Urteil des BPatG München 7. Senat vom 02.08.2023, AZ 7 Ni 10/21

BPatG München 7. Senat, Urteil vom 02.08.2023, AZ 7 Ni 10/21, ECLI:DE:BPatG:2023:020823U7Ni10.21.0

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent 10 2015 119 240

hat der 7. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2023 durch die Vorsitzende Richterin Kopacek, die Richterin Püschel sowie die Richter Dipl.-Ing. Wiegele, Dr.-Ing. Schwenke und Dipl.-Chem. Dr. Deibele

für Recht erkannt:

I. Das deutsche Patent 10 2015 119 240 wird für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des deutschen Patents 10 2015 119 240 (Streitpatent). Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des Streitpatents, das am 9. November 2015 angemeldet worden und dessen Erteilung am 30. März 2017 veröffentlicht worden ist; eine Priorität wird nicht beansprucht. Es trägt die Bezeichnung „Automatisches Detektieren und robotergestütztes Bearbeiten von Oberflächendefekten“ und umfasst in der erteilten Fassung 17 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind; die Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 sind nebengeordnet. Patentanspruch 1 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10 beziehen sich auf ein Verfahren zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche. Patentanspruch 11 bezieht sich auf ein System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche. Patentanspruch 12 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 13 bis 16 beziehen sich auf ein Verfahren zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks. Patentanspruch 17 bezieht sich auf ein System zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks.

2

Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 lauten wie folgt:

3

1. Verfahren zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das Verfahren weist auf:

4

optische Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i);

5

dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

6

Ermitteln der Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i);

7

Ermitteln eines Parametersatzes (P
i), welcher den zumindest einen Defekt (D
i) charakterisiert;

8

Kategorisieren des zumindest einen Defekts (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i), wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

9

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i), wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

10

Ermitteln einer Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10);

11

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i).

12

11. System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das System umfasst:

13

optisches Inspektions- und Messsystem zur Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i) sowie zur dreidimensionalen Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

14

mindestens einen Industrieroboter zur Bearbeitung der Werkstückoberfläche; und

15

eine Datenverarbeitungsanlage, welche dazu ausgebildet ist:

16

die Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i) zu ermitteln;

17

einen Parametersatz (P
i) zu ermitteln, welcher den zumindest einen Defekt (D
i) charakterisiert;

18

den zumindest einen Defekt (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i) zu kategorisieren, wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

19

einen in einer Datenbank hinterlegten Bearbeitungsprozess (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) auszuwählen, wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

20

eine Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10) zu ermitteln; und

21

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) durch mindestens einen Industrieroboter zu erstellen.

22

12. Verfahren zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks (10); das Verfahren weist auf:

23

Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

24

Ermitteln einer dreidimensionalen Topographie der lokalisierten Defekte (D
i);

25

Kategorisieren von zumindest einem lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie;

26

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i)

27

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses.

28

17. System zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks; das System weist auf:

29

ein optisches Inspektionssystem zum Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

30

eine Datenverarbeitungsanlage die dazu ausgebildet ist:

31

eine dreidimensionale Topographie der lokalisierten Defekte (D
i) zu ermitteln;

32

zumindest einen lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie einer Defektkategorie zuzuordnen;

33

abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) einen Bearbeitungsprozesses Rj) auszuwählen; und

34

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses zu erstellen.

35

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 10 und 13 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift DE 10 2015 119 240 B3 Bezug genommen.

36

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit den Hilfsanträgen 1 bis 3 (siehe unten).

37

Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).

38

Sie bezieht sich zur Stützung ihres Vorbringens u. a. auf folgende von ihr eingereichte Druckschriften und Dokumente:

39

NK3 Auszüge aus B. Jähne et al., „Technische Bildverarbeitung – Maschinelles Sehen“, 1996, mit bibliographischen Angaben, Vorwort und Inhaltsverzeichnis, sowie die S. 102f.;

40

NK4 Auszüge aus B. Metheit, „Lackleitfaden – Lackierfehler und Lackschäden“, 4. Aufl., 2013, mit bibliographischen Angaben, Vorwort und Inhaltsverzeichnis, sowie die S. 142f., 158 bis 161, 164f., 170 bis 177, 180f., 266 bis 271 und 274f. und Quellennachweis auf S. 360;

41

NK5 /
D3  US 2003/0139836 A1

42

NK6 (1) / D13 P. S. Ogun et al., “An active three-dimensional vision system for automated detection and measurement of surface defects”, Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part B: Journal of Engineering Manufacture, 2014, Vol. 228 (12), S. 1543 bis 1549;

43

NK6 (2) Gutachten von Herrn Prof. Dr. O…, zu “Photometrisches Stereo (PS)” und “Segmentierung”, vom 8. Februar 2023;

44

NK7 Auszug der Internetseite der Universität S… zu Herrn Prof. em. O…;

45

NK8 Anlagenkonvolut mit: Anmeldebestätigung für Herrn Dr. V…, Teilnehmerliste und Ankündigung im Internet zum Cluster-Workshop “Optische 3D-Messtechnik in der industriellen Produktion” am 21. März 2013 in O1…, veranstaltet von der Cluster Offensive Bayern, C… e.V., A…;

46

NK9 Anlagenkonvolut mit: Bewertungsbogen für den Clusterworkshop “Optische 3D-Messtechnik in der industriellen Produktion”. zu u.a. dem Vortrag von Dr. K… (s. unter D14) und Informationsblatt zum Vortragenden, sowie als D14;

47

D14 Vortragsfolien (“slides”), 16 Seiten, zum Vortrag “Roboterbasierte 3D Lackfehlerkontrolle in der Automobilindustrie auf Basis von phasenschiebender Deflektometrie” von Dr. K…, M…GmbH Co. KG, O1… (mit Seitenzahlen versehene Kopie vom Senat übergeben in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2023);

48

NK11 Sun, Jiuai et al., “Object surface recovery using a mult-light photometric stereo technique for non-Lambertian surfaces subject to shadows and specularities”, Image and Vision Computing 25 (2007), S. 1050-157.

49

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand der Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift D3 (Anlage NK5) in Verbindung mit der Druckschrift D13 (Anlage NK6), unter Berücksichtigung des durch die Druckschriften NK3 und NK4 dokumentierten Fachwissens. Das gleiche gelte ausgehend von der Druckschrift D3 in Verbindung mit dem öffentlich am 21. März 2013 gehaltenen Vortrag “Roboterbasierte 3D Lackfehlerkontrolle in der Automobilindustrie auf Basis von phasenschiebender Deflektometrie”, dessen Inhalt sich aus Dokument D14, das die damaligen Vortragsfolien („slides“) beinhalte, ergebe.

50

Ausgehend von D3 sehe sich der Fachmann vor das Problem gestellt, die automatische Detektion von Oberflächendefekten und deren Ausbesserung mit Hilfe von Robotern unter Anpassung der Bearbeitung an die Art (die Ausprägung) der Oberflächendefekte im Rahmen der robotergestützten Reparatur vor dem Hintergrund des aus dem Stand der Technik bekannten optischen Inspektions- und Messsystems für die optische Inspektion der Oberfläche zur Defektdetektion nach der D3 so weiter zu entwickeln, dass neben der Größe und der Position der Defekte weitere Informationen im Hinblick auf die Ausprägung, also die Art bzw. den Typ der Defekte gewonnen würden und dadurch die robotergestützte Reparatur noch besser an die Art der Defekte angepasst werden könne. Da der Fachmann wisse, wie die NK3 und NK4 belegten, dass es dreidimensional ausgeprägte Defektkategorien gebe, deren Behebung abhängig von ihrer jeweiligen dreidimensionalen Ausprägung eines hierzu geeigneten Bearbeitungsprozesses bedürfe, werde er bestrebt sein, Informationen im Hinblick auf die dreidimensionale Ausprägung der Defekte zu gewinnen. Bei der Suche werde er auf die auf dem Gebiet der Oberflächendetektion liegende D13 treffen und die für den Serienbetrieb in der Lackiererei, also die zur Detektion von Defekten innerhalb der dort üblichen Taktzeiten geeignete, da effektive Lehre der D13 aufgreifen und zu derjenigen der D3 kombinieren und so zum Gegenstand der Patentansprüche 1 und 12, bzw. 11 und 17 des Streitpatents gelangen.

51

In Ergänzung ihres Vortrags führt die Klägerin nach dem qualifizierten Hinweis die D14 als weitere Entgegenhaltung ein und trägt dazu vor, es handle sich um die Vortragsfolien („slides“) eines öffentlichen Vortrags, der am 21. März 2013 bei der M1… GmbH im Rahmen eines sogenannten Clusterworkshops “Optische 3D-Messtechnik in der industriellen Produktion” des Vereins C… e.V., A…, gehalten worden sei.

52

Aufgrund der im Internet zu entnehmenden öffentlichen Ankündigung (s. Anlagenkonvolut NK8) habe sich jeder Interessierte zu dieser Vortragsveranstaltung anmelden können, was der von der Klägerin auch als Zeuge benannte Herr Dr. V… getan habe; er habe auch an der Vortragsveranstaltung teilgenommen. Diese Vortragsveranstaltung habe keinem Geheimhaltungsvorbehalt unterlegen. Diese Behauptungen sowie die Tatsache, dass es sich bei den Vortragsfolien (D14) um den Inhalt des am 21. März 2013 von Dr. K… gehaltenen Vortrags handelt, stellt die Klägerin unter Zeugenbeweis.

53

Da der Vortragsinhalt bereits am 21. März 2013 der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei, gehöre er zum Stand der Technik gegenüber dem Streitpatent. Mit näheren Ausführungen trägt die Klägerin vor, dass die D14 die Merkmale M1.3, M1.4 und M1.6 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents zeige. Entsprechendes gelte für die Merkmale M11.3, M11.5.1 und M11.5.3 des Patentanspruchs 11, die Merkmale M12.3 und M12.4 des Patentanspruchs 12 sowie für die Merkmale M17.3.1 und M17.3.2 des Patentanspruchs 17 des Streitpatents. Damit zeige die D14 alle die Merkmale, die in der D3 zum Streitpatentgegenstand fehlten. Der Fachmann könne daher im Wege einer Kombination der Lehren der D3 und der D14 zum Gegenstand der Patentanspruchs 1 gelangen, entsprechendes gelte für die nebengeordneten Ansprüche des Streitpatents. Zu einer solchen Kombination habe der Fachmann auch Anlass gehabt. Ausgehend von der D3 sehe sich der Fachmann wiederum vor das Problem gestellt, die automatische Detektion von Oberflächendefekten und deren Ausbesserung mit Hilfe von Robotern unter Anpassung der Bearbeitung an die Art (Ausprägung) der Oberflächendefekte im Rahmen der robotergestützten Reparatur so weiter zu entwickeln, dass neben der Größe und der Position der Defekte weitere Informationen im Hinblick auf die Ausprägung, also die Art bzw. den Typ der Defekte gewonnen werde, um dadurch die robotergestützte Reparatur noch besser an die Art der Defekte anpassen zu können. Der Fachmann, der bestrebt sei, Informationen im Hinblick auf die dreidimensionale Ausprägung der Defekte zu gewinnen, um dadurch die robotergestützte Reparatur noch besser an die so dreidimensional bestimmte Art der Defekte anpassen zu können, werde auch auf die auf dem Gebiet der Oberflächendetektion von lackierten Karosserieoberflächen liegende D14 treffen, die ihm die gesuchte effektive dreidimensionale Vermessung von Oberflächendefekten durch ein zweistufiges Verfahren (2D-Detektion von Defekten gefolgt von 3D-Vermessung der Defekte zur Ermittlung ihrer Topographie) zeige.

54

Damit ergebe sich der Gegenstand des Streitpatents in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, sei es durch eine Kombination der D3 mit D13, sei es durch eine Kombination der D3 mit D14.

55

Des Weiteren trägt die Klägerin mit näheren Ausführungen vor, dass auch die Gegenstände der abhängigen Patentansprüche 2 bis 10 und 13 bis 16 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die isolierte Verteidigung aller Unteransprüche geltend gemacht habe, sei dies schon mangels Bestimmtheit für unzulässig zu erachten.

56

Der Gegenstand des von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15. März 2023 eingereichten Hilfsantrags sei ebenfalls nicht patentfähig; nach Angaben der Beklagten solle er zudem nur der Klarstellung des Streitpatentgegenstandes dienen, was jedoch unzulässig sei. Darüber hinaus sei der gesamte Vortrag der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 15. März 2023 als verspätet zurückzuweisen. Denn der Senat habe den Parteien im qualifizierten Hinweis vom 17. Januar 2023 aufgegeben, die daraufhin ergehenden Schriftsätze von Anwalt zu Anwalt zuzustellen, § 195 ZPO. Die im gerichtlichen Hinweis gesetzte Frist sei zwar für die Parteien auf 15. März 2023 verlängert worden; die Klägerin habe den Schriftsatz der Beklagten vom 15. März 2023 aber an diesem Tag nur per einfacher E-Mail erhalten, erst am 17. März 2023 sei dieser Schriftsatz per Post mit Empfangsbestätigungsverlangen und vorbereitetem Empfangsbekenntnis in der Kanzlei der klägerischen Prozessbevollmächtigten eingegangen. Der Gegenstand des Streitpatents sei auch in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten eingereichten Hilfsanträge 2 und 3 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.

57

Die Klägerin beantragt,

58

das deutsche Patent 10 2015 119 240 für nichtig zu erklären.

59

Die Beklagte beantragt,

60

die Klage abzuweisen,

61

hilfsweise die Klage abzuweisen,

62

soweit sie sich gegen das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 15. März 2023, richtet,

63

weiter hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung einer der Hilfsanträge 2 und 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2023.

64

Des Weiteren verteidigt die Beklagte sämtliche Unteransprüche 2 bis 10, 13 bis 16 isoliert.

65

Gemäß
Hilfsantrag 1 sind die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 11 wie folgt geändert (Abweichungen gegenüber erteilter Fassung unterstrichen), die übrigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 entsprechen der erteilten Fassung:

66

1. Verfahren zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das Verfahren weist auf:

67

optische Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i);

68

dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

69

Ermitteln der Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i);

70

Ermitteln eines Parametersatzes (P
i), welcher die
Topographiedendes zumindest einen Defekt
s (D
i)
charakterisiertbeschreibt;

71

Kategorisieren des zumindest einen Defekts (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i), wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

72

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i), wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

73

Ermitteln einer Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10);

74

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i).

75

11. System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das System umfasst:

76

optisches Inspektions- und Messsystem zur Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i) sowie zur dreidimensionalen Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

77

mindestens einen Industrieroboter zur Bearbeitung der Werkstückoberfläche; und

78

eine Datenverarbeitungsanlage, welche dazu ausgebildet ist:

79

die Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i) zu ermitteln;

80

einen Parametersatz (P
i) zu ermitteln, welcher
die Topographiedendes zumindest einen Defekt
s (D
i)
charakterisiertbeschreibt;

81

den zumindest einen Defekt (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i) zu kategorisieren, wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

82

einen in einer Datenbank hinterlegten Bearbeitungsprozess (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) auszuwählen, wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

83

eine Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10) zu ermitteln; und

84

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) durch mindestens einen Industrieroboter zu erstellen.

85

Gemäß
Hilfsantrag 2 weisen die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 11 dieselben Änderungen wie in Hilfsantrag 1 auf. Darüber hinaus sind die nebengeordneten Patentansprüche 12 und 17, letzterer nunmehr als Patentanspruch 16, wie folgt geändert (Abweichungen gegenüber erteilter Fassung unterstrichen):

86

12. Verfahren zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks (10); das Verfahren weist auf:

87

Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

88

Ermitteln einer dreidimensionalen Topographie der lokalisierten Defekte (D
i);

89

Ermitteln eines Parametersatzes welcher die Topgraphie der lokalisierten Defekte (Di) charakterisiert;

90

Kategorisieren von zumindest einem lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie;

91

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i)

92

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses.

93

16. System zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks; das System weist auf:

94

ein optisches Inspektionssystem zum Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

95

eine Datenverarbeitungsanlage die dazu ausgebildet ist:

96

eine dreidimensionale Topographie der lokalisierten Defekte (D
i) zu ermitteln;

97

einen Parametersatz zu ermitteln, welcher die Topographie der lokalisierten Defekte (Di) charakterisiert;

98

zumindest einen lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie einer Defektkategorie zuzuordnen;

99

abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) einen Bearbeitungsprozesses Rj) auszuwählen; und

100

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses zu erstellen.

101

In der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 entfällt der erteilte Patentanspruch 15, die nachfolgenden Ansprüche sind in ihrer Nummerierung entsprechend angepasst; im Übrigen entsprechen die Ansprüche der erteilten Fassung.

102

Gemäß
Hilfsantrag 3 sind die nebengeordneten Patentansprüche 1, 11, 12 und 17, letzterer nunmehr als Patentanspruch 15, wie folgt geändert (Abweichungen gegenüber erteilter Fassung unterstrichen):

103

1. Verfahren zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das Verfahren weist auf:

104

optische Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i);

105

dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

106

Ermitteln der Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i);

107

Ermitteln eines Parametersatzes (P
i), welcher die
Topographiedendes zumindest einen Defekt
s (D
i)
charakterisiertbeschreibt;

108

Kategorisieren des zumindest einen Defekts (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i), wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

109

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i), wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

110

Ermitteln einer Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10);

111

wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren; und

112

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i).

113

11. System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das System umfasst:

114

optisches Inspektions- und Messsystem zur Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i) sowie zur dreidimensionalen Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

115

mindestens einen Industrieroboter zur Bearbeitung der Werkstückoberfläche; und

116

eine Datenverarbeitungsanlage, welche dazu ausgebildet ist:

117

die Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i) zu ermitteln;

118

einen Parametersatz (P
i) zu ermitteln, welcher
die Topographiedendes zumindest einen Defekt
s (D
i)
charakterisiertbeschreibt;

119

den zumindest einen Defekt (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i) zu kategorisieren, wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

120

einen in einer Datenbank hinterlegten Bearbeitungsprozess (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) auszuwählen, wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

121

eine Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10) zu ermitteln;
und

122

wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren; und

123

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) durch mindestens einen Industrieroboter zu erstellen.

124

12. Verfahren zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks (10); das Verfahren weist auf:

125

Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

126

Ermitteln einer dreidimensionalen Topographie der lokalisierten Defekte (D
i);

127

Kategorisieren von zumindest einem lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie;

128

Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i)

129

computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses
,

130

wobei jedem Bearbeitungsprozess (Rj) mindestens eine Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (Di) bearbeitet werden soll, und wobei eine Bearbeitungsbahn (Xi‘) für den zumindest einen Defekt (Di) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (Xi) auf die Werkstückoberfläche gemäß eines CAD-Modells des Werkstücks (10) ermittelt wird, und

131

wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren.

132

15. System zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks; das System weist auf:

133

ein optisches Inspektionssystem zum Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

134

eine Datenverarbeitungsanlage die dazu ausgebildet ist:

135

eine dreidimensionale Topographie der lokalisierten Defekte (D
i) zu ermitteln;

136

zumindest einen lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie einer Defektkategorie zuzuordnen;

137

abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) einen Bearbeitungsprozesses Rj) auszuwählen; und

138

ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses zu erstellen
;

139

wobei jedem Bearbeitungsprozess (Rj) mindestens eine Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (Di) bearbeitet werden soll, und wobei eine Bearbeitungsbahn (Xi) für den zumindest einen Defekt (Di) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (Xi) auf die Werkstückoberfläche gemäß eines CAD-Modells des Werkstücks (10) ermittelt wird, und

140

wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren.

141

In der Fassung gemäß Hilfsantrag 3 enthält der erteilte Patentanspruch 7 nur noch folgenden Wortlaut „Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5, wobei die Defektebene die Werkstückoberfläche in einem zentralen Punkt des jeweiligen Defekts (Di) tangiert.“ Die erteilten Patentansprüche 13 und 14 sind entfallen, die nachfolgenden erteilten Patentansprüche 15 bis 17 werden mit angepasster Rückbeziehung zu den Patentansprüchen 13 bis 15. Im Übrigen entsprechen die Ansprüche der erteilten Fassung.

142

Die Beklagte bezieht sich zur Stützung ihres Vorbringens u. a. auf folgende von ihr eingereichte Druckschrift:

143

NK10  Zheng Yang, „Schnellere 3D-Messung mit strukturierter Beleuchtung durch bessere Informationseffizienz“, Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Seite 16, 2018.

144

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig, zumindest in der Fassung eines der Hilfsanträge; auch die Merkmale der abhängigen Ansprüche seien nicht nahegelegt, wobei es für zulässig zu erachten sei, sämtliche abhängigen Ansprüche isoliert zu verteidigen.

145

Mit näheren Ausführungen zu den im Einzelnen genannten Merkmalen trägt die Beklagte vor, dass die Kombination der Druckschriften D3 und D13 nicht geeignet sei, den Gegenstand des Streitpatents nahezulegen. Die Kombination der
Ermittlung der Topographie + Kategorisierung des Defekts + Auswahl eines Bearbeitungsprozess-Templates abhängig von der Defektkategorie sei in D3 nicht beschrieben und durch diese auch nicht nahegelegt. D3 lehre keine Zuordnung zu einer Kategorie in Verbindung mit einer vorausgehenden Ermittlung der Topographie der Defekte, sondern lediglich eine Sortierung der detektierten Oberflächendefekte basierend auf deren „Größe, Typ und Position“; eine derartige Sortierung, die die detektierten Defekte lediglich in eine bestimmte Reihenfolge bringe, entspreche jedoch weder dem Wortsinn nach einer Zuordnung zu einer Kategorie, noch könne im Lichte der Streitpatentschrift eine Sortierung als Zuordnung zu einer Kategorie interpretiert werden. Selbst wenn man die Sortierung der Lackdefekte nach Typ als Zuordnung zu einer Kategorie interpretierte, enthalte die D3 keine technische Lehre, diese „Kategorie“, die Sortierung der Lackdefekte, als Grundlage für die Auswahl eines Bearbeitungsprozesses für einen konkreten Lackdefekt zu verwenden. Die D3 erwähne in Absatz [0017] lediglich, dass basierend auf den Lackdefekten eine Reparaturstrategie entwickelt werde, sage aber nicht, dass die Reparaturstrategie abhängig von der zuvor festgestellten Kategorie, welcher der jeweilige Defekt zugeordnet sei, ausgewählt werde. D3 sage auch nicht, dass eine Sortierung der Lackdefekte irgendeinen Einfluss auf die Reparaturstrategie eines konkreten Lackdefekts hätte, im Gegenteil bestehe die technische Lehre der D3 darin, jeden Defekt individuell zu behandeln, s. Absatz [0018]. Die Behandlung des Lackdefekts für jeden bestimmten Defekt zu spezialisieren, sei aber das Gegenteil dessen, was das Streitpatent lehre, denn dort werde die Behandlung gerade nicht speziell an die detektierten Lackdefekte angepasst, sondern es würden alle Defekte einer Kategorie gleichbehandelt, unabhängig davon, wie die konkreten Lackdefekte innerhalb einer Kategorie aussähen. Folglich führe die in D3 enthaltene Lehre von der Lehre des Streitpatents weg.

146

Die von der Klägerin herangezogene Publikation D13 gehe nicht über das hinaus, was in der Streitpatentschrift zum 3D-Messsystem gesagt werde. Gemäß der Streitpatentschrift (Absatz [0029]) werde ein Messsystem eingesetzt, das ein unter dem Namen Deflektometrie bekanntes Messprinzip zur dreidimensionalen Vermessung der Werkstückoberfläche verwende. Die D13 verwende ein – im Kontext der D3 ungeeignetes – alternatives System, trage aber nichts zur technischen Lehre des Streitpatents bei, was über die dreidimensionale Vermessung der Oberfläche zum Zwecke der Ermittlung der Topographie der Lackdefekte hinausgehen würde. Die D13 beschreibe lediglich die „Charakterisierung der Oberflächendefekte“ mittels einer dreidimensionalen Vermessung in Abgrenzung zur einfacheren 2D-Vermessung; die Charakterisierung der Defekte sei die Voraussetzung für die Zuordnung zu einer Kategorie von Defekten, jedoch nicht mit der Kategorie selbst gleichzusetzen. Im Übrigen sei unter praktischen Gesichtspunkten das in D13 beschriebene Messsystem nicht für die Weiterbildung der in D3 beschriebenen Lehre und damit nicht für die automatisierte Erzeugung von Roboterprogrammen für das robotergestützte Ausbessern von Oberflächendefekten geeignet. So lehre die D13 explizit ein zweistufiges Verfahren, welches bei nicht ebenen Flächen eine langsame und aufwendige Segmentierung der Oberfläche erfordere; für Taktzeiten, die bei der automatischen Bearbeitung in einer Roboterzelle erforderlich seien, sei ein solches Verfahren, das zwei getrennte Messverfahren erfordere, nicht geeignet. Zumindest habe der Fachmann keine Veranlassung, von den im nächstliegenden Stand der Technik, der D3, beschriebenen Konzept abzuweichen. Selbst wenn der Fachmann die technische Lehre der D13 für die 3D-Vermessung einer Fahrzeugkarosserie in Betracht ziehen würde, so folge aus der Kombination D3 und D13 immer noch nicht die beanspruchte Kombination, nämlich die Auswahl eines Bearbeitungsprozesses abhängig von einer Defektkategorie, die das Resultat einer zuvor durchgeführten Kategorisierung sei, die basierend auf der zuvor ermittelten Topographie des jeweiligen Defekts bzw. basierend auf einem den jeweiligen Defekt charakterisierenden Parametersatz erfolge.

147

Des Weiteren trägt die Beklagte vor, dass auch eine Kombination von D3 mit D14 nicht geeignet sei, den Gegenstand des Streitpatents nahezulegen. Die Vortragsfolien von Dr. K… gemäß D14 beinhalteten nichts, was nennenswert über das hinausgehe, was im Streitpatent in Bezug auf bekannte Messsysteme zur dreidimensionalen Vermessung von Werkstückoberflächen beschrieben sei, wobei die D14 konkret das in Absatz [0029] der Streitpatentschrift als geeignetes Messsystem erwähnte reflectCONTROL der Beklagten betreffe. Die D14 enthalte keine Aussagen über die Zuordnung von Defekten zu Defektkategorien aufgrund der gemessenen 3D-Topographie und die davon abhängige Auswahl eines Bearbeitungsprozesses. Soweit die Klägerin hinsichtlich des Flussdiagramms auf Seite 6 der D14 bei dem Verfahrensschritt „Defektfilterung“ auf das dort enthaltene Wort „Kategorien“ verweise, handle es sich bei diesen „Kategorien“ im Wesentlichen um eine Gruppe von vier Zahlen, welche lediglich die
Anzahl der Defekte repräsentiere, wobei die spezielle Darstellung von der Automobilindustrie vorgegeben sei, wie beispielsweise die Grafik auf Seite 11 der D14 zeige. So besage die Angabe „1-1-0-1“ links unten in dieser Grafik lediglich, dass in der Baugruppe „Frontklappe“ drei Defekte gefunden worden seien, nämlich ein irrelevanter Defekt (erste Zahl), ein kleiner Defekt (zweite Zahl), kein mittlerer Defekt (dritte Zahl) und ein großer Defekt (vierte Zahl). Da die in D14 bezeichneten Zahlengruppen lediglich die Anzahl der Defekte einer bestimmten Größe zeigten, sei klar, dass diese Zahlengruppen weder von der 3D-Topographie der einzelnen Defekte abhingen noch für die Planung einer Roboterbahn geeignet seien. Die in D14 erwähnte Bahnplanung betreffe im Übrigen die Planung der Roboterbewegung zwischen den einzelnen Defekten; diese werde durchgeführt, um die Defekte (mit Farbe) zu markieren. Eine Bearbeitung der Defekte finde gemäß D14 nicht statt. Auch aus einer Zusammenschau von D3 mit D14 folge daher nicht die Kombination der Messung der dreidimensionalen Topographie mit einer darauf basierenden Zuordnung der detektierten Defekte zu einer Defektkategorie und mit einer von dieser Zuordnung abhängigen Auswahl eines Bearbeitungsprozess-Templates. Die Beklagte stellt ihre Darlegungen zum Inhalt der D14 unter Zeugenbeweis durch den damaligen Vortragenden Dr. K…

148

Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 17. Januar 2023 einen qualifizierten gerichtlichen Hinweis erteilt sowie weitere rechtliche Hinweise in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2023 gegeben.

149

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf deren Schriftsätze mit sämtlichen Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

150

Die Klage auf Nichtigerklärung des Streitpatents ist zulässig und in der Sache begründet.

151

Das Streitpatent erweist sich in der erteilten Fassung als nicht rechtsbeständig, denn der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) liegt vor. Dies gilt ebenso für das Streitpatent in den Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3; die weiter geltend gemachte isolierte Verteidigung aller Unteransprüche ist mangels Bestimmtheit unzulässig.

I.

152

1. Das vorliegende Streitpatent betrifft allgemein das Gebiet der Industrieroboter, insbesondere ein System und ein Verfahren zum automatischen Detektieren von Defekten in Oberflächen (z.B. Lackdefekte einer Automobilkarosserie) und deren robotergestützte Bearbeitung, insbesondere mittels Schleifen oder Polieren (vgl. Abs. [0001] Streitpatent).

153

In der Beschreibung der Streitpatentschrift ist ausgeführt, dass bei einer automatisierten, robotergestützten Fertigung, beispielsweise im Automobilbereich, sich unter anderem das Problem stelle, Defekte in Oberflächen eines Werkstücks (beispielsweise Defekte in einer Lackschicht nach dem Lackieren des Werkstücks) automatisiert zu erkennen und sofern nötig auch mittels Roboter zu reparieren (z.B. durch Schleifen oder Polieren).

154

Systeme und Verfahren zum robotergestützten Detektieren von Oberflächendefekten seien seit einiger Zeit bekannt. So sei aus der Publikation WO 87/00629 A1 eine an einem Roboterarm bewegbare Inspektionsvorrichtung mit einer Beleuchtungs- und einer Kameraeinheit bekannt. Die Kameraeinheit nehme das auf der zu untersuchenden Oberfläche reflektierte Licht der Beleuchtungseinheit auf und identifiziere auf diese Weise Oberflächenfehler.

155

Aus der Druckschrift DE 197 30 885 A1 sei ein Verfahren zum Erkennen von Oberflächenfehlern an Rohkarosserien in einer Portalanlage mit Förderband bekannt, bei dem erkannte Oberflächenfehler in einer nachgeordneten Markiervorrichtung markiert würden. Dazu seien an einem Portal gesteuert bewegbare und auslösbare Markierdüsen angebracht, die mit wasserlöslicher Farbe zur Markierung von relevanten Oberflächenfehlern bestückt seien. Für die Markierdüsen sei eine konturgesteuerte Abstandsanpassung vorgesehen (vgl. Abs. [0002], Streitpatent).

156

Die meisten der heutzutage eingesetzten Systeme beschränkten sich darauf, Oberflächendefekte zu detektieren und zu markieren. Vielfach würden die Defekte dann einzeln von einem Facharbeiter geprüft und manuell ausgebessert.

157

Aus der Publikation US 6,714,831 B2 (Patentschrift zur Druckschrift D3) sei ein System zum Erkennen und Ausbessern von Defekten insbesondere auf lackierten Oberflächen bekannt, bei dem die Positionen der Oberflächendefekte in dem Koordinatensystem des untersuchten Objekts bestimmt, eine Reparaturstrategie entwickelt und aufbauend auf dieser Strategie ein Reparatursystem unter Verwendung der Objektkoordinaten der Positionen der Defekte angesteuert werde. Die „Reparaturstrategie“ umfasse dabei die Wahl des Pfads, entlang dem die Defekte angefahren würden, sowie die Wahl der Werkzeuge und der Roboter.

158

Da jedoch nicht alle Oberflächendefekte auf gleiche Weise behandelt werden könnten und manche Defekte gar nicht behandelt werden müssten, bestehe hier noch Verbesserungsbedarf (vgl. Abs. [0003], Streitpatent).

159

Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe besteht darin, ein Verfahren und ein System zur Verfügung zu stellen, welches in der Lage sei, Oberflächendefekte automatisch zu detektieren und mit Hilfe von Robotern auszubessern. Dabei soll die Bearbeitung der Oberflächendefekte im Rahmen der robotergestützten Reparatur an die Art (die Ausprägung) des Defekts angepasst sein (vgl. Abs. [0004], Streitpatent).

160

Die Aufgabe soll durch die Verfahren gemäß den Patentansprüchen 1 bzw. 12 und durch die Systeme gemäß den Patentansprüchen 11 bzw. 17 gelöst werden.

161

2. Die selbständigen Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 des Streitpatents lauten in gegliederter Fassung:

162

Anspruch 1:

163

M1.1 Verfahren zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das Verfahren weist auf:

164

M1.2 optische Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i);

165

M1.3 dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

166

M1.4 Ermitteln der Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i);

167

M1.5 Ermitteln eines Parametersatzes (P
i), welcher den zumindest einen Defekt (D
i) charakterisiert;

168

M1.6 Kategorisieren des zumindest einen Defekts (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i), wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

169

M1.7 Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i),

170

M1.7.1 wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

171

M1.8 Ermitteln einer Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i)

172

M1.8.1 mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10);

173

M1.9 computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i).

174

Anspruch 11:

175

M11.1 System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche; das System umfasst:

176

M11.2 optisches Inspektions- und Messsystem zur Inspektion der Oberfläche der Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i)

177

M11.3 sowie zur dreidimensionalen Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (D
i);

178

M11.4 mindestens einen Industrieroboter zur Bearbeitung der Werkstückoberfläche;

179

M11.5 und eine Datenverarbeitungsanlage, welche dazu ausgebildet ist:

180

M11.5.1 die Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (D
i) zu ermitteln;

181

M11.5.2 einen Parametersatz (P
i) zu ermitteln, welcher den zumindest einen Defekt (D
i) charakterisiert;

182

M11.5.3 den zumindest einen Defekt (D
i) anhand des ermittelten Parametersatzes (P
i) zu kategorisieren, wobei der Defekt (D
i) einer Defektkategorie (K
j) zugeordnet wird;

183

M11.5.4 einen in einer Datenbank hinterlegten Bearbeitungsprozess (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) auszuwählen,

184

M11.5.4.1 wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

185

M11.5.5 eine Bearbeitungsbahn (X
i‚) für den zumindest einen Defekt (D
i)

186

M11.5.5.1 mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10) zu ermitteln;

187

M11.5.6 und ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) durch mindestens einen Industrieroboter zu erstellen.

188

Anspruch 12:

189

M12.1 Verfahren zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks (10); das Verfahren weist auf:

190

M12.2 Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

191

M12.3 Ermitteln einer dreidimensionalen Topographie der lokalisierten Defekte (D
i);

192

M12.4 Kategorisieren von zumindest einem lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie;

193

M12.5 Auswahl eines Bearbeitungsprozesses (R
j) abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i)

194

M12.6 computergestütztes Erstellen eines Roboterprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses.

195

Anspruch 17:

196

M17.1 System zum automatisierten Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche und Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung des Werkstücks; das System weist auf:

197

M17.2 ein optisches Inspektionssystem zum Lokalisieren von Defekten (D
i) in einer Oberfläche eines Werkstücks (10);

198

M17.3 eine Datenverarbeitungsanlage die dazu ausgebildet ist:

199

M17.3.1 eine dreidimensionale Topographie der lokalisierten Defekte (D
i) zu ermitteln;

200

M17.3.2 zumindest einen lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie einer Defektkategorie zuzuordnen;

201

M17.3.3 abhängig von der Defektkategorie (K
j) des mindestens einen Defekts (D
i) einen Bearbeitungsprozesses (R
j) auszuwählen; und

202

M17.3.4 ein Roboterprogramm zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (D
i) gemäß des ausgewählten Bearbeitungsprozesses zu erstellen.

203

3. Als maßgeblicher Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Hochschulabsolvent der Fachrichtung Automatisierungstechnik bzw. Robotik mit mehrjähriger Berufserfahrung in der industriellen Bildverarbeitung anzusehen, der über vertiefte Kenntnisse in der Nachbearbeitung von insbesondere lackierten Oberflächen im Rahmen industrieller Fertigungsprozesse verfügt.

204

4. Die erfindungsgemäße Lehre ist aus Sicht eines solchen Fachmanns wie folgt weiter zu erläutern:

205

Der Patentanspruch 1 beschreibt Verfahrensschritte, die eine zeitliche Abfolge der Schritte definieren. Dies ergibt sich bereits aus der dort benutzten Formulierung. In Merkmal M1.2 wird eine optische Inspektion der (Werkstück-)Oberfläche zur Detektion von Defekten (D
i) durchgeführt. Eine im Bereich der detektierten Defekte durchgeführte dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (Merkmal M1.3) kann zwangsläufig nur dann durchgeführt werden, wenn die Defekte vorher detektiert wurden. Dies deckt sich mit der Beschreibung des Streitpatents, vgl. den Absatz [0027]:

AbbildungAbbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

206

Das Ergebnis der dreidimensionalen Vermessung ist, vgl. den Absatz [0029], eine Punktwolke (point cloud), welche die dreidimensionale Struktur (die Topographie) des betreffenden Oberflächenbereichs beschreibt. Mittels einer Flächenrückführung könne aus den … Punktwolken für jeden Defektkandidaten auch die Topographie (laterale Ausdehnung, Höhe bzw. Tiefe) des Defektkandidaten in hoher Genauigkeit ermittelt werden. Wie in Absatz [0031] weiter ausgeführt, ist unter der Flächenrückführung eine dreidimensionale Rekonstruktion der Werkstückoberfläche zu verstehen, um die Struktur (Topographie) des Defektkandidaten zu ermitteln. Die dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche im Bereich der detektierten Defekte nach Merkmal M1.4 ist daher so ausgestaltet, dass daraus im Bereich eines Defekts die Topographie der Werkstückoberfläche und daher die dreidimensionale Topographie der lokalisierten Defekte selbst ermittelt wird.

207

Jedem Defekt D
i wird eine Menge P
i charakteristischer Parameter zugeordnet, welche die Topographie des Defekts D
i abstrakt beschreiben, vgl. Absatz [0032]. Der gemäß Merkmal M1.5 ermittelte Parametersatz, welcher den zumindest einen Defekt (D
i) charakterisiert, wird somit aus den ermittelten Topographiedaten des jeweiligen Defekts gebildet. Als Beispiele möglicher Parameter sind im Streitpatent die laterale (entlang der Werkstückoberfläche) Ausdehnung d
i, gegeben durch die Länge eines Kratzers oder den Durchmesser einer Erhöhung, sowie die Ausdehnung t
i normal zur Werkstückoberfläche, gegeben durch die Tiefe des Kratzers oder die Höhe der Erhöhung, genannt. Weiter werden auch als komplexere Parameter, wie die Steilheit eines Defekts oder auch das Verhältnis der Fläche zur Höhe eines Oberflächendefekts, angegeben.

II.

208

Das Streitpatent ist insgesamt für nichtig zu erklären, da die Gegenstände der erteilten unabhängigen Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 nicht patentfähig sind. Dies gilt auch für die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 3.

209

1. Die Gegenstände der erteilten Verfahrensansprüche 1 und 12 sowie der Systemansprüche 11 und 17 für ein automatisiertes Erkennen und robotergestütztes Bearbeiten von Oberflächendefekten sind zwar neu; keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften und Dokumente zeigt deren sämtliche Merkmale, was auch zwischen den Parteien unstrittig ist. Die Gegenstände der Ansprüche 1, 11, 12 und 17 beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

210

a) Die Gegenstände des Verfahrensanspruchs 1 und des Vorrichtungsanspruchs 11 in der erteilten Fassung ergeben sich in naheliegender Weise ausgehend von der Druckschrift NK5/D3 in Verbindung mit der in dem Dokument D14 offenbarten Lehre.

211

Als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sieht der Senat die Druckschrift NK5/D3 (US 2003/0139836 A1, im Folgenden: D3), die mit Ausnahme der Merkmale M1.3, M1.4 und M1.6 die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents offenbart.

212

D3 offenbart im Absatz [0001] und den Ansprüchen 1 und 8 ein Verfahren und ein System zum automatisierten Erkennen und robotergestützten Bearbeiten von Defekten in einer Werkstückoberfläche (Merkmal M1.1 sowie Merkmal M11.1) einer Fahrzeugkarosserie. Das Verfahren weist gemäß Anspruch 1 und der Figur 1 ein „imaging system 12“ auf, mit dem eine optische Inspektion der Oberfläche zur Detektion von Defekten durchgeführt wird (Merkmal M1.2). Das „imaging system 12“ (Merkmal M11.2) macht Aufnahmen, registriert dabei Defekte, vgl. den Absatz [0014], und bildet Daten der Defekte (paint defekt data 14). Wie in Figur 1 dargestellt, weist das System eine Datenverarbeitungsanlage (vision cell controller 18, robot cell controller 24) und einen Industrieroboter (automated robotic repair system 26) auf (Merkmale M11.4 und M11.5).

213

Die von dem „imaging system 12“ ermittelten Daten beinhalten die Größe, den Typ und den Ort eines Defekts („ …, the paint defect data includes the size, type and location of a paint defect.“), vgl. Absatz [0014]. Somit wird ein Parametersatz ermittelt, welcher den zumindest einen Defekt charakterisiert. Entgegen der Auffassung der Beklagten offenbart die Druckschrift D3 somit auch das Merkmal M1.5 sowie das Merkmal M11.5.2. Dem Argument der Beklagten, dieses Merkmal beinhalte, dass der Parametersatz aus der
Topographie des zumindest einen Defekts gebildet werde, kann der Senat nicht beitreten. Es mag sein, dass eine Topographie des zumindest einen Defektes als Ausgangspunkt zur Ermittlung eines Parametersatzes an einigen Stellen des Streitpatents offenbart ist, vgl. die Absätze [0011], [0032] oder Schritt S4 in Figur 3. Jedoch ist die Ermittlung des Parametersatzes nach Merkmal M1.5 bzw. M11.5.2 breiter formuliert, denn dort wird nicht vorgegeben – und ist somit auch nicht entsprechend mit umfasst – anhand welcher Daten der Parametersatz ermittelt bzw. aus welchen er gebildet wird.

214

Wie in den Absätzen [0017] und [0018] der Druckschrift D3 beschrieben und dort durch den Anspruch 1 beansprucht, offenbart diese eine robotergestützte Reparaturstrategie von Lackdefekten. Hierzu ist im Absatz [0017] beschrieben, abhängig von einer Defektkategorie „type“ einen Bearbeitungsprozess durchzuführen („The robot cell controller develops a repair strategy based upon the paint defect data…“) und das abhängig von bekannten Vorgehensweisen („… based on a variety of known approaches toward paint defect data“). Diese so beschriebene Vorgehensweise entspricht nach Auffassung des Senats auch dem fachmännischen Handeln bei bekannten Lackdefekten. Der Fachmann weiß, dass unterschiedliche Lackdefekte unterschiedliche Bearbeitungen notwendig machen. So wird er einen Krater anders bearbeiten als eine Blase bzw. Beule. Lediglich beispielsweise, zum Beleg für dieses Fachwissen, sei auf das Dokument NK4 „Lackleitfaden“ verwiesen. Er wird daher bei der Umsetzung der Lehre der D3, wie sie in Absatz [0017] offenbart ist („The repair strategy may be based on a variety of known approaches toward paint defect repair. This may include path and processing parameters, tools, and robot choice. In addition, the robot cell controller 24 can be assigned a variety of additional tasks in order to improve the operation and functionality of the assembly 10. These additional tasks may include, but are not limited to, generating robot paths and tooling parameters ,…“), jedem Bearbeitungsprozess auch mindestens eine Vorlage einer Bearbeitungsbahn („path“; Absatz [0017]) zuordnen, entlang der der Defekt bearbeitet werden soll und dabei auch die Größe des Defekts berücksichtigen, vgl. Absatz [0018] („Other treatments, particulary suited to a given size or type of paint defect are contemplated.”) (Merkmal M1.7.1 sowie M11.5.4.1). Wie weiter im Absatz [0018] ausgeführt, wird auch der Verlauf der Werkstückoberfläche bei der Ermittlung der vom Roboter anzufahrenden Bahn mitberücksichtigt („One advantage of the present invention is that the automated robot can be programmed to approach the surface of the vehicle body 16 along the normal vector to ensure even forces across the sanding pad or other tool, …. Additionally, as mentioned, inspection and repair masks can be automatically generated from the CAD geometry with precise tolerances around edges and character lines such that the treatment of the paint defect may be specialized for a given defect.”). Somit wird eine Bearbeitungsbahn für den einen Defekt mittels Projektion der mindestens einen Vorlage auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks ermittelt (Merkmale M1.8 und M1.8.1 sowie M11.5.5 und M11.5.5.1). Die in der Druckschrift D3 gezeigte und beschriebene Reparatur-Strategie mittels einer Datenverarbeitungsanlage, vgl. die Ansprüche 1 und 8 sowie die Figuren 1 und 2, offenbart ein computergestütztes Erstellen eines Computerprogramms zur robotergestützten Bearbeitung des zumindest einen Defekts (Merkmal M1.9 sowie M11.5.6).

215

Von der in der Druckschrift D3 offenbarten technischen Lehre unterscheidet sich das Verfahren nach Anspruch 1 bzw. das System nach Anspruch 11 des Streitpatents in der erteilten Fassung darin, dass dieses die Merkmale

216

· dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels optischer Sensoren (21, 22, 23) im Bereich detektierter Defekte (Di) (Merkmal M1.3 bzw. M11.3),

217

· Ermitteln der Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt (Di) (Merkmal M1.4 bzw. M11.5.1) und

218

· Kategorisieren des zumindest einen Defekts (Di) anhand des ermittelten Parametersatzes (Pi), wobei der Defekt (Di) einer Defektkategorie (Kj) zugeordnet wird (Merkmal M1.6 bzw. M11.5.3)

219

aufweist.

220

Die vorstehenden Merkmale sind in dem Dokument D14 offenbart, das zum maßgeblichen Stand der Technik gehört. Es ist davon auszugehen, dass die Vortragsfolien gemäß D14 ein vorveröffentlichtes Dokument darstellen.

221

Bei den Vortragsfolien gemäß dem Dokument D14 handelt es sich um eine Präsentation zu dem Vortrag “Roboterbasierte 3D Lackfehlerkontrolle in der Automobilindustrie auf Basis von phasenschiebender Deflektometrie”, gehalten von Dr. K…, im Rahmen eines frei zugänglichen Clusterworkshops „Optische 3D-Messtechnik in der industriellen Produktion“ am 31. März 2013 in O1… Die von der Klägerin zu Zeit, Ort und sonstigen Umständen der Vortragsveranstaltung vorgetragenen Tatsachen sind von der Beklagten nicht bestritten und auch der Senat hat angesichts der von der Klägerin eingereichten Anlagen keine Zweifel daran. Eine Beweisaufnahme hat der Senat daher für nicht erforderlich erachtet. Soweit es im Übrigen um das Verständnis der aus D14 zu entnehmenden Lehre geht, kommt eine Beweisaufnahme schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei der Frage der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Entgegenhaltung um eine Rechtsfrage handelt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 4. Februar 2020, X ZR 3/18, Rn. 66 f.).

222

D14 betrifft ein „reflectCONTROL“ genanntes Bildgebungsverfahren der Firma M…, vgl. die Seite 1, obere Folie, für eine roboterbasierte 3D Lackfehlerkontrolle in der Automobilindustrie auf Basis von phasenschiebender Deflektometrie (Teilmerkmal von M1.1 sowie Teilmerkmal von M11.1). Zur Detektion von Defekten wird eine optische Inspektion der Werkstückoberfläche durch ein Kamerasystem durchgeführt, vgl. die Seite 2 unteres Bild: „Messprinzip“ (Merkmal M1.2 sowie Merkmal M11.2). Weiter findet eine dreidimensionale Vermessung der Werkstückoberfläche mittels der optischen Sensoren im Bereich detektierter Systeme statt (Merkmal M1.3 sowie Merkmal M11.3). Von der Eignung und der Bekanntheit des Messsystems „reflectCONTROL“ zur dreidimensionalen Vermessung geht auch bereits das Streitpatent aus, das in den Absätzen [0029] und [0031] auf dieses Messsystem verweist. Aus dem Ablauf des beschriebenen Bildgebungsverfahrens, vgl. Seite 6, oberes Bild: „RC-Robotic: Ablauf“, ist ersichtlich, dass ausgehend von den aufgenommenen Bildern eine automatische Defekterkennung stattfindet, gefolgt von einer Defektfilterung. Die Ergebnisse der Erkennung und Filterung sind zum Beispiel auf den beiden Bildern der Seite 10 „3D Rekonstruktion“ dargestellt. Diese zeigen die ermittelte Topographie der Werkstückoberfläche im Bereich von zumindest einem Defekt, denn die Bilder „Reconstruction“ enthalten farbige Abstufungen, die für den Fachmann unmittelbar und eindeutig erkennbar eine Darstellung von vorliegenden Höhenwerten in z- Richtung darstellen. Auch sind jeweils in der unteren Grafik Höhenlinien des ermittelten Defekts im Schnitt dargestellt (Merkmal M1.4 sowie Merkmal M11.5.1). Aus diesen Messergebnissen entnehmbar sind Größen des Lackfehlers, angegeben sind hierzu der Durchmesser und die Tiefe bzw. Höhe. Wie dort weiter dargestellt, sind den ermittelten dreidimensionalen Topographien auch Lackfehlertypen, hier „Krater“ und „Beule“, zugeordnet. Es ergeben sich aus diesem Bildgebungsverfahren somit die Größe, die Art des Lackfehlers, die Lage, vgl. Seite 11, obere Folie sowie die Topographie der ermittelten Lackfehler. Somit sind durch die dreidimensionalen Aufnahmen auch Parametersätze ermittelt, die die ermittelten Defekte charakterisieren (Merkmal M1.5 sowie Merkmal M11.5.2). Anhand des ermittelten Parametersatzes wird der Defekt einer Defektkategorie zugeordnet. In diesem Zusammenhang sieht der Senat die Grafik mit der zugehörigen Tabelle auf der Seite 11 als wesentlich an. Unstrittig zwischen den Beteiligten, und wie von der Beklagten selbst vorgetragen, handelt es sich bei den dort angegebenen Zahlen um die Anzahl der Fehler in entsprechenden Bereichen der Karosserie und zwar eingeteilt, abhängig von ihren detektierten Größen. Abweichend von der Auffassung der Beklagten sieht der Senat jedoch darin nicht nur eine Angabe der Anzahl der ermittelten Defekte. Denn wenn die ermittelten Defekte, nach übereinstimmender Angabe der Beteiligten, vier unterschiedlichen Gruppen zugeordnet werden und zwar in irrelevante, kleine, mittlere und große Lackfehler, dann handelt es sich bei einer derartigen Zuordnung nach Ansicht des Senats um eine Kategorisierung im Sinne des Anspruchs 1. Denn derartige Zuordnungen der Defekte können nur anhand der ermittelten Parametersätze durchgeführt werden. Ein solches Verständnis steht im Einklang mit dem Begriffsverständnis von „Kategorisierung“ in der Streitpatentschrift, vgl. den Absatz [0034] des Streitpatents, in dem die Kategorisierung beschrieben wird. Dort wird die Kategorisierung der Defekte nach Größenkategorien („z. B. sehr klein, klein, mittel, groß“) und Unterscheidung der „Fehler nach Ausdehnung normal zur Werkstückoberfläche“ (Erhöhung, Krater) genannt. Somit ist auch die Angabe des Defekttyps „Krater“ und „Beule“ auf den Bildern der Seite 10 der D14 bereits eine streitpatentgemäße Kategorisierung, denn diese Zuordnung kann nur aus dem Parametersatz durchgeführt werden, der durch die 3D Vermessung ermittelt wird (Merkmal M1.6 sowie Merkmal 11.5.3).

223

Ausgehend von der in der Druckschrift D3 beschriebenen technischen Lehre hat der Fachmann, der bestrebt ist, Detektion und Bearbeitung von Lackfehlern auf Oberflächen zu optimieren, Anlass, im Stand der Technik nach ähnlichen Verfahren und Systemen mit vergleichbaren Eigenschaften zu suchen und hierbei insbesondere neuere Entwicklungen zu berücksichtigen, die eine weitere Verbesserung erwarten ließen, wie hier die der D14 entnehmbare Lehre.

224

Wie oben ausgeführt, beschreibt und zeigt die Druckschrift D3 eine Reparaturstrategie mittels einer Datenverarbeitungsanlage. Von der dort offenbarten technischen Lehre unterscheidet sich das Verfahren nach Anspruch 1 bzw. das System nach Anspruch 11 des Streitpatents, wie ebenfalls oben ausgeführt, durch die Merkmale M1.3 bzw. M11.3, M1.4 bzw. M11.5.1 und M1.6 bzw. M11.5.3.

225

Wie zu dem Dokument D14 ausgeführt, offenbart dieses eine dreidimensionale Vermessung gemäß den Merkmalen M1.3 bzw. M11.3 und daraus eine Ermittlung der Topographie (Merkmal M1.4 bzw. M11.5.1). Die dort offenbarten Parametersätze (Durchmesser, Tiefe) der Defekte werden nach Auffassung des Senats auch kategorisiert, wie in der Tabelle auf Seite 11 des Dokuments D14 zu entnehmen und zwischen den Parteien identisch vorgetragen. Dabei wird anhand des ermittelten Parametersatzes (dort der Größe) jedem Defekt eine Defektkategorie (irrelevant, klein, mittel, groß) zugeordnet (Merkmal M1.6 bzw. M11.5.3).

226

Auch sieht der Senat eine Veranlassung, die Druckschrift D3 und das Dokument D14 miteinander zu kombinieren. Die Druckschrift D3 ermittelt Parametersätze, die die Größe, die Art und den Ort jedes Fehlers bestimmen. Das Dokument D14 ermittelt ebenfalls diese Parameter und darüber hinaus noch die Topographie der Lackfehler. Der Fachmann wird hierin einen Vorteil in der damit verbundenen Oberflächenbehandlung erkennen und diesen somit mitberücksichtigen.

227

b) Auch die Gegenstände des Verfahrensanspruchs 12 und des Vorrichtungsanspruchs 17 in der erteilten Fassung beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

228

Auch für diese unabhängigen Ansprüche ist als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die Druckschrift D3 zu sehen.

229

Diese offenbart im Absatz [0001] in ihren Ansprüchen 1 und 8 ein Verfahren und ein System zum automatisierten Erkennen („using electronic imaging“) von Defekten in einer Werkstückoberfläche („vehicle body“) und zur Erzeugung eines Roboterprogramms zur Bearbeitung der Automobilkarosserie („generating robot paths for a plurality of automated robots …“) (Merkmal M12.1 sowie M17.1). Wie in Figur 1 dargestellt, weist das System eine Datenverarbeitungsanlage (vision cell controller 18, robot cell controller 14) auf (Merkmal M17.3). Hierzu werden Defekte in der Oberfläche der Automobilkarosserie lokalisiert, vgl. Absatz [0014) („The imaging system 12 generates paint defect data as it scans the vehicle body. Although it is contemplated that paint defect data may encompass a wide variety of paint defect attributes, in one embodiment, the paint defect data includes the size, type and location of a paint defect“) (Merkmal 12.2 sowie M17.2). Mit der Angabe “type” als einem der ermittelten Lackfehlerdaten verbindet der Fachmann unmittelbar einen Defekttyp und ordnet somit einem jeweils vorliegenden Defekt einen Defekttyp zu, z.B. Kratzer, Erhebung, Einschluss. Dies entspricht einer Defektkategorie gemäß dem Merkmal M12.5, wobei, vgl. den Absatz [0017], abhängig von den Lackfehlerdaten und somit auch der Defektkategorie des mindestens einen Defektes ein Bearbeitungsprozess ausgewählt wird (Merkmal M12.5 sowie M17.3.3). Entsprechend dem ausgewählten Bearbeitungsprozess wird, vgl. die Absätze [0017] und [0018], ein Roboterprogramm zur Bearbeitung des Defektes gemäß Merkmal M12.6 bzw. gemäß Merkmal M17.3.4 erstellt.

230

Von der in der Druckschrift D3 offenbarten technischen Lehre unterscheidet sich das Verfahren nach Patentanspruch 12 bzw. das System nach Patentanspruch 17 des Streitpatents in der erteilten Fassung darin, dass dieses die Merkmale

231

· Ermitteln einer dreidimensionalen Topographie der lokalisierten Defekte (D
i); (Merkmal M12.3 bzw. M17.3.1) und

232

· Kategorisieren von zumindest einem lokalisierten Defekt (D
i) basierend auf dessen Topographie; (Merkmal M12.4 bzw. M17.3.2)

233

aufweist.

234

Wie unter II.1.a) zu den Ansprüchen 1 und 11 ausgeführt, sind diese Merkmale dem Fachmann aus dem Dokument D14 bekannt. Der Fachmann gelangt somit auch in naheliegender Weise zu den Gegenständen der erteilten Patentansprüche 12 und 17. Hinsichtlich der Veranlassung zu der Kombination der Druckschrift D3 mit dem Dokument D14 wird ebenfalls auf den Abschnitt II.1.a) verwiesen.

235

2. Die Gegenstände der Verfahrensansprüche 1 und 12 sowie der Systemansprüche 11 und 17 für ein automatisiertes Erkennen und robotergestütztes Bearbeiten von Oberflächendefekten beruhen auch in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

236

a) Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit der Fassung des Hilfsantrags 1, in dem sie die Patentansprüche 1 und 11 wie folgt ändert (Abweichungen gegenüber erteilter Fassung unterstrichen bzw. durchgestrichen):

237

M1.5:  Ermitteln eines Parametersatzes (P
i), welcher
die Topographie desden zumindest einen Defekt
s (D
i) beschreibt
charakterisiert;

238

M11.5.2: einen Parametersatz (P
i) zu ermitteln, welcher
die Topographie desden zumindest einen Defekt
s (D
i) beschreibt
charakterisiert;

239

Die Patentansprüche 12 und 17 in der Fassung des Hilfsantrags 1 sind gegenüber den erteilten Ansprüchen 12 und 17 unverändert.

240

b) Die Zulässigkeit dieser Anspruchsfassung sei zugunsten der Beklagten unterstellt.

241

c) Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

242

Wie unter II.1.a) dargelegt, offenbart das Dokument D14 ein Verfahren und ein System zum Erkennen von Defekten in einer Werkstückoberfläche. Dabei wird ein Parametersatz ermittelt, vgl. die Bilder „3D-Rekonstruktion“ auf Seite 10. Zu erkennen ist in den Bildern zu den Defekten „Krater“ und „Beule“, dass jeweils eine Topographie bestimmt wurde (Bild „Reconstruction“) und ein Schnitt des Defektes in der Z-Ebene. Diese Darstellungen umfassen somit Datensätze, die die Topographie beschreiben und beinhalten Werte als Parameter entlang der räumlichen Ausdehnung des Defekts der Werkstückoberfläche in zumindest eine Raumrichtung. Dies entspricht wiederum der Definition eines Parametersatzes wie er im erteilten Anspruch 5 definiert ist. Somit offenbart das Dokument D14 auch die Merkmale M1.5 bzw. M11.5.2 des Anspruchs 1 bzw. des Anspruchs 11 gemäß Hilfsantrag 1.

243

Der Fachmann gelangt somit, durch eine Kombination der technischen Lehren der Druckschrift D3 mit dem Dokument D14, in naheliegender Weise auch zum Gegenstand der Patentansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 1. Hinsichtlich der Veranlassung zu dieser Kombination verweist der Senat auf den Abschnitt II.1.a).

244

d) Die nebengeordneten Ansprüche 12 und 17 des Hilfsantrags 1 entsprechen den erteilten Ansprüchen 12 und 17. Diese sind, wie unter II.1.b) ausgeführt, nicht patentfähig.

245

e) Auf die Frage der von der Klägerin geltend gemachten Verspätung des mit Schriftsatz vom 15. März 2023 eingereichten Hilfsantrags 1 kommt es unter den vorgenannten Umständen nicht mehr an. Insoweit ist nur anzumerken, dass der Hilfsantrag 1 schon deswegen nicht gemäß § 83 Abs. 4 PatG hätte zurückgewiesen werden können, weil er nicht nach Fristablauf, sondern rechtzeitig am 15. März 2023 – die im qualifizierten Hinweis gesetzte zweite Frist war für beide Parteien bis dahin verlängert worden – bei Gericht eingegangen ist. Nicht maßgeblich für die Frage der Verspätung ist, dass dieser Schriftsatz im Rahmen der im qualifizierten Hinweis angeordneten Zustellung von Anwalt zu Anwalt, § 195 ZPO, erst später bei der Klägerin eingegangen war. Bei den im gerichtlichen Hinweis gesetzten richterlichen Fristen handelt es sich um Fristen, die gegenüber dem Gericht gewahrt werden müssen (z.B. nur Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, vor § 214 Rn. 10: Eine fristgebundene Prozesshandlung muss spätestens um 24 Uhr des letzten Tages der Frist dem Gericht gegenüber vorgenommen werden), was auch ausdrücklich dem vorliegenden qualifizierten Hinweis zu entnehmen ist („…sind dem Senat bis spätestens … vorzulegen). Die darüber hinaus angeordnete Zustellung von Anwalt zu Anwalt dient in diesem Zusammenhang ersichtlich nur dazu, dass die Gegenseite zügig die Stellungnahme übermittelt bekommt; sie führt nicht dazu, dass für die Einhaltung der vom Gericht im qualifizierten Hinweis gesetzten Fristen nunmehr erst der Zeitpunkt der förmlichen Zustellung an die Gegenseite maßgebend wäre.

246

3. Ebenso beruhen die Gegenstände der Verfahrensansprüche 1 und 12 sowie der Systemansprüche 11 und 16 für ein automatisiertes Erkennen und robotergestütztes Bearbeiten von Oberflächendefekten in der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

247

a) Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit der Fassung des Hilfsantrags 2, in dem sie die Patentansprüche 12 und 17, letzterer nunmehr als Patentanspruch 16, wie folgt ändert (Änderungen gegenüber erteilter Fassung dargestellt durch Unter- bzw. Durchstreichung):

248

Einfügung nach Merkmal M12.3:

249

M12.3.1  
Ermitteln eines Parametersatzes (Pi), welcher die Topographie der lokalisierten Defekte (Di) charakterisiert;

250

Einfügung nach Merkmal M17.3.1:

251

M17.3.1.1
einen Parametersatz (Pi) zu ermitteln, welcher die Topographie der lokalisierten Defekte (Di) charakterisiert;

252

b) Die Ansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 2 entsprechen den Ansprüchen 1 und 11 des Hilfsantrags 1. Diese beruhen, wie unter II.2.c) ausgeführt, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

253

c)  Die Ansprüche 12 und 16 des Hilfsantrags 2 nehmen mit den aufgenommenen Änderungen nahezu wortgleich die Merkmale zur Ermittlung eines Parametersatzes auf, wie sie in den Ansprüchen 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 in den Merkmalen M1.5 und M11.5.2 enthalten sind. Wie unter II.2.c) dargelegt, können diese Merkmale keine erfinderische Tätigkeit begründen. Daher sind auch die Gegenstände der Ansprüche 12 und 16 des Hilfsantrags 2, die diese Merkmale nun mit umfassen, entsprechend zu beurteilen. Sie beruhen aus den dort genannten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

254

4. Die Gegenstände der Verfahrensansprüche 1 und 12 sowie der Systemansprüche 11 und 15 für ein automatisiertes Erkennen und robotergestütztes Bearbeiten von Oberflächendefekten beruhen in der Fassung gemäß Hilfsantrag 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

255

a) Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit der Fassung des Hilfsantrags 3, in dem sie die Patentansprüche 1, 11, 12 und 17, letzterer nunmehr als Patentanspruch 15, wie folgt einschränkt (die neu aufgenommenen Merkmale sind unterstrichen):

256

Anspruch 1:

257

M1.7.1 wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

258

M1.8 Ermitteln einer Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i)

259

M1.8.1 mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10);

260

M1.10
wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren; und

261

Anspruch 11:

262

M11.5.4.1 wobei jedem Bearbeitungsprozess (R
j) mindestens eine Vorlage (X
i) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (D
i) bearbeitet werden soll;

263

M11.5.5 eine Bearbeitungsbahn (X
i‘) für den zumindest einen Defekt (D
i)

264

M11.5.5.1 mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (X
i) auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks (10) zu ermitteln;
und

265

M11.6
wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren; und

266

Anspruch 12:

267

M12.7
wobei jedem Bearbeitungsprozess (Rj) mindestens eine Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (Di) bearbeitet werden soll, und wobei eine Bearbeitungsbahn (Xi‘) für den zumindest einen Defekt (Di) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (Xi) auf die Werkstückoberfläche gemäß eines CAD-Modells des Werkstücks (10) ermittelt wird, und

268

M12.8
wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren.

269

Anspruch 15

270

M17.4
wobei jedem Bearbeitungsprozess (Rj) mindestens eine Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn zugeordnet ist, entlang der der Defekt (Di) bearbeitet werden soll, und wobei eine Bearbeitungsbahn (Xi) für den zumindest einen Defekt (Di) mittels Projektion der mindestens einen Vorlage (Xi) auf die Werkstückoberfläche gemäß eines CAD-Modells des Werkstücks (10) ermittelt wird, und

271

M17.5
wobei die Vorlage (Xi) einer Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte (X1i, X2i) in einer Defektebene (Ei) definiert sind, und die Punkte (X1i, X2i) auf die Werkstückoberfläche gemäß CAD Modell des Werkstücks projiziert werden, um eine korrespondierende Menge projizierter Punkte zu erhalten, welche die Bearbeitungsbahn für den jeweiligen Defekt (Di) definieren.

272

b) Die Anspruchsfassung des Hilfsantrags 3 ist zulässig.

273

Die in den Ansprüchen 1 und 11 aufgenommenen Merkmale M1.10 und M11.6 sind wortgleich. Sie ergeben sich aus dem erteilten Anspruch 7.

274

Ebenfalls wortgleich sind die in den Ansprüchen 12 und 15 mit aufgenommenen Merkmale M12.7 und M12.8 sowie M17.4 und M17.5. Diese Merkmale ergeben sich aus den erteilten Ansprüchen 13 und 14 sowie 7.

275

c) Wie zu der Druckschrift D3 bereits ausgeführt, offenbart diese eine robotergestützte Reparaturstrategie von Lackdefekten. Hierzu ist dort im Absatz [0017] beschrieben, abhängig von einer Defektkategorie „type“ einen Bearbeitungsprozess durchzuführen („The robot cell controller develops a repair strategy based upon the paint defect data…“) und das abhängig von bekannten Vorgehensweisen („… based on a variety of known approaches toward paint defect data“). Diese so beschriebene Vorgehensweise entspricht nach Auffassung des Senats auch dem fachmännischen Handeln bei bekannten Lackdefekten. Der Fachmann weiß, dass unterschiedliche Lackdefekte unterschiedliche Bearbeitungen notwendig machen. So wird er einen Krater anders bearbeiten als eine Blase bzw. Beule. Lediglich beispielsweise, zum Beleg für dieses Fachwissen, sei auf das Dokument NK4 „Lackleitfaden“ verwiesen. Der Fachmann wird daher bei der Umsetzung der Lehre der D3, wie sie in Absatz [0017] offenbart ist („The repair strategy may be based on a variety of known approaches toward paint defect repair. This may include path and processing parameters, tools, and robot choice. In addition, the robot cell controller 24 can be assigned a variety of additional tasks in order to improve the operation and functionality of the assembly 10. These additional tasks may include, but are not limited to, generating robot paths and tooling parameters ,…“), jedem Bearbeitungsprozess auch mindestens eine Vorlage einer Bearbeitungsbahn („path“; Absatz [0017]) zuordnen, entlang der der Defekt bearbeitet werden soll, und dabei auch die Größe des Defekts berücksichtigen, vgl. Absatz [0018] („Other treatments, particulary suited to a given size or type of paint defect are contemplated.”) (Merkmal M1.7.1 sowie M11.5.4.1). Wie weiter im Absatz [0018] ausgeführt, wird auch der Verlauf der Werkstückoberfläche bei der Ermittlung der vom Roboter anzufahrenden Bahn mitberücksichtigt („One advantage of the present invention is that the automated robot can be programmed to approach the surface of the vehicle body 16 along the normal vector to ensure even forces across the sanding pad or other tool, …. Additionally, as mentioned, inspection and repair masks can be automatically generated from the CAD geometry with precise tolerances around edges and character lines such that the treatment of the paint defect may be specialized for a given defect.”). Somit wird eine Bearbeitungsbahn für den einen Defekt mittels Projektion der mindestens einen Vorlage auf die Werkstückoberfläche gemäß einem CAD-Modell des Werkstücks ermittelt (Merkmale M1.8 und M1.8.1 sowie M11.5.5 und M11.5.5.1). Diese Merkmale der Vorlage einer Bearbeitungsbahn sowie deren Projektion auf die Werkstückoberfläche entsprechen den Merkmalen M12.7 des Anspruchs 12 und M17.4 des Anspruchs 15 des Hilfsantrags 3.

276

Bei einer Ausführung von computergestützten Robotersteuerungen ist es üblich, die Wege der Werkzeuge durch ihre x-, y- und z-Koordinaten zu definieren. Dem Fachmann ist bekannt, dass die Bearbeitung von Defekten senkrecht zu ihrer Defektebene durchzuführen ist, um den Fehler gleichmäßig und in guter Qualität auszubessern. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der Fachmann daher bei der Umsetzung der technischen Lehre der Druckschrift D3 auch die Vorlage der Bearbeitungsbahn mittels einer Menge Punkte in der Defektebene definieren. Ebenso wird er diese Punktmenge gemäß dem CAD-Modell des Werkstücks projizieren, wie im Absatz [0019] der Druckschrift D3 vorgeschlagen, um so den dort beschriebenen Vorteil der gleichbleibenden Kräfte auf das Werkstück auch bei der gekrümmten Werkstückoberfläche zu erreichen (Merkmale M1.10, M11.6, M12.8 und M17.5)

277

Der Fachmann gelangt daher in naheliegender Weise zu den Gegenständen der Ansprüche 1, 11, 12 und 15 gemäß Hilfsantrag 3.

278

5. Der weitere Hilfsantrag der Beklagten, sämtliche Unteransprüche 2 bis 10 sowie 13 bis 16 isoliert zu verteidigen, ist mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig.

279

Nach allgemeiner Rechtsauffassung hat der Senat im Nichtigkeitsverfahren lediglich über konkrete bestimmte alternative Fassungen des Streitpatents zu entscheiden (vgl. dazu etwa BGH GRUR 2007, 309, juris Rn. 41 – Schussfädentransport; GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II). Daran fehlt es bei dem vorliegenden Antrag.

280

Abgesehen von Patentanspruch 2 sind die Unteransprüche 3 bis 10 jeweils nicht nur unmittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen, sondern jeweils auch auf andere vorhergehende Ansprüche, so Patentanspruch 3 auf Anspruch 1 oder 2, Patentanspruch 5 auf einen der Ansprüche 1 bis 4, Patentansprüche 6 und 7 auf einen der Ansprüche 1 bis 5, Patentanspruch 8 auf einen der Ansprüche 1 bis 7, und Patentansprüche 9 und 10 auf Anspruch 8, was eine große Anzahl an Variationsmöglichkeiten für den Inhalt eines Unteranspruchs darstellt. Entsprechendes gilt für die weiteren abhängigen Unteransprüche 13 bis 16. Eine bestimmte Prüfungsreihenfolge hat die Beklagte hierbei nicht angegeben, noch ist eine solche ohne weiteres erkennbar. Damit bleibt insbesondere unklar, ob vorrangig ein Unteranspruch im Rückbezug auf Anspruch 1 verteidigt wird oder nicht, d.h. soll auf den nächsten Unteranspruch übergangen werden, wenn ein Unteranspruch im Rückbezug auf Anspruch 1 nicht patentfähig wäre oder soll der betreffende Unteranspruch dann erst in seinem Rückbezug auf weitere vorhergehende Ansprüche auf Patentfähigkeit zu prüfen sein. Es steht somit nicht fest, mit welcher Präferenz welche Fassung des Streitpatents begehrt wird. Eine derartige Antragstellung liefe darauf hinaus, dass die Präferenz und damit letztlich die Gestaltung des Streitpatents in gewissem Umfang dem Senat überlassen wäre, was aber grundsätzlich allein der Patentinhaberin vorbehalten ist (vgl. auch 2 Ni 4/21 (EP) verb.m. 2 Ni 15/21 (EP), Urteil vom 1. Dezember 2022, Entscheidungsgründe unter I.). Aufgrund ihrer mangelnden Bestimmtheit ist eine solche Antragstellung nicht zulässig. Der Beklagten war es unbenommen, zur hilfsweisen Verteidigung konkrete Fassungen des Streitpatents vorzulegen, was sie mit ihren in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträgen 2 und 3 auch getan hat.

281

6. Nachdem die nebengeordneten Patentansprüche 1, 11, 12 und 17 in keiner der verteidigten Fassungen patentfähig sind und die Unteransprüche 2 bis 10 sowie 10 bis 13 weder in zulässiger Weise verteidigt worden sind noch sonst ersichtlich ist, dass ihre zusätzlichen Merkmale zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen, zumal die Hilfsanträge 1 bis 3 zum Teil mit Merkmalen aus den Unteransprüchen gebildet worden sind, war das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.

III.

282

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 ZPO i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

283

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.