Beschluss des BPatG München 1. Senat vom 14.09.2023, AZ 1 W (pat) 11/23

BPatG München 1. Senat, Beschluss vom 14.09.2023, AZ 1 W (pat) 11/23, ECLI:DE:BPatG:2023:140923B1Wpat11.23.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung …

(hier: Rechercheantrag)

hat der 1. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 14. September 2023 durch die Präsidentin Dr. Hock, den Richter Schell und die Richterin Lachenmayr-Nikolaou beschlossen:

1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Juni 2023 wird aufgehoben.

2. Die von der Anmelderin beantragte Recherche nach § 43 PatG ist noch vor Ablauf der Prioritätsfrist durchzuführen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin hat am 2. November 2022 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung „…“ eingereicht und zugleich Rechercheantrag nach § 43 PatG gestellt.

2

Mit Bescheid vom 8. November 2022 hat das DPMA der Anmelderin mitgeteilt, dass ihr Antrag auf Recherche nach § 43 PatG wirksam sei.

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Am 28. Dezember 2022 hat die Beschwerdeführerin eine weitere deutsche Patentanmeldung eingereicht und für diese die innere Priorität der vorliegenden Anmeldung in Anspruch genommen.

4

Mit Beschluss vom 22. Juni 2023 hat die Prüfungsstelle 22 des DPMA festgestellt, dass die Anmeldung … wegen Inanspruchnahme der inneren Priorität gem. § 40 (5) PatG seit dem 28. Dezember 2022 als zurückgenommen gelte. Der Eintritt der Rücknahmefiktion führe zur Einstellung des Rechercheverfahrens, so dass der beantragte Recherchebericht nicht ausgestellt werden könne.

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Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde.

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Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des Bundespatentgerichts 5 W (pat) 32/88 sei entgegen der Ansicht des DPMA auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Trotz Eintritts der Rücknahmefiktion dauere die prioritätsbegründende Wirkung der Anmeldung an und die zu ihr beantragte Recherche bleibe für das weitere Verfahren und mögliche Nachanmeldungen im Ausland von Bedeutung. Die Anmelderin habe eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie weiterhin an einem Schutz für die Erfindung interessiert sei und daher die Kenntnis des Rechercheergebnisses weiterhin für sie von Wichtigkeit sei.

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Mit Eingaben vom 7. und 11. September 2023 hat die Anmelderin ergänzend zu ihrem Rechtsschutzinteresse an der Durchführung der Recherche noch vor Ablauf der 12-monatigen Prioritätsfrist vorgetragen, dass die verfahrensgegenständliche Anmeldung und die Nachanmeldung zwar wesensgleich seien – während die prioritätsbegründende Anmeldung aber quasi die Basis der betreffenden Erfindung beinhalte, weise die Nachanmeldung demgegenüber in einigen Punkten bereits gewisse Weiterentwicklungen der Erfindung auf. Deshalb sei für die Anmelderin gerade das Rechercheergebnis zu der prioritätsbegründenden Anmeldung von besonderem Interesse. Das Rechercheergebnis habe unmittelbar Auswirkung auf die Entscheidung der Anmelderin über das weitere Schicksal der Nachanmeldung sowie im Hinblick auf geplante Auslandsanmeldungen. Die Anmelderin melde ihre Erfindungen regelmäßig zunächst beim DPMA zum Patent oder seltener auch zum Gebrauchsmuster an, um dann basierend auf den nach diesseitiger Erfahrung stets hervorragenden Recherchen des Amtes eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen. Bei positivem Rechercheergebnis folgten in der Regel Nachanmeldungen beim Europäischen Patentamt, in China sowie in Japan und/oder Korea. Die Anmelderin wende für Ihre Nachanmeldungen somit erhebliche Kosten auf, die nicht zuletzt auch von dem Rechercheergebnis zur prioritätsbegründenden Anmeldung abhängig seien. Die Anmelderin habe deshalb ein großes Interesse daran, dass der Recherchebericht noch vor Ablauf der Prioritätsfrist erstellt werde.

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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Durchführung der Recherche nach § 43 PatG anzuordnen.

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Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

11

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die zu der verfahrensgegenständlichen Anmeldung wirksam beantragte Recherche nach § 43 PatG ist trotz des Eintritts der Rücknahmefiktion nach § 44 (5) PatG durchzuführen, da die Anmelderin ein besonderes Rechtsschutzinteresse am Erhalt des Rechercheergebnisses dargelegt hat.

12

Zu der Frage, ob die wirksam beantragte Patentrecherche auch noch nach Eintritt der Rücknahmefiktion gem. § 40 (5) PatG durchzuführen ist oder nicht, wird in der Kommentarmeinung übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass dies „wohl zu verneinen“ sei (vgl. Benkard/Schäfers/Schacht, PatG, 12. Aufl. 2023, § 43 Rn. 46). Denn nach der gesetzlichen Regelung des § 43 PatG setze die Recherche eine anhängige Anmeldung voraus. Aufgrund der systematischen Einbindung des § 43 PatG in das Patenterteilungsverfahren sei davon auszugehen, dass der Rechercheantrag mit dem fiktiven Wegfall der Anmeldung, auf die er sich beziehe, gegenstandslos werde.

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Der Senat folgt dieser Wertung nicht, wenn – wie im vorliegenden Fall – auch noch nach Eintritt der Rücknahmefiktion des § 40 (5) PatG ein anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse der Anmelderin an der Durchführung der Recherche besteht.

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Die systematische Einordnung des § 43 PatG in das Patenterteilungsverfahren lässt keineswegs zwingend den Rückschluss darauf zu, dass der wirksam gestellte Rechercheantrag gegenstandslos wird, wenn die Patentanmeldung nach Abgabe der Prioritätserklärung gemäß § 40 (5) PatG als zurückgenommen gilt. Zum einen ist das Rechercheverfahren nach § 43 PatG selbständig und kein notwendiger Bestandteil des Patenterteilungsverfahrens, wie es bspw. das dem Untersuchungsgrundsatz unterliegende Prüfungsverfahren nach § 44 PatG ist (vgl. hierzu BPatG, GRUR 1990, 513, 514 – Rechercheantrag). Zum anderen bezieht sich der Wortlaut des § 43 (1) S. 1 PatG, der von der „angemeldeten Erfindung“ spricht, lediglich darauf, dass ein Rechercheantrag nur wirksam gestellt werden kann, solange die Patentanmeldung anhängig ist. Dass dies vorliegend der Fall war, hat das DPMA der Anmelderin mit Bescheid vom 8. November 2022 bestätigt.

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Für die Beantwortung der vorliegend verfahrensgegenständlichen Frage darf zudem nicht unberücksichtig bleiben, dass die prioritätsbegründende Wirkung der Anmeldung auch noch nach Eintritt der Rücknahmefiktion des § 40 (5) PatG innerhalb der ersten 12 Monate nach ihrer Anmeldung bestehen bleibt (§ 40 PatG). Der Anmeldung kommt somit auch noch nach Eintritt der Rücknahmefiktion eine rechtlich relevante Wirkung zu, aus der sich ein anerkennenswertes Interesse an der Durchführung der Recherche ergeben kann. Da die Folgeanmeldung, welche die Priorität der früheren Anmeldung in Anspruch nimmt, mit dieser nicht völlig identisch sein, sondern sich regelmäßig in einzelnen Ansprüchen und/oder Ausführungsformen der Erfindung unterscheiden wird, erscheint das Bestehen eines rechtlich relevanten Interesses an der Durchführung der wirksam beantragten Recherche zu der früheren Anmeldung unter diesem Gesichtspunkt nicht fernliegend (so auch für Patentanmeldungen bereits BPatG, GRUR 1990, 513, 514 – Rechercheantrag). Wegen der Inanspruchnahme der Priorität kann die Bedeutung der Recherche für die spätere Anmeldung sogar sehr groß sein, wie dies auch die Anmelderin im vorliegenden Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat, zumal – worauf auch die Anmelderin zu Recht hingewiesen hat – die Recherchenberichte des DPMA aufgrund ihrer hohen Qualität allgemein anerkanntermaßen zum Goldstandard auf diesem Gebiet gehören.

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Kann daher die Anmelderin nach Eintritt der Rücknahmefiktion des § 40 (5) PatG ein konkretes, anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse an dem Erhalt des Rechercheberichts darlegen, so erscheint es sachgerecht, ihr einen Anspruch auf nachträgliche Durchführung der Recherche zuzugestehen. Dies steht weder im Widerspruch zu dem Gesetzeswortlaut des § 43 PatG noch wird dadurch die mit der Einführung der Regelung des § 40 (5) PatG verfolgte Zielsetzung infrage gestellt, wonach das DPMA nicht der Doppelbelastung ausgesetzt sein sollte, die sich aus der Durchführung zweier eigenständiger Erteilungsverfahren (für die prioritätsjüngere und für die Folgeanmeldung) ergeben würde (vgl. hierzu BGH, NJW 1989, 1676, 1678 – Wassermischarmatur). Denn der Aufwand für die Durchführung einer isolierten Recherche nach § 43 PatG ist mit dem Aufwand einer parallelen Durchführung eines zusätzlichen Erteilungsverfahrens nicht vergleichbar, sondern ungleich geringer. Die Bejahung eines anerkennenswerten Rechtsschutzbedürfnisses an der Durchführung der Recherche vor Ablauf des Prioritätsjahres erscheint somit auch verhältnismäßig im Hinblick auf die damit verbundene Belastung des DPMA.

17

Die Anmelderin hat im vorliegenden Fall ein rechtlich relevantes Interesse an der nachträglichen Durchführung der Recherche hinreichend substantiiert dargelegt und vorgetragen, aus welchen konkreten Gründen der Durchführung der Amtsrecherche zur prioritätsbegründenden Anmeldung noch vor Ablauf des Prioritätsjahrs für sie eine besonders große Bedeutung zukommt.

18

Der angefochtene Beschluss war deshalb antragsgemäß aufzuheben und die Durchführung der Recherche anzuordnen.

19

Die Aufhebung betrifft den Beschluss in seiner Gesamtheit. Zwar enthält dieser im Tenor einleitend neben den Feststellungen hinsichtlich des Rechercheantrags auch die – zutreffende – Feststellung, dass die Anmeldung wegen Inanspruchnahme der inneren Priorität gem. § 40 (5) PatG seit dem 28. Dezember 2022 als zurückgenommen gelte. Inhaltlich hat die Prüfungsstelle mit dem angegriffenen Beschluss jedoch über den Rechercheantrag der Anmelderin vom 2. November 2022 entschieden, während die einleitende Feststellung zur Rücknahmefiktion hinsichtlich der Anmeldung lediglich eine Begründung der weiteren Feststellungen zum Rechercheantrag darstellt. Daher war der angefochtene Beschluss insgesamt aufzuheben.

20

Diese Entscheidung konnte im schriftlichen Verfahren ergehen (§ 78 PatG).