angenommen hat. Vielmehr liegt eine jedenfalls durchschnittliche Zeichenähnlichkeit vor.

44

a. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich der jeweilige Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen maßgeblich (vgl. z. B. BGH GRUR 2013, 833, Rn. 45 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Rn. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729, Rn. 23 – MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen. Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Rn. 19 – ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Rn. 28 – THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Rn. 29 – MATRATZEN; BGH GRUR 2015, 1009 Rn. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2010, 235, Rn. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Rn. 32 – METROBUS; GRUR 2006, 60, Rn. 17 – coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 – Zwilling/Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Wahrnehmungsrichtung (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 2015, 1009, Rn. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2015, 1114, Rn. 23 – Springender Pudel; GRUR 2010, 235, Rn. 18 – AIDA/AIDU m. w. N.). Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfasst und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (vgl. BGH in GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m. w. N.).

45

Ausgehend davon kann eine zumindest durchschnittliche Ähnlichkeit der Vergleichszeichen nicht verneint werden.

46

b. Eine (schrift-)bildliche Verwechslungsgefahr ist zwar vorliegend nicht anzunehmen. Beide Zeichen unterscheiden sich bildlich in ihrer Gesamtheit dadurch, dass die jüngere, in den Farben Blau, Grün, Grau, Weiß gehaltene Marke außer den vier Großbuchstaben „MOVE“ einen senkrechten und einen waagerechten Strich sowie eine Amplitude und die Wortbestandteile „Mobility Open minded Vision Electrification“ aufweist, während die Widerspruchsmarke durch den Schriftzug „Movex“ in roter Farbe gebildet wird.

47

Auch wenn der Bestandteil „MOVE“ der jüngeren Marke hervorgehoben und gut wahrnehmbar ist, ist bei der Annahme einer Prägung durch einzelne Bestandteile beim bildlichen Gesamteindruck mit der Rechtsprechung zu mehrgliedrigen Marken mit Wort-/Bildbestandteilen Zurückhaltung geboten. Denn hier kann, anders als bei der klanglichen Ähnlichkeit, grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Verkehr bei der rein visuellen Wahrnehmung einer Wort-/Bild-Marke ausschließlich an dem Wort orientiert, ohne den Bildbestandteil in sein Erinnerungsbild aufzunehmen (vgl. BGH GRUR 1999, 241, 244 – Lions, GRUR 2008, 903, 904 Rn. 24 – SIERRA ANTIGUO).

48

Eine (schrift-)bildliche Verwechslungsgefahr scheidet daher angesichts der unterschiedlichen bildlichen Ausgestaltung aus.

49

c. Allerdings besteht eine die Gefahr von Verwechslungen begründende Zeichenähnlichkeit in klanglicher Hinsicht.

50

aa. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit sind die sich gegenüberstehenden Kennzeichen zwar jeweils als Ganzes zu berücksichtigen und in ihrem Gesamteindruck miteinander zu vergleichen. Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Gesamteindrucks schließt es allerdings nicht aus, dass ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Kennzeichens für den Gesamteindruck prägend sein können, den das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft (vgl. EuGH GRUR 2007, 700 Rn. 41 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH GRUR 2008, 905 Rn. 26 – Pantohexal; GRUR 2012, 64 Rn. 14 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2019, 1058 Rn. 34 – KNEIPP, mwN). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen, so dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (BGH GRUR 2010, 729, Nr. 31 – MIXI; GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY).

51

bb. Bei der Ermittlung des klanglichen Gesamteindrucks mehrgliedriger Marken mit Wort-/Bildbestandteilen ist im Regelfall – und so auch hier – davon auszugehen, dass der Verkehr dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl., § 9 Rn. 459; BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT; BPatG 25 W (pat) 16/09 – Chocomels).

52

cc. Vorliegend wird sich der Verkehr bei der Benennung der angegriffenen Marke an dem Element „MOVE“ orientieren und diesem eine prägende Bedeutung zumessen. Die grafischen Bestandteile der Marke (Striche, Amplitude) können nämlich sprachlich nur schwer gefasst werden; die weiteren Wortbestandteile („M obility / O pen minded / V ision / E lectrification“) treten im Vergleich zu dem gut lesbar hervortretenden Bestandteil „MOVE“ deutlich in den Hintergrund. Zudem enthalten sie so viel Text, dass der angesprochene Verkehr sie – entgegen der wenig lebensnahen Auffassung der Markenstelle – nicht zur griffigen Bezeichnung der Marke heranziehen wird. Der Bestandteil „MOVE“ prägt daher die angegriffene Marke in klanglicher Hinsicht.

53

dd. Für den Bestandteil „MOVE“ der angegriffenen Marke kommen zwei Aussprachevarianten in Betracht. Soweit der Verkehr darin das englische Wort „(to) move“ erkennt, wird er dieses Zeichenelement wie „muuv“ aussprechen. Nicht ausgeschlossen ist aber auch eine „deutsche“ Aussprache wie „mo-ve“. Nahegelegt ist diese Sprechweise immerhin durch die weiteren Wortbestandteile „M obility / O pen minded / V ision / E lectrification“, denn insoweit kann „MOVE“ auch als Abkürzung dieser weiteren Bestandteile verstanden werden. Dass diese ihrerseits der englischen Sprache entnommen sind, legt es noch nicht zwingend nahe, auch „MOVE“ englisch auszusprechen, steht einer deutschen Aussprache jedenfalls nicht entgegen.

54

ee. Jedenfalls bei einer deutschen Aussprache von „MOVE“ kommen sich die Vergleichszeichen klanglich so nahe, dass eine zumindest durchschnittliche Zeichenähnlichkeit nicht in Abrede gestellt werden kann.

55

Die Vergleichszeichen stimmen am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang und in der Lautfolge „m-o-v-e“ identisch überein. Gleiches gilt für die Silbengliederung und die Betonung. Zwar mag auch der scharfe Zischlaut „x“ (phonetisch „ks“) am Ende der Widerspruchsmarke von den Verkehrskreisen wahrgenommen werden. Allerdings beeinflusst die Abweichung am Wortende der Widerspruchsmarke das Gesamtklangbild nicht so nachhaltig, dass von einem deutlichen Abstand zwischen den Markenwörtern ausgegangen werden könnte. Angesichts der Gemeinsamkeiten im Klangbild beider Markenwörter verbleibt es vielmehr bei einer durchschnittlichen Ähnlichkeit der Zeichen. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Verkehr die Marken in aller Regel nicht zeitgleich oder in unmittelbarer zeitlicher Abfolge wahrnimmt und seine Auffassung daher erfahrungsgemäß von einem eher undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird.

56

Dabei fallen Übereinstimmungen grundsätzlich stärker ins Gewicht als Abweichungen (vgl. auch Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, 13. Aufl., § 9 Rn. 263).

57

5. Ausgehend von einer durchschnittlichen Zeichenähnlichkeit kann dann aber in der Gesamtabwägung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr maßgeblichen Faktoren angesichts der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bei jedenfalls durchschnittlicher Ähnlichkeit der Vergleichswaren eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken nicht verneint werden. Die jüngere Marke wahrt den erforderlichen Abstand zur älteren Unionsmarke daher im tenorierten Umfang nicht, so dass insoweit der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen war.

58

C. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.